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75-jähriges Jubiläum
Galerie St. Etienne - klein, aber sehr fein

Otto Kallir eröffnete 1939 die Galerie St. Etienne in New York. Damals zeigte der Immigrant vor allem Werke aus seiner Heimat Österreich - auch wenn das nicht dem damaligen Zeitgeschmack entsprach. Zum 75. Geburtstag der Galerie werden hauptsächlich Arbeiten jener Künstler gezeigt, die Otto Kallir in den Vereinigten Staaten als erster vertreten hatte.

Von Sacha Verna |
    Blick auf den New Yorker Stadtteil Manhatten
    Werke von Egon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka präsentierte der Otto Kallir aus Österreich in seinen Räumen an der 57. Strasse in Manhattan. (picture alliance / dpa - Daniel Bockwoldt)
    Als Otto Kallir die Galerie St. Etienne 1939 eröffnete, kratzte sich das New Yorker Publikum am Kopf. Egon Schiele, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka: Von den Künstlern, deren Werke der Immigrant aus Österreich in seinen Räumen an der 57. Straße in Manhattan präsentierte, hatten die wenigsten Besucher schon einmal gehört. Und was sie sahen, entsprach nicht dem Zeitgeschmack.
    "Die Kunst, die beliebt war, war die französische Kunst. Alles hat sich nach französischer Kunst gerichtet. Dann begann der Krieg, und die Deutschen, ob sie jetzt degenerierte Kunst, die sogenannte verfemte, von den Nazis verfemte Kunst - die war genauso unbeliebt wie alles andere Deutsche."
    Hildegart Bachert ist die langjährige Geschäftspartnerin von Otto Kallir. Die bald 93-Jährige leitet die Galerie seit dem Tod des Gründers 1978 zusammen mit dessen Enkelin Jane Kallir.
    Zum 75. Geburtstag der Galerie zeigen Hildegart Bachert und Jane Kallir hauptsächlich Arbeiten jener Künstler, Otto Kallir in den Vereinigten Staaten als erster vertreten hat. Zu sehen sind die "Insel im Attersee" von Gustav Klimt von 1901 und Egon Schieles "Die Brücke" von 1913, aber auch Zeichnungen von Alfred Kubin und Käthe Kollwitz:
    "Die einzige, die irgendwie durchgerutscht ist, war Kollwitz. Weil sie sich an die sozialen Aspekte gereichtet hat. Man erstens gespürt und erkannt hat, dass sie eine große Künstlerin war. Aber außerdem war ihre Botschaft so generell und so übersetzbar in die gleiche Not, die hier in Amerika damals geherrscht hat, dass dieses Vorurteil für deutsche Kunst übersehen wurde. Und wir kamen in den 40er Jahren sehr weit voraus mit Kollwitz. Besser als mit den anderen Künstlern."
    Einzigartige Mischung
    Die Galerie St. Etienne hat in den Vereinigten Staaten Einzigartiges für die deutsche und österreichische Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geleistet und für den Expressionismus ganz besonders. Einzigartig ist aber auch die Mischung ihres Programms. Für die amerikanische Gegenwartskunst seiner Zeit konnte sich Otto Kallir nämlich nie erwärmen. Viel mehr interessierte ihn die naive Kunst, die American Folk Art. Eine seiner ersten großen Entdeckungen war die Autodidaktin Grandma Moses. Inzwischen betreut die Galerie St. Etienne den Nachlass dieser weltberühmt gewordenen Farmersfrau. Ihre Bilder mit pittoresken Szenen aus dem Leben einfacher Leute auf dem Land nehmen in der Jubiläumsausstellung einen Ehrenplatz ein.
    Die Kunstwelt sei heute offener für unbekannte Künstler als früher, sagt Jane Kallir. Wie schon ihr Großvater es war, ist sie jedoch wenig erfreut über die Rolle, die Kunst mittlerweile als Spekulationsobjekt spielt. Nicht zuletzt deshalb besteht ein wesentlicher Teil der Jubiläumsausstellung aus unverkäuflichen Leihgaben.
    "Wir stehen für Kunst mit einer menschlichen Seele"
    Das Tätigkeitsfeld der Galerie St. Etienne ist breiter geworden. Bereits Otto Kallir erarbeitete Werkverzeichnisse von Künstlern wie Richard Gerstl. Dazu kommen regelmäßig neue wissenschaftliche Publikationen. Jane Kallir und Hildegart Bachert schätzen und prüfen Werke für Kunden auf ihre Echtheit, und sie kuratieren Museumsausstellungen. Expansionen planen sie allerdings keine.
    "Wir stehen für Kunst mit einer menschlichen Seele. Ob es sich dabei um die Landschaftsbilder von Grandma Moses handelt, um die sexuellen Erkundungen von Klimt oder Schiele oder um das politisch und sozial motivierte Werk von Käthe Kollwitz: Was wir zeigen, bezieht sich auf das Leben, wie es die Leute wirklich leben und erfahren."
    Klein, aber sehr fein: Damit hat sich die Galerie St. Etienne etabliert. Und dieses Erbe wollen Jane Kallir und Hildegart Bachert für mindestens weitere 75 Jahre sichern.