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740.000 Jahre Wettergeschichte des Südpols

Klimawissenschaft. - Seit acht Jahren wird in der Ost-Antarktis - dem sogenannten Dome C - gebohrt. Wissenschaftler und Techniker aus zehn europäischen Ländern treiben dort im Rahmen des europäischen Eisbohrprojekts EPICA diese Bohrung tiefer und tiefer in das Inlandeis hinein. Denn Eis ist ein besonderer Stoff. Wie in einem Archiv sind darin Informationen über die Umwelt vergangener Zeiten aufgezeichnet. Jetzt stellt die Dome-C-Bohrung einen Rekord auf: Mit 740.000 Jahren ist sie die bislang längste kontinuierliche Zeitreihe aus dem Eis - und im kommenden antarktischen Sommer soll sie sogar auf mehr als 900.000 Jahre erweitert werden. Die ersten Ergebnisse werden in der aktuellen "Nature" veröffentlicht.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die gute Nachricht zuerst: Die nächste Eiszeit wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Das jedenfalls legt die Analyse des inzwischen mehr als drei Kilometer langen Dome-C-Eisbohrkerns nahe: Denn immerhin acht Wechsel von Warm- und Kaltzeiten sind in diesen 740.000 Jahren Klimageschichte verzeichnet. Heinz Miller vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung:

    Diese Zyklen, die Glazial-Interglazial-Wechsel, sind so 100.000 Jahre, kann man sagen, wobei die warmen Phasen eigentlich während der letzten 400.000 Jahre immer relativ kurz waren. Es war eigentlich zu 90 Prozent der Zeit immer kälter als es jetzt ist. Und nun haben wir aus diesem Dome C-Eiskern, diesem EPICA-Eiskern gelernt, dass in der Zeit vor 420.000 Jahren vor heute sich dieses etwas anders verhält.

    Während für die vier jüngsten Zyklen aus Warm- und Kaltzeiten regelrechte Sprünge bei den Durchschnittstemperaturen charakteristisch sind, war das Klima zuvor stabiler. Zuvor war auch das Verhältnis zwischen Warm- und Kaltzeiten ausgewogener, sprich: Die Warmzeiten dauerten länger, auch wenn die globalen Durchschnittstemperaturen meist nicht so hoch kletterten wie derzeit. Und: Vor rund 410.000 Jahren - direkt vor dem Umschlag zu den instabilen Zyklen - gab es die mit Blick auf unsere Welt interessanteste aller Warmzeiten. Miller:

    Wir sehen, dass wir in einem Zeitraum zwischen 410.000 und 440.000 Jahren vor heute eine relativ lang dauernde Warmzeit haben. Und wenn wir in die Mechanismen sozusagen hineinschauen, die die Länge dieser Zyklen steuern können, dann vermuten wir, dass das Veränderungen der Erdbahn-Parameter um die Sonne sind, und da sehen wir einfach, dass damals ganz ähnliche Konstellationen der Neigung der Erdachse und der Elliptizität der Erdbahn um die Sonne vorherrschten, wie wir es jetzt haben. Und diese Warmzeit dauerte eben anders als die anderen vergleichsweise lange.

    Diese Warmzeit ist aus Meeresbohrkernen bekannt und trägt deshalb den Namen "Marines Isotopenstadium 11", kurz: MIS 11. Die Klimadaten des EPICA-Bohrkerns verraten nun, dass es etliche Parallelen zwischen diesem Stadium und heute gibt. Miller:

    Es kommt relativ rasch aus der vorangehenden Kaltzeit, und wenn wir sozusagen den Beginn unserer jetzigen Warmzeit vergleichen mit dem, der damals war, dann sehen die beiden Kurven zwar im ganz feinen Detail leicht unterschiedlich aus, aber im generellen Charakter sehr, sehr ähnlich.

    MIS 11 zeigt ähnlich gleichmäßige Durchschnittstemperaturen wie unsere Warmzeit ohne große Temperatur-Eskapaden. Erste chemische Analysen dieser Periode verraten, dass während des "Marinen Isotopenstadiums 11" die Treibhausgase Kohlendioxid und Methan in etwa die Konzentration der vorindustriellen Zeit vor 200 Jahren hatten. Das gilt auch für den Gehalt an Staub in der Luft. Selbst die Sonneneinstrahlung wird wohl modernen Werten entsprochen haben. Das heißt: Das Klima von MIS 11 glich dem heutigen. Miller:

    Wenn wir diese Ähnlichkeiten in die Zukunft sozusagen extrapolieren, können wir erwarten, dass unser natürliches System, jetzt einmal losgelöst von menschlichen Einfluss, uns noch eine weitere Erwärmung um sagen wir einmal ein halbes Grad im Mittel, oder vielleicht sogar ein Grad, innerhalb der nächsten 5000 Jahre bringen würde.

    Das heißt: Allein aufgrund der Erdbahnparameter müssen wir mit einer natürlichen Erwärmung von einem halben Grad rechnen. Und dann käme noch der menschengemachte Treibhauseffekt oben drauf. 28.000 Jahre lang dauerte MIS11. In diesem Intervall scheint das Erdklima aus dem Rhythmus gekommen zu sein, eine Kaltzeit "übersprungen" zu haben. Miller:

    Wenn wir dieses sozusagen als Analogon für das natürliche System in unserer Zeit nehmen können, wofür vieles spricht, dann können wir eigentlich sagen, dass die jetzige Warmzeit nicht sobald zu Ende gehen wird, sondern dass die nächste Kaltzeit, also sozusagen das nächste Wandern in die Vereisung der Nordhemisphäre nicht vor 15.000 Jahre stattfinden wird.

    Vielleicht sogar erst in 20.000 Jahren - je nach Größe des menschengemachten Treibhauseffekts.