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70 Jahre Landung in der Normandie
Für die Leiden der Zivilbevölkerung war kein Platz

Am Morgen des 6. Juni 1944 begann an den Stränden der Normandie die Schlacht, die das Ende der Nazi-Herrschaft einläuten sollte. In diesem Jahr wird dabei besonders der zivilen Opfer gedacht, die die Landung in der Normandie mit sich gebracht hat und die lange kaum Erwähnung fanden.

Von Ursula Welter |
    Blick auf die im Zweiten Weltkrieg nach der Landung der Alliierten in der Normandie zerstörte Kathedrale der Stadt Caen in Frankreich, undatiertes Archivbild vom Juni 1944.
    Blick auf die im Zweiten Weltkrieg nach der Landung der Alliierten in der Normandie zerstörte Kathedrale der Stadt Caen. (picture alliance / dpa / UPI)
    Die Erinnerungsstätte von Caen ist gut besucht, Filme, Fotografien, Dokumente erklären die Vorgeschichte, die Nazi-Herrschaft über Frankreich, die Landung der Alliierten an den Stränden der Normandie am 6. Juni 1944.
    Eine alte Dame im grauen Kostüm wartet auf ihren Interviewtermin im Lokalfernsehen. Georgette Godes ist als "das Mädchen von Saint-Laurent-sur-mer" in die Geschichte eingegangen.
    "Am Morgen des 6. Juni l lief mein Großvater über das Feld, die Bombardierungen waren ungewöhnlich heftig, unser Haus war gleich das erste oberhalb des Strandes.
    Er rief, schnell, schnell, raus aus dem Haus, in diesem Moment waren die Deutschen schon auf dem Feld hinter uns."
    Sieben Jahre ist Madame Godes damals. Später wird ein Kriegsreporter das blonde Mädchen fotografieren, auf dem Arm eines amerikanischen Soldaten.
    "Vom Strand aus das Trommelfeuer, von den Kriegsschiffen aus."
    Zwischen den Fronten suchen die Großeltern mit den Kindern Schutz in den Kellerräumen, wie durch ein Wunder überleben sie.
    Die Menschen in der Normandie glauben, dass die Schlacht, die Charles de Gaulle seinen Landsleuten an diesem 6. Juni von London aus ankündigt, die schnelle Entscheidung bringt. Sie sollten sich irren. Die Schlacht in den Dörfern und Städten der Normandie dauert zweieinhalb Monate und fordert viele Opfer unter der Bevölkerung: im Departement Calvados 8.100 tote Zivilisten, Manche 3.700, Orne 2.100, Eure 900, Seine Maritime 4.850.
    "Die Tante meines Mannes lebte in Caen, sie wurde mit ihren Kindern im August getötet, sie war 27, ihre Kinder drei und vier Jahre, eine andere Verwandte wurde in Ouistreham verwundet und starb später an ihren Verletzungen."
    Die Alliierten bombardieren Verkehrsknotenpunkte, um den Nachschub der deutschen Truppen zu verhindern, tagelang geht der Bombenregen über Straßen und Dörfern nieder. Flugblätter, die die Zivilbevölkerung warnen sollten, werden unpräzise abgeworfen, verfehlten ihre Ziele:
    "Das war den ganzen Tag ein schrecklicher Bombenhagel, die wurden nicht sehr präzise abgeworfen, das wäre heute wohl anders, und ich erinnere mich, wie meine Angst wuchs, als ich die Angst in den Gesichtern der Erwachsenen sah."
    In der Hauptstadt Paris sitzt ein Mann über sein Fotoalbum geneigt.
    "Wir waren hier."
    Charles Delamare hat die Geschichte der zivilen Opfer in einem preisgekrönten Buch beschrieben. Schon am fünften Juni 44 setzt der Bombenhagel ein, bereiteten die Alliierten die Landung vor.
    "Wir haben gesehen, das war zwei Kilometer von uns - 36 Flugzeuge sind gekommen und haben alles bombardiert."
    Im Juni 44 lebt seine Familie am Fluss Touques, unweit von Dauville.
    "Wir sind ruhig geblieben."
    Delamare zeigt auf die Landkarte. Die Landungsstrände sind viele Kilometer weiter westlich.
    "Die Schlacht hat fast zwei Monate gedauert, hier!"
    Caen, Le Havre, viele Zivilisten sterben in den großen Städten, aber die Landbevölkerung bleibt nicht verschont.
    "Das erklärt, warum die Alliierten nicht immer sehr gut in der Normandie empfangen wurden. Die Normannen sind ziemlich schweigsam, sie sprechen das nicht so aus, sie wissen, dass Krieg nicht leicht ist."
    Und doch wird in der Normandie mit Freude registriert, dass der Staatspräsident vor dem Geschichtsmuseum von Caen morgen eine Stele enthüllen wird, zu Ehren der zivilen Opfer.
    "Das hat sehr lange gedauert", beklagt Charles Delamare, der in seinem Buch schreibt, die spektakulären Hollywood-Filme hätten lange Zeit das Bild von der Landung der Alliierten geprägt. Für die Leiden der Zivilbevölkerung sei da womöglich kein Platz gewesen.
    Im Mémorial von Caen erinnern Bilder und Statistiken an diese zivilen Opfer in den Dörfern und Städten der Normandie, morgen wird der Staatspräsident vor dem hellgrauen Betonkomplex zunächst an dieses Leid der Bevölkerung erinnern, bevor dann auf den unzähligen Friedhöfen der Region der Soldaten gedacht wird, die ihr Leben verloren haben. Allein am 6. Juni sind es rund 10.000 Alliierte und bis zu 9.000 Deutsche.
    Georgette Godes sagt, sie habe die Gesichter zweier Toter gesehen, Bilder, die sie ihr Leben lang nicht vergessen konnte, im Feld hinter dem Haus am Landungsstrand, ein Deutscher und ein Amerikaner.
    Den US-Soldaten, der sie auf dem Arm trug, als das Schlimmste vorbei war, den Mann auf dem Schwarz-Weiß-Foto, hat Georgette Godes 51 Jahre später gesucht und gefunden.
    "Als ich meinen GI wiedergefunden hatte, er nannte mich immer sein Baby, obwohl ich das ja längst kein Kind mehr war, sagte er: 'Mein Baby, mein Baby, nie wieder so etwas!'"
    Für ihn waren die prächtigen Strände der Normandie blutige Strände, sagt Madame Godes, sie waren derartig traumatisiert von diesem Gemetzel, man muss es so nennen, das sie da erlebt haben.