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75 Jahre Helden, Übermenschen und Abenteurer

Die Heroenschmiede wird 75 Jahre alt. Gemeint ist der amerikanische DC Verlag, der Helden wie Superman, Batman oder Wonder Women herausbrachte. Paul Levitz hat selbst Geschichten für die DC-Helden geschrieben und nun dieses Jubiläumsbuch.

Hartmut Kasper | 25.02.2011
    ""Look up in the Sky! It's a Bird... It's a Plane... It's Superman!”"

    Wer in den Himmel über unserer Realität schaut, wird den Luftraum eher dünn besiedelt finden: Flugzeuge ja, Vögel auch - an Supermännern aber herrscht nach wie vor ein eklatanter Mangel. Dabei feiert der US-amerikanische Verlag, dem die Welt Superman und ganze Heerscharen kostümierter Nachfolger verdankt, nun ein beeindruckendes Jubiläum. Seit einem dreiviertel Jahrhundert bedient der DC-Verlag − wenn auch nicht von Beginn an unter diesem Namen − den Markt der populären Kunst mit seinem Sortiment an Helden, Übermenschen und exotischen Abenteurern.

    Aus diesem Grund hat Paul Levitz der Heroenschmiede ein monumentales Buch gewidmet. Levitz ist im Übrigen, was die Superdamen und -herren angeht, kein Außenstehender. Er hat selbst Geschichten für die meisten der klassischen DC-Helden geschrieben. Er wurde Anfang der 1970er-Jahre zum Redakteur und wechselte 1980 in die Geschäftsführung des Verlags, den er von 2002 bis 2010 als Generaldirektor und Herausgeber leitete und für den er auch heute noch als Autor und beratender Redakteur tätig ist.

    Levitz erzählt, weitgehend chronologisch, die Geschichte der Mythenfabrik und ihrer federführenden Mitarbeiter.

    Eine Theorie der Mythen wird nicht geliefert - Mythen sind für Levitz schlicht Geschichten, die immer wieder und immer wieder neu erzählt werden, konzentriert auf eine herausragende Figur und ihre Ensemble, gewissermaßen ihre erweiterte Familie.

    Der Band hat ein Format, das seinem übermenschlichen Gegenstand durchaus angemessen ist. Seine 41 mal 31 Zentimeter würden in keiner Klosterbibliothek zwischen mittelalterlichen Folianten untergehen. Das Werk bringt sieben Kilogramm auf die Waage - und damit etwa so viel, wie der junge, der ganz junge Superman gewogen haben dürfte, als ihn - denn so geht die Legende - die Eltern mittels Rakete von seinem sterbenden Heimatplaneten Krypton auf die Reise zur Erde geschickt haben, wo er, im US-amerikanischen Metropolis, zu sagenhaften Kräften kommen und übernatürlich viel Gutes tun wird.

    Ihm, dem ersten, haben die Künstler von DC im Laufe der Zeit ganze Legionen von Superhelden zur Seite gestellt: darunter den düsteren Batman, den blitzschnellen Flash, die wahrheitsliebende Amazone Wonder Woman oder Green Lantern, der mit seinem wundertätigen Ring die Gebilde seiner Fantasie in Realität verwandeln kann - nahezu ein Sinnbild für das Schaffen der DC-Autorenschaft.

    Jeder Superheld hat seine Origin Story, eine Legende, die zunächst die Herkunft seiner titanischen Fähigkeiten erklärt. Alsdann schneidert er sich ein geeignetes Kostüm, eine zweite, öffentliche Haut, hinter der seine bürgerliche Existenz verborgen und mithin geschützt liegt. In aller Regel ähnelt dieser Arbeitsanzug dem Trikot eines Zirkusartisten, ist eng anliegend und farbenfroh.

    Und wie kunterbunte, viel versprechende Zirkusplakate wirken denn auch die Bilder in dieser Wucht von einem Buch, die auf das Überformat vergrößerten Titelseiten ältester, klassischer und neuer Comic-Hefte. Sie zeigen die Helden in Aktion, rücken sie so nah wie selten zuvor, sie und ihre Gegenspieler, und die sonderbaren Orte, an denen sie leben: die Festung der Einsamkeit im ewigen Eis, die Flaschenstadt Kandor, die Bat-Höhle mit ihrem Hort an Bat-Gerätschaften, alles wie unter eine Lupe gelegt.

    Damit es spannend bleibt, braucht jeder Superheld eine spezifische Superschwäche, seine Achillesferse, ohne die in im Kampf gegen das Böse keine rechte Spannung aufkäme. Bei Superman ist es bekanntlich das Element Kryptonit, das ihm - als grünes Kryptonit - die Kräfte raubt, als weißes ihn in Gut und Böse spaltet, als rotes zu den sonderbarsten körperlichen Veränderungen führt und als rosafarbenes seine sexuelle Orientierung verändert.
    Levitz folgt in seiner Darstellung im Wesentlichen einer schlichten Chronologie.

    Man kann seine Superhelden-Verlagsgeschichte wahlweise im englischsprachigen Original lesen oder im beigelegten, fast 100-seitigen Heft im Comicformat, das den Text in deutscher Übersetzung enthält.

    Wir erfahren, wann wer welchen Superhelden kreiert oder nach etlichen Jahren im Dienst der Menschheit hat versterben lassen - in der Regel um ihn wenige Hefte später mit großem Pomp wieder auferstehen zu lassen. In schönem Kontrast stehen die farbenprächtigen Cover neben den Schwarzweiß-Fotografien der biederen Büros, in denen Autoren und Zeichner bei der Mythenarbeit sind, ein großes und generationenübergreifendes Team, zu dem auch Levitz gehört.

    Sein Mammutbuch ist ungefähr so historisch-kritisch wie ein Familienalbum. Aber wer blättert schon im fotografierten Gedächtnis der Seinen, um Forschung zu betreiben. Man freut sich, fast vergessene Onkel und Ahnen einmal wiederzusehen, und amüsiert sich über die Moden und Posen der alten Zeiten.

    Genau so ein Familienalbum ist dieses kolossale Werk. Man sieht die Superhelden bei ihren ersten, ungelenken Schritten. Man erfährt, welchen Einfluss die Drucktechnik und der Vertrieb auf ihre Geschichten genommen haben und das Kaufverhalten ihrer zu Beginn kindlichen, heute weitgehend erwachsenen Leser. Man sieht die Helden in den Zweiten Weltkrieg ziehen, danach auf fernen Welten als interplanetarische Science Fiction-Sternenfahrer wirken, und schließlich sieht man sie in unsere Gegenwart vordringen: Die Helden als Zeitgenossen, längst nicht mehr so naiv und zweifellos an die Vereinigten Staaten von Amerika glaubend, aber unverdrossen im Dienst des Guten unterwegs, mal in den eigenen Serien, mal im Crossover mit Kollegen oder in einem jährlichen Event, bei dem alle Superhelden mitspielen: der Final Crisis oder der Blackest Night.

    Und man denkt in Anbetracht der riesenhaften Reproduktionen, die die eigenen Finger fast so klein erscheinen lassen wie damals, als man zum ersten Mal ein Heft von Superman & Batman in den Händen hielt: Was haben wir doch für eine schöne Zeit miteinander gehabt.
    Das Bilderbuch von Levitz ist eine ebenso große wie großartige Hommage an diese überlebensgroßen Helden. Schauen wir also gelegentlich mal wieder hoch in den Himmel. Vielleicht ist es ja diesmal weder Vogel noch Flugzeug, sondern Superman.

    Paul Levitz: "75 Years of DC Comics. Die Kunst, moderne Mythen zu schaffen." Taschen Verlag. Köln 2010, 721 Seiten, 150 Euro