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65 Jahre danach

Die Herkunft nicht mehr verschweigen zu müssen, nicht länger als Kind der Schande zu gelten, wie es lange hieß - und endlich zu erfahren, wer der Vater war: Das wünschten sich jahrzehntelang viele Nachkommen von französischen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten schwanger wurden. Es ist der Initiative von Frankreichs Außenminister Kouchner zu verdanken und der Einwilligung der Bundesregierung, dass sich - spät, aber doch - etwas bewegt: Die Kinder der Schande von einst können heute die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen.

Von Suzanne Krause | 11.06.2010
    Binnen eines Jahres sind 60 solcher Einbürgerungsanträge eingegangen, über 30 wurden bewilligt. Ein rühriger Verein, der sich Nationaler Freundeskreis der Kriegskinder nennt, nimmt sich jedes einzelnen Falles an - und fordert nun, dass aus dem deutsch-französischen Sonderfall eine europäische Regelung wird. An diesem Wochenende kommt es im Raum Stuttgart zu einem deutsch-französischen Familientreffen der ganz besonderen Art - und dort wird diese Forderung natürlich eine Rolle spielen. Aus Paris Suzanne Krause.


    Muguette Pinaud hat ihren Koffer für das Wochenende in Schwaben schon gepackt. Nun sitzt sie mal wieder zuhause vorm Computer und geht auf die Suche. Nach ihrem Vater, einem deutschen Wehrmachtssoldaten, von dem sie nur weiß, dass er Peter hieß, eine schwarze Lederjacke trug und die erste Liebe ihrer Mutter war. Und die letzte: Die junge Frau starb bei einem Bombenangriff in ihrem kleinen Dorf in der Normandie, als Muguette zwei Jahre alt war. Sie wuchs bei der Oma auf und erst Jahrzehnte später erfuhr Muguette Pinaud, dass deutsches Blut in ihren Adern fließt. Mit dem Mut der Verzweiflung geht die zierliche Rentnerin heute jeder Spur nach, um ihren Erzeuger ausfindig zu machen. Beseelt von einem Herzenswunsch:

    "Seit ich erfuhr, dass mein Vater Deutscher ist, geht Deutschland mir nun über alles. Ich hätte nun so gerne die deutsche Staatsangehörigkeit. Ich würde in mein kleines Heimatdorf gehen und allen Leuten meinen deutschen Pass zeigen. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde ich dort als Tochter eines Scheißdeutschen beschimpft. Ich habe wie immer den Mund gehalten. Hätte ich aber den deutschen Pass, dann würde ich es allen zeigen. Wie stolz ich bin, Französin und gleichzeitig Deutsche zu sein."

    Schicksale wie das von Muguette Pinaud kennt Ingvill Mochmann zuhauf. Die Norwegerin ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet beim Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Köln. Seit 2003 forscht Mochmann hier zu den "Kindern des Krieges". Als allererste meldeten sich Mitte der 1980ziger Jahre die norwegischen Nachfahren von Wehrmachtssoldaten zu Wort. Mittlerweile haben sich in ganz Europa mehrere Vereine von solchen "Kindern des Krieges" gegründet, von den skandinavischen Ländern bis nach Griechenland. Denn laut Schätzungen hätten Hitlers Soldaten bis zu 800.000 Kinder gezeugt. Mit einem internationalen und interdisziplinären Netzwerk, genannt "Children born of war", arbeitet Ingvill Mochmann daran, die genaue Zahl der Betroffenen zu erfassen, ihren Lebensweg zu durchleuchten. Im Netzwerk geht es längst nicht mehr nur um die "Kinder des Krieges" aus dem Zweiten Weltkrieg. Kollegen forschen zum Krieg in Bosnien oder auch zum Völkermord in Ruanda. Quer durch alle Epochen, alle Konflikte stechen die Gemeinsamkeiten ins Auge: Diese "Kinder des Krieges" wurden und werden diskriminiert, stigmatisiert, sagt Ingvill Mochmann:

    "Die Kinder sind oft ausgegrenzt, fühlen sich als Feind, werden als Feind in der Gemeinschaft wahrgenommen. Erfahren teilweise erstaunlicherweise auch oft über dritte Wege von ihrer richtigen biologischen Herkunft. Das heißt, das ist alles sehr tabuisiert, es wird nicht darüber geredet. Und oft erfährt man in der Schule oder von irgendjemand in der Nachbarschaft, der dann was weiß, auf mehr oder weniger sanfte Art von der tatsächlichen Herkunft."

    Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kinder aus einer Vergewaltigung entstanden oder aus einer Liebesbeziehung der Mutter mit dem "Feind". Selbst das hat traumatische Auswirkungen. Norwegen untersuchte als erstes Land den Lebensweg der "Kinder des Zweiten Weltkriegs": in dieser Gruppe ist die Selbstmordrate höher als im Rest der Bevölkerung, der Bildungsstand niedriger, sind eine schlechte Gesundheit und die Armut präsenter. Um solchen Folgen vorzubeugen, untersagen die Vereinten Nationen seit 2007 per Resolution UN-Soldaten und ihrem sonstigen Personal jeglichen sexuellen Kontakt zu Frauen in den Ländern, in denen sie während der Konfliktregelung stationiert sind. Bieten Frauen, die von einem UN-Vertreter geschwängert wurden, konkrete Hilfe bei der Identifikation des Vaters. Ziehen ihm die Alimente vom Lohn ab. Vorbildhafte Maßnahmen, meint Ingvill Mochmann und fordert: Solche Regelungen sollten überall für alle Staaten gelten, zum Schutz der Kinder.

    "Es wäre natürlich sicherlich sehr schön, wenn man die Gelegenheit ergreifen könnte, nachdem Europa durch den Zweiten Weltkrieg viele Kinder des Krieges hat, dass man auf europäischer Ebene vielleicht in erster Linie dafür ein Interesse zeigen könnte. Und auch dafür Lösungen und tatsächlich das dann auf die internationale Agenda weiterentwickeln könnte."