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75. Geburtstag
Stephen Hawking Superstar

Seine "kurze Geschichte der Zeit" gehört wohl zu den am wenigsten gelesenen Bestsellern der Literaturgeschichte. Förmlich über Nacht hatte das populärwissenschaftliche Buch seinen Autor weltberühmt gemacht: Den Physiker Stephen Hawking, der infolge einer Muskelkrankheit nahezu vollständig gelähmt ist und sich nur über einen Sprachcomputer verständigen kann.

Von Arndt Reuning und Frank Grotelüschen | 08.01.2017
Der weltberühmte Physiker Stephen Hawking spricht zu einem Publikum in Hong Kong per Hologramm von seinem Büro in Cambridge, England aus.
Der weltberühmte Physiker Stephen Hawking spricht zu einem Publikum in Hong Kong per Hologramm von seinem Büro in Cambridge, England aus (2017) (AFP - Anthony Wallace)
Die Ärzte hatten ihm prophezeit, dass er nur noch zwei Jahre zu leben hätte. Das war im Jahr 1963. Jetzt feiert der Brite seinen 75. Geburtstag.
Ein überlegener Geist in einem hinfälligen Körper – der Theoretiker wandelte sich im Lauf der Zeit zu einem Superstar der Kosmologie, zu einer Ikone der Physik. Er hat Auftritte in Star Trek und in den Simpsons. Seine synthetische Stimme erklingt auf Alben von Pink Floyd. Er warnt vor dem Brexit. Seine wissenschaftliche Arbeit selbst tritt jedoch hinter seiner Person zurück. Für welche Ideen und Modelle steht Stephen Hawking? Und wie hat er die moderne Physik beeinflusst? "Wissenschaft im Brennpunkt" spürt der Person und dem Werk des genialen Kosmologen nach.

Die Sendung in voller Länge:
Verständigen kann er sich nur noch mit seinem Sprachcomputer. Seit über vierzig Jahren ist sein Körper nahezu vollständig gelähmt. Halb aufrecht sitzt der Physiker in seinem Rollstuhl. In dem fragilen Körper verbirgt sich ein überragender Geist. Manchen gilt der Forscher als einer der klügsten Köpfe unserer Zeit. Seine Ärzte hatten ihm prophezeit, dass er nur noch zwei Jahre zu leben hätte. Das war 1963. Heute wird die Physik-Ikone fünfundsiebzig Jahre alt. Und darum heißt es bei uns: Stephen Hawking Superstar.
"Keep Talking" heißt ein Stück von Pink Floyd. Es ist auf dem Album "The Division Bell" zu finden. Mit seiner synthetischen Stimme erklärt Stephen Hawking darin, was uns von den Tieren unterscheidet: nämlich die Fähigkeit zu sprechen. Und dieser Song ist nur ein Beispiel für die mediale Präsenz des prominenten Forschers. In etlichen Fernsehserien hat er bereits einen Gastauftritt hingelegt, zum Beispiel in Star Treck und in Big Bang Theory. Als Zeichentrickfigur taucht er bei den Simpsons auf und in Futurama. Er bezieht Stellung auch zu politischen Themen, kürzlich etwa zum Brexit. Hinter diesem manchmal vielleicht etwas plakativen Bild, das der britische Physiker in der Öffentlichkeit abgibt, verbirgt sich aber ein bemerkenswertes Forscherleben. Der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen mit einem Porträt.

Der Kuppelsaal in Amsterdam, eine ehemalige Kirche. Sie ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Dort, wo einmal der Altar gestanden hat, sitzt er: Stephen Hawking, der berühmteste Physiker unserer Zeit. Bewegungslos, an den Rollstuhl gefesselt durch eine unheilbare Krankheit. Verständigen kann er sich nur durch die synthetische Stimme eines Sprachcomputers. Und die erzählt von unvorstellbaren kosmischen Phänomenen – von Schwarzen Löchern, jenen galaktischen Monstern, die kraft ihrer gewaltigen Schwerkraft alles verschlingen, was ihnen zu nahekommt. Die Menschen lauschen andächtig, als würde ein Hohepriester unumstößliche Wahrheiten verkünden.
Franzosen hielten die Idee "Schwarzes Loch" zunächst für obszön
"Ich erinnere mich an ein Seminar in Paris, in dem ich über meine Entdeckung berichtete, dass Schwarze Löcher gar nicht absolut schwarz sind. Doch das Seminar wurde ein Misserfolg, weil man damals in Paris noch nicht mal glaubte, dass es Schwarze Löcher überhaupt gibt. Vielleicht lag es ja am Namen. Der nämlich hatte für die Franzosen etwas Obszönes an sich, und sie wollten ihn deshalb nicht in den Mund nehmen."
Über Hawkings Gesicht scheint ein verschmitztes Lächeln zu huschen. Das Publikum merkt: Hier thront kein entrücktes Genie auf seinem Elfenbeinturm, sondern ein Physiker, der sich bemüht, dass seine Botschaften verstanden werden – und der stets seinen Humor aufblitzen lässt, trocken und typisch britisch. Geboren wird Hawking am 8. Januar 1942 in Oxford, am 300. Todestag von Galilei Galileo. Am selben Tag dürften etwa 300.000 weitere Babys zur Welt gekommen sein. Ob sich eines davon später ebenfalls für Astronomie interessiert hat, wisse er nicht, sagt Hawking. Seine Karriere beginnt mit einem Schicksalsschlag. 1962 – gerade hat er mit seiner Doktorarbeit begonnen – zeigen sich erste Anzeichen von ALS, einer unheilbaren Nervenerkrankung. Die Prognose der Ärzte: Zwei Jahre würden Hawking noch bleiben, höchstens.
Ab 1970 fesselt ihn die Krankheit an den Rollstuhl
"Zunächst sah es nicht so aus, als würde es Sinn ergeben, meine Forschung fortzusetzen. Ich habe damals nicht erwartet, lange genug zu leben, um meine Doktorarbeit zu beenden. Aber dann schien sich der Krankheitsverlauf zu verlangsamen."
Ab 1970 fesselt ihn die Krankheit an den Rollstuhl. Später verliert er seine Stimme und muss den Computer für sich sprechen lassen. Dennoch: Hawking meistert sein Leben. Sowohl privat, wovon zwei Ehen und drei Kinder zeugen, als auch beruflich. Als Student sei er begabt gewesen, aber faul, sagt der Physiker über sich selbst. Erst nach Ausbruch der Krankheit habe er sich voll auf seine Forschung konzentriert. 1979 wird er Professor in Cambridge – auf genau jenem Lehrstuhl, den einst Isaac Newton bekleidete.
"Er bezieht seine Studenten voll mit ein in seine Forschung. Für die Studenten ist das sehr stimulierend. Stephen bindet einen in das ein, was ihn wirklich interessiert."
Sagt Fay Dowker vom Imperial College London, ehemals Doktorandin von Hawking. 1988 veröffentlicht der sein Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit". Auch wenn der Stoff alles andere als leicht verdaulich ist: Das Werk verkauft sich zigmillionenfach und macht ihn zur Kultfigur. Später schreibt Hawking gemeinsam mit seiner Tochter Lucy sogar Kinderbücher und weiß sich auch sonst geschickt zu vermarkten. So tritt er in einer Folge der Science-Fiction-Serie "Star Trek" auf. Und im April 2007 erfüllt er sich einen Herzenswunsch:
Er fliegt bei einem Parabelflug der NASA mit und erlebt dabei mehrmals den Zustand absoluter Schwerelosigkeit. Die Bilder vom schwebenden Physiker gehen um die Welt, ebenso seine Begeisterung:
"It was amazing. Space – here I come!"
Der britische Physiker Stephen Hawking bei seinem Parabelflug.
Der britische Physiker Stephen Hawking bei seinem Parabelflug. (NASA)
Vor allem als Vermittler von hochabstrakter Wissenschaft hat Stephen Hawking viel erreicht. Und seinen Humor, sagt Fay Dowker, hat er Zeit seines Lebens nie verloren – trocken und typisch britisch.
"Er ist extrem freundlich und aufgeschlossen – und das, obwohl er so berühmt ist. Und er liebt es, Scherze zu machen. Als ich mir einmal im Sommer den Schädel rasiert hatte, grinste er mich einfach nur an und fragte: Fay, warum hast du mit einem Rasenmäher gekämpft?"

Interview mit Physiker Bruce Allen (Dt. Stimme: Gregor Höppner)
Arndt Reuning: Stephen Hawking und sein besonderer Sinn für Humor. Auch andere Menschen, die ihn auf seinem Weg begleitet haben, wissen davon zu berichten:
Bruce Allen: Irgendwann hat Stephen einen PC bekommen, und zwar von der BBC. Das war in den frühen 1980ern. Er war eine Berühmtheit. Und weil er sich bereit erklärt hatte, an einer Fernsehsendung mitzuwirken, wurde ihm der Rechner zur Verfügung gestellt. Das war ganz witzig, denn eine Woche lang lag die Forschung brach. Alle am Institut, Stephen inklusive, spielten nämlich von morgens bis abends Pacman. Stephen war voll dabei. Nach einer Woche verloren wir zwar alle das Interesse daran. Aber ich weiß noch, wie er neben mir saß und rief: "Links, links, du Trottel!"
Eddie Redmayne als Stephen Hawking in einer Szene des Kinofilms "Die Entdeckung der Unendlichkeit".
Eddie Redmayne als Stephen Hawking in einer Szene des Kinofilms "Die Entdeckung der Unendlichkeit". (picture alliance / dpa / Universal Pictures)
Reuning: Der theoretische Physiker Bruce Allen, mittlerweile Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover, erinnerte sich an seine Zeit in Cambridge als Doktorand von Stephen Hawking. Von seinem ersten Zusammentreffen mit dem prominenten Forscher berichtet er im Interview:
Allen: Hier muss ich differenzieren: Gesehen habe ich Stephen zum ersten Mal im Jahr 1976, als ich mit siebzehn Jahren am MIT in Boston studierte. Einer meiner Professoren hatte mir empfohlen, einen Vortrag von ihm zu hören, den er dort hielt. Und so saß ich im Publikum und sah, wie er in seinem Rollstuhl in den Saal fuhr. Vier Jahre später dann wurde ich sein Doktorand. 1980 war das. Unser erstes Treffen fand in der Teeküche statt in Cambridge am Institut für Angewandte Mathematik und Theoretische Physik. Es war mein erster Tag dort. Stephen kam auf einen Tee herein, und ich wurde ihm vorgestellt.
Reuning: Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?
Allen: Mein erster Eindruck war: Das ist ein schlauer Mensch. Das konnte man seinen Augen ablesen. Und mir wurde schlagartig klar, dass die Verständigung mit ihm schwierig werden dürfte. Denn ich hatte Probleme, ihn zu verstehen. Seine Stimme war sehr monoton. Im Laufe der Zeit ging es dann immer besser. Aber wer ihn nicht kannte, hatte es in dieser Hinsicht schwer. In meinem letzten Jahr als Doktorand habe ich ihn auf einigen seiner Reisen begleitet. Wenn er seine Vorträge hielt, dann diente ich ihm als eine Art Übersetzer. Während dieser Zeit habe ich ihn wirklich gut kennengelernt. Er konnte manchmal auch sehr ungeduldig sein mit seinen Mitmenschen. Zum Beispiel wenn jemand auf uns zukam und dann mit mir sprach, weil derjenige dachte, Stephen könne ihn nicht verstehen. So etwas hat ihn dann immer frustriert.
"Er war schlicht und einfach die führende Autorität"
Reuning: Warum haben Sie gerade ihn als Doktorvater ausgewählt? War es seine Forschung oder war es eher seine Persönlichkeit?
Allen: Seine Arbeiten auf den Gebieten der Allgemeinen Relativitätstheorie und Kosmologie spielten in einer ganz anderen Klasse als die restliche Forschung damals zu diesen Themen. Er war schlicht und einfach die führende Autorität, ohne Zweifel. Und ich wollte mit dem Besten zusammen arbeiten.
Reuning: Wie würden Sie ihn beschreiben als Wissenschaftler und als Mensch? Was zeichnet ihn aus?
Allen: Fangen wir mit seiner Persönlichkeit an. Er besitzt einen bemerkenswert starken Willen. Er hat sich entschlossen, sein Leben zu leben trotz seiner Behinderung, es zu genießen und auszureizen. Und das tut er sehr zielstrebig. Sein besonderer Sinn für Humor hilft ihm dabei, vielen Herausforderungen auf seinem Lebensweg zu begegnen. Und als Wissenschaftler verfügt er über eine große Vorstellungskraft. Wie er Probleme löst, wie er an komplizierte Zusammenhänge heran geht, da ist seine Vorstellungskraft den anderen immer einen gewaltigen Schritt voraus. Er hat etwas von einem Magier.
Reuning: Stimmt es, dass er als Student eher ein wenig faul war?
Allen: Das hat mir Stephen tatsächlich selbst so erzählt. Als Student hatte er eine Menge Spaß, er ging auf viele Partys. Er hat sein Studentenleben genossen. Ich denke, das hat sich erst geändert, als er krank wurde. Er verspürte plötzlich, wie ihm die Zeit davon lief. Und ihm wurde bewusst, dass er mit seinem Leben etwas würde erreichen wollen. Das war der Zeitpunkt, als er damit anfing, sich auf seine Forschung zu konzentrieren.
"Schwarze Löcher verdampfen"
Reuning: Worin besteht denn für Sie Stephen Hawkings wichtigste Leistung auf dem Gebiet der Theoretischen Physik?
Allen: Meiner Meinung nach gibt es da sogar zwei Ergebnisse. Für mich am wichtigsten ist seine Aussage, die meiner Meinung nach noch in tausend Jahren von Bedeutung sein dürfte, nämlich dass Schwarze Löcher verdampfen. Eine andere wichtige Aussage hat er auf dem Gebiet der Singularitäten-Theoreme getroffen. Er konnte im Grunde genommen beweisen, dass unser Universum zu einem endlichen Zeitpunkt in der Vergangenheit entstanden ist. Aber seine allergrößte Leistung liegt auf dem Gebiet der Verdampfung von Schwarzen Löchern.
Reuning: Ja, aber konnten seine Berechnungen dazu denn auch durch Beobachtungen bestätigt werden?
Allen: Nein, aber zu jener Zeit, als Stephen seine Aussage traf, herrschte in der Fachwelt noch nicht einmal Einigkeit darüber, ob Schwarze Löcher in unserem Universum überhaupt existieren. Mittlerweile haben wir viele von ihnen gefunden und im Detail untersucht. Aber unglücklicherweise sind diese Schwarzen Löcher so groß, dass der von Hawking beschriebene Prozess nicht wirklich sichtbar ist, nicht für unsere Instrumente. Aber es gibt Forscher, die im Labor Systeme erzeugen konnten, die große Ähnlichkeiten mit Schwarzen Löchern aufweisen. Es handelt sich nicht wirklich Schwarze Löcher, aber sie verhalten sich in gewisser Hinsicht so. Und tatsächlich tritt dort der Effekt auf.
Albert Einstein
Undatiertes Foto von Albert Einstein. (imago/United Archives)
Reuning: Wie sehen Sie das: Ist Stephen Hawking ein zweiter Albert Einstein?
Allen: Ich denke, Stephen ist einer der klügsten Menschen, die mir je begegnet sind. Und im Laufe meines Berufslebens habe ich eine ganze Reihe schlauer Menschen getroffen. Einstein ist mir verständlicherweise niemals begegnet, denn er ist vor meiner Geburt schon gestorben. Ein direkter Vergleich fällt mir daher schwer. Aber meiner Meinung nach gehört Stephen zu den herausragenden Wissenschaftlern. Ich sehe ihn in einer Reihe mit Newton, Einstein, Feynman und anderen bedeutenden Forschern.
Reuning: Prof. Bruce Allen vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. Die größte Leistung von Stephen Hawking besteht für ihn in der verblüffenden Erkenntnis, dass Schwarze Löcher regelrecht verdampfen und damit kleiner werden. Und diese Ansicht dürfte er wohl auch mit dem Großteil seiner Fachkollegen teilen. Was sich hinter diesem Phänomen genau verbirgt, erklärt Frank Grotelüschen.

Ein Riesenstern am Ende seines Daseins. Erst bläht er sich auf, dann explodiert er mit enormer Wucht. Zurück bleibt eine winzige, aber unvorstellbar kompakte Sternleiche – mit einer Gravitation so gewaltig, dass sie selbst Licht verschluckt. Deshalb ist das Gebilde absolut schwarz – ein Schwarzes Loch. So und nicht anders muss es sein, da sind sich die Kosmologen der 70er Jahren sicher. Nur einer hat seine Zweifel.
"Theoretisch müsste es so sein, dass Schwarze Löcher eine Temperatur besitzen. Und wenn sie eine Temperatur haben, sollten sie Strahlung abgeben. Aber wie können sie Strahlung abgeben, wenn nichts aus einem schwarzen Loch entkommen kann?"
Stephen Hawking beginnt zu tüfteln und zu rätseln – und stößt schließlich auf eine überraschende Lösung: Es sind bestimmte Quanteneffekte, die am Rand eines Schwarzen Lochs wirken und ihm dadurch Energie entziehen sollten.
"Daraus folgt, dass Schwarze Löcher strahlen." sagt Klaus Fredenhagen, Physiker an der Universität Hamburg.
"Das ist im Widerspruch zur Allgemeinen Relativitätstheorie, wo Schwarze Löcher nur wachsen, aber nicht Energie verlieren können. Nach Hawking können sie aber auch Energie verlieren. Und man sagt voraus, dass diese Schwarzen Löcher nach einer gewissen Zeit völlig verdampfen!"
Gibt es die "Hawking-Strahlung" tatsächlich?
Zunächst ist Hawkings Theorie umstritten. Doch nach und nach setzt sie sich durch, und heute halten sie die meisten Fachleute für plausibel. Eines allerdings fehlt noch: der schlagende experimentelle Beweis, dass es die Hawking-Strahlung tatsächlich gibt.
"Man hat danach gesucht, ob es kleine Schwarze Löcher gibt. Die würden eine höhere Temperatur haben. Aber die hat man experimentell nicht entdeckt. Wenn man solche kleinen Schwarzen Löcher entdeckt und bei denen die Strahlung nachweist, dann wäre er sicherlich ein heißer Kandidat für den Nobelpreis."
Denn auch wenn Hawking als einer der genialsten Physiker unserer Zeit gilt und schon mit vielen Ehrungen überhäuft wurde – eine Auszeichnung ist ihm bislang versagt geblieben: der Nobelpreis.
"Man könnte die von Schwarzen Löchern ausgehende Strahlung durchaus messen – aber es scheint hier in der Gegend einfach keine zu geben. Das ist schade. Denn sollte man eines entdecken, dann würde ich bestimmt den Nobelpreis bekommen."
Reuning: Die Hawking-Strahlung, ein zentraler Baustein im Lebenswerk des britischen Forschers. Was es damit auf sich hat, erklärte der Wissenschaftsjournalist und Physiker Frank Grotelüschen.

Gegen die absolute Schwarzmalerei bei den Schwarzen Löchern wendet sich Stephen Hawking in diesem Vortrag. Und er gibt dem Publikum auch einen Ratschlag mit auf den Weg: Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie sich in einem Schwarzen Loch befinden, geben Sie nicht auf. Es gibt einen Weg nach draußen. Schwarze Löcher und die Hawking-Strahlung, die von ihnen ausgeht. Das war eines seiner Forschungsobjekte. Aber viele andere Themen haben den Theoretiker beschäftigt:
So zum Beispiel das Wesen der Zeit, die Frage nach dem Urknall und die Suche nach einer Weltformel.
"Die Entdeckung, dass sich das Universum stetig ausdehnt, legte die Möglichkeit nahe, dass es irgendwann mal einen Anfang hatte. Dieser Augenblick ist als Big Bang bekannt geworden."
Urknall und Weltformel, Quantenmechanik und Allgemeine Relativität. Es sind die großen Themen der Physik, die Stephen Hawking zeit seines Lebens in den Bann ziehen.
Eine neue Aufnahme des Weltraumteleskops "Hubble", die am 9.3.2004 veröffentlicht wurde. Sie zeigt etwa 10000 Galaxien, einige von ihnen in chaotisch wirkender Formgestaltung. Die Aufnahme erfasst nur einen äußerst kleinen Teil des Himmels unterhalb des Sternbilds Orion, bezeichnet als "Hubble Ultra Deep Field" (HUDF). 
Ein Blick in die Kinderstube des Universums (vor mehr als 13 Milliarden Jahren). (picture-alliance/dpa/dpaweb)
"Wir kennen die Gesetze, denen die Materie unter normalen Umständen gehorcht. Aber jene Gesetze, die während des Urknalls geherrscht haben, kennen wir nicht. Deshalb verstehen wir nicht, wie das Universum angefangen hat und warum es den Kosmos gibt. Diese Fragen haben die Menschheit schon immer bewegt. Eine einheitliche Theorie der Physik wird sie endlich beantworten."
"Die Grenzen der modernen Physik zu verschieben"
Schon zu Beginn seiner Karriere, in seiner Doktorarbeit, schafft es Hawking, die Grenzen der modernen Physik zu verschieben, sagt seine ehemalige Doktorandin Fay Dowker.
"Es kennzeichnet einen großen Wissenschaftler, dass seine Ergebnisse Türen öffnen für völlig neue Dinge. Zum Beispiel Stephens frühe Arbeiten zur Allgemeinen Relativitätstheorie, als er mathematisch bewies, dass das Universum in einer Singularität begonnen haben muss, also in einem unfassbar winzigen Punkt. Ein Zustand, der sich mit der heutigen Physik nicht beschreiben lässt. Deshalb brauchen wir eine neue Theorie, die Quantengravitation."
Bislang fußt die Physik auf zwei Pfeilern: der Quantenphysik und Einsteins Allgemeiner Relativität. Erstere beschreibt den Mikrokosmos, also Atome und Elementarteilchen. Letztere bezieht sich auf die Welt im Großen, auf Planeten, Sterne und Galaxien. Nur: Beide Theorien passen nicht zueinander, widersprechen sich zum Teil sogar.
"Die Allgemeine Relativität ist eine klassische Theorie. Sie setzt für jedes Teilchen eine definierte Bewegung voraus. Dagegen kennt die Quantenmechanik ein Element des Zufalls und der Unschärfe."
Eine neue Theorie soll Einstein und die Quanten unter einen Hut bringen – die Quantengravitation. Nach ihr fahndet Hawking sein Leben lang, probiert verschiedenste Ansätze, an denen er auch schon mal scheitert. Aber wer weiß: Vielleicht stößt Hawking ja noch auf die Lösung und finden den Heiligen Gral der Physik. Denn aufgegeben, meint Fay Dowker, hat der bekannteste Physiker unserer Tage noch nicht.
"Er wird, solange er lebt, immer Physik betreiben."

Interview mit Physikerin und Bloggerin Dr. Sabine Hossenfelder
Arndt Reuning: Stephen Hawking hat mit seinen Modellen und Ideen ganze Generationen von Forscher beeinflusst. Auch heute noch, im Alter von 75 Jahren, gilt er als wichtige Inspirationsquelle. Eine Physikerin und Bloggerin, die sich auf ganz ähnlichen Themenfeldern tummelt wie Hawking, ist Dr. Sabine Hossenfelder vom Frankfurt Institute of Advanced Studies. Im Interview erklärt sie, wie sie als Expertin auf diesem Gebiet die Arbeiten des Briten wahrnimmt.
Sabine Hossenfelder: Die Arbeiten von Stephen Hawking insbesondere in den Siebzigern waren in unserem Gebiet sehr einflussreich. Das bekannteste Ergebnis, was er hergeleitet hat, ist vermutlich, dass Schwarze Löcher Strahlung abgeben, die sogenannte Hawking-Strahlung. Das hat er in den frühen Siebzigerjahren berechnet. Und dieses Resultat war extrem einflussreich. Man muss das ein wenig im Kontext sehen, wieso das so tief eingeschlagen ist. Diese Rechnung hat die Quantenfeldtheorien zusammengebracht mit der Allgemeinen Relativitätstheorie, und das Ergebnis hat ganz klar gezeigt: Wenn man das einfach so zusammenwirft, dann funktioniert das nicht richtig, ist mathematisch inkonsistent. Und damit hat Stephen Hawking halt ein klares Beispiel gezeigt, warum wir eine Theorie der Quantengravitation brauchen. Wenn wir diese Theorie nicht haben, kommt dabei halt Blödsinn hinten raus. Und das nennt sich jetzt das Problem des Informationsverlusts in Schwarzen Löchern.
"Es ist eine thermische Strahlung - ähnlich wie die von der Sonne"
Reuning: Sie hatten bereits die Hawking-Strahlung erwähnt, also das Modell, nach dem Schwarze Löcher gar nicht so schwarz sind, wie man denkt, sondern dass sie eben Strahlung abgeben. Warum ist diese Erkenntnis so wichtig?
Hossenfelder: Diese Erkenntnis ist so wichtig, weil wenn man sich genau anguckt, wie diese Hawking-Strahlung aussieht, dann findet man: Es ist eine thermische Strahlung. Also die Verteilung dieser Teilchen über die Energie ist thermisch, so ähnlich wie die von der Sonne. Und diese Teilchen, die da rauskommen, sind komplett unkorreliert. Die enthalten also keine Information außer der Temperatur selber. Und jetzt was passiert, wenn man solch ein Schwarzes Loch macht? Das emittiert also diese Strahlung. Die Strahlung enthält keine Information. Irgendwann ist das Schwarze Loch komplett weg. Und alles, was man jetzt hat, ist diese Strahlung. Die Strahlung enthält aber keine Information über das, was ursprünglich dieses schwarze Loch geformt hat. Und jetzt hat man ein Problem. Weil das ist ein Prozess, der ist irreversibel, wie man so schön sagt bei uns. Den kann man also nicht umkehren, weil es ist vollkommen Wurst, was dieses Schwarze Loch geformt hat. Nachher hat man immer dieselbe Strahlung. Das ist deshalb ein Problem, weil in der Quantentheorie können solche Prozesse nicht passieren. Das heißt, was Hawkings Rechnung also zeigt, ist: Wenn man mit der Allgemeinen Relativitätstheorie und eine Quantentheorie startet, und man wirft die einfach so zusammen, ist das Ergebnis nachher inkonsistent mit der Quantentheorie selbst. Das ist also ein interner Widerspruch.
Simulation der Kollision von zwei Schwarzen Löchern, wie sie vom Gravitationswellen-Detekto LIGO aufgezeichnet worden ist.
Simulation der Kollision von zwei Schwarzen Löchern, wie sie vom Gravitationswellen-Detekto LIGO aufgezeichnet worden ist. (SXS)
Reuning: Daher sein Versuch der sogenannten Quantengravitation, verstehe ich das richtig?
Hossenfelder: Es wird allgemein angenommen, dass man Quantengravitation braucht, um diese Inkonsistenz zu beheben. Genau wie das funktioniert, weiß keiner. Also wir haben noch immer keine akzeptierte Theorie für die Quantengravitation. Es gibt halt so ein paar Kandidaten für so eine Theorie, aber wissen tun wir’s nicht wirklich, was jetzt wirklich richtig ist.
Reuning: Ich versuche, es noch mal wiederzugeben: Quantengravitation ist der Versuch, die beiden großen, wichtigen Theoriegebäude der Physik miteinander zu vereinen. Zum einen die Allgemeine Relativitätstheorie und dann die Quantentheorie. Und das ist ja auch ein Gebiet, auf dem Sie arbeiten. Die beiden Theorien decken ja eigentlich die beiden entgegengesetzten Enden unserer Größenskala ab. Also die Planeten, Sterne, Galaxien auf der einen Seite und die Moleküle, Atome, subatomaren Partikel auf der anderen Seite. Wieso ist das also so wichtig, die beiden miteinander zu vermählen?
Hossenfelder: Das ist deshalb so wichtig, weil streng genommen das nicht stimmt, was Sie gerade gesagt haben. Es ist nicht so, dass die Quantentheorie nur eine Theorie ist, die nur auf kleinen Skalen wichtig ist. Quanteneffekte gibt es im Prinzip auf allen Skalen. Die können sich sehr weit ausbreiten. Es gibt zum Beispiel ein sehr schönes Experiment, was in der Gruppe in Wien mit Anton Zeilinger gemacht wurde vor ein paar Jahren. Die haben Photonen miteinander verschränkt in einem Experiment, was sich über hunderte von Kilometern streckte zwischen den Kanarischen Inseln. Also Quanteneffekte können sich über sehr große Strecken ausbreiten. Und die kommen irgendwann in einen Bereich, wo auch Gravitationseffekte wichtig sind. Und umgekehrt gibt es auch keinen Grund anzunehmen, dass die Allgemeine Relativitätstheorie auf sehr kleinen Abständen, zum Beispiel innerhalb von einem Atom, nicht mehr anwendbar ist. Es ist halt nur, dass die Gravitationskraft von einem Atom, die ist so gering, dass wir sie nicht messen können. Aber im Prinzip sollte man diese beiden Theorien beide auf den gleichen Skalen einsetzen können. Das funktioniert halt einfach mathematisch nicht.
Hawkings "Kurze Geschichte der Zeit" - zehn Millionen Mal verkauft
Reuning: Die Physikerin Sabine Hossenfelder war das. Und nicht nur in fachlicher Hinsicht tritt sie in die Fußstapfen des Promi-Forschers, sondern auch als populärwissenschaftliche Autorin. Denn eine Sendung über Stephen Hawking wäre wohl nicht komplett, ohne über seine "Kurze Geschichte der Zeit" zu reden. Über zehn Millionen mal ist dieses Buch verkauft worden. Es ist jedoch anzunehmen, dass es weitaus seltener auch komplett gelesen wurde. Ist das Universum unendlich oder begrenzt? Wo liegt sein Anfang, wo sein Ende? Diese grundlegenden Fragen behandelt das Sachbuch, das 1988 erstmals erschienen ist. Wie wichtig war dieses Buch für das Phänomen Stephen Hawking? Das die Physikerin und Wissenschafts-Bloggerin Sabine Hossenfelder im Interview:
Hossenfelder: Ich denke, dieses Buch war durchaus der Startpunkt für das Phänomen Stephen Hawking, wodurch er der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Ich kann auch anfügen, dass mir selbst Stephen Hawking dadurch bekannt wurde. Ich habe das Buch gelesen, als es auf Deutsch herausgekommen ist in den 80ern irgendwann, als ich Teenager war, und ich habe nichts verstanden. Und das Ganze hat mit so geärgert, dass ich nachher Physik studiert habe.
Reuning: Und wie denkt die Fachwelt über dieses mediale Auftreten von Stephen Hawking?
Hossenfelder: Ich würde mal sagen, nicht viel. Man beobachtet das halt mit so einem gewissen kuriosen Interesse.
Einer der ersten Forscher, der für ein großes Publikum schrieb
Reuning: Sie selbst sind auch Bloggerin, Sie verfassen populärwissenschaftliche Texte. Wie nehmen Sie denn diese Situation wahr? Ist das ein gewisser Zwiespalt, in dem Sie sich befinden als Physikerin und eben Wissenschaftskommunikatorin?
Hossenfelder: Es gibt halt allgemein so einen Zwiespalt, den man da hat, wenn man für ein anderes Publikum schreibt, wo man nicht seine Kollegen drin hat, die sich sehr gut auskennen mit dem Thema, sondern halt so den Durchschnittsbürger mit einer Schulausbildung. Da muss man halt sich etwas allgemeiner ausdrücken. Man muss mit Fachbegriffen vorsichtig sein, und dadurch wird das Ganze zwangsläufig ein bisschen vage und inakkurat. Also, dieser Zwiespalt ist einfach immer da. Aber um vielleicht auf Stephen Hawking zurückzukommen: Was an seinem Buch damals so wichtig war, ist, dass er einer der ersten war, der über recht obskure Themen in der Theoretischen Physik geschrieben hat für ein größeres Publikum. Und damals in den 80ern gab es einfach nicht viele Bücher, die das mutig gemacht haben. Und er war wirklich einer der ersten, der das gezeigt hat: Ja, die Leute interessiert das. Die wollen wissen:
Was passiert denn, wenn man in ein Schwarzes Loch reinfällt. Oder hatte das Universum einen Anfang. Oder macht es Sinn, die Frage zu stellen, was vor diesem Anfang war? Und diese ganzen Themen, die er in seinem Buch angesprochen hat. Und ich denke, das hat viele meiner Kollegen auch inspiriert zu sagen: "Wenn der das kann, dann kann ich das auch." Und wenn Sie sich heute die Medienlandschaft angucken, populärwissenschaftliche Bücher, dann ist die Theoretische Physik sehr stark vertreten. Und ich denke Stephen Hawking hat da sehr viel Einfluss gehabt auf meine Kollegen und auch auf die Buchwelt im Allgemeinen, dass sie den Mut hatten, das anzugehen.

Mit Singularitäten hat sich Stephen Hawking intensiv beschäftigt. Also mit Orten, an denen die Dichte unendlich groß ist. Eine Singularität ist aber auch einfach ein Phänomen, das sich der herkömmlichen Beschreibung entzieht, das die Kategorien sprengt, eine vereinzelte Erscheinung. Und so könnte man argumentieren, dass Stephen Hawking selbst eine Singularität darstellt in der Welt der Wissenschaft. Stephen Hawking Superstar – Die Physik-Ikone wird 75. Das war Forschung aktuell, Wissenschaft im Brennpunkt. In der Technik war Christoph Maria Münch, am Mikrofon verabschiedet sich Arndt Reuning.