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8.2.1904 - Vor 100 Jahren

Am frühen Morgen des 8. Februar 1904 passierte ein Dampfer die Einfahrt zum russischen Kriegshafen Port Arthur. Seit 1898 per Pachtvertrag dem russischen Zarenreich von China überlassen und an der äußersten Spitze der Halbinsel Liatung gelegen, ließ sich von Port Arthur aus das gesamte Gelbe und Ostchinesische Meer kontrollieren. Genau dies war die Aufgabe der hier stationierten dreizehn Großkampfschiffe. Gemeinsam mit den Landtruppen verdeutlichten sie der Welt die auf China und Korea gerichteten Expansionsgelüste Russlands. Auch um den Preis eines Krieges, für dessen Fall der Feind eindeutig feststand: das sich gleichfalls auf Kosten Chinas und Koreas ausdehnende japanische Kaiserreich. Als Gegner indessen nahm die russische Armee und Marine Japan nicht ernst. Der Generalstabschef des 1. sibirischen Armeekorps, General Iwanow, urteilte:

Von Bernd Ulrich | 08.02.2004
    Der japanischen Armee fehlen alle soldatischen Eigenschaften. Die Stabsoffiziere besitzen weder Können noch Verständnis für das Kriegshandwerk.

    Einer der hoheitlichen Vertreter Japans auf dem chinesischen Festland, der Konsul der Stadt Tschifu, befand sich auf eben jenem Dampfer, der am 8. Februar 1904 in Port Arthur vor Anker ging. Das Schiff sollte japanische Bürger evakuieren, nachdem Japan zwei Tage zuvor die diplomatischen Beziehungen zu Russland abgebrochen hatte. Die Einschiffung ließ Zeit genug, Position und Bewaffnung der russischen Kreuzer und Linienschiffe auszukundschaften. Informationen, die an die herandampfenden japanischen Geschwader weitergereicht wurden. Japan nämlich hatte sich entschlossen, alle vorherigen Verhandlungen als gescheitert zu betrachten und die russischen Truppen in China und der Mandschurei anzugreifen. Der Überfall auf die russische Flotte, der noch in der Nacht zum 9. Februar begann, und mit ihrer fast vollständigen Vernichtung endete, bildete dabei nur die erste Etappe.

    In der Moskauer und Petersburger Hofkamarilla des Zaren Nikolaus II. wurde diese erste militärische Aktion der abfällig "Affen" genannten Japaner als bloßer "Flohbiss" verhöhnt. Selbst die am 10. Februar 1904 eintreffende japanische Kriegserklärung änderte nichts an der Arroganz der russischen Führung. Ihr schien der Krieg - und der erwartete rasche Sieg - ein überaus probates Mittel, nicht nur an Land und Einfluss zu gewinnen, sondern auch von den gärenden, sozialen Unruhen im Inneren des Riesenreiches abzulenken.

    In den mittleren und unteren Führungsebenen sah man indessen mit Bangen dem Krieg entgegen. Einen Begriff davon gibt in seinen Memoiren der russische Soziologe Fedor Stepun, der von seinem Studium in Heidelberg aus zu den Fahnen gerufen wurde. Bei der Ankunft in seiner Einheit machte der Kompaniehauptmann, so Stepun,

    ohne Rücksicht auf des Zaren Rock, den er trug, die Regierung in der offenherzigsten Weise herunter, entrüstete sich über die allerorten herrschende grobe Schlamperei und bewies, nicht ohne Humor, dass es schwer fallen dürfte, den Krieg zu gewinnen, wenn schon die Mobilmachung von solchen kauzigen Idioten wie unserem General durchgeführt werde.

    Schlecht geführt, mangelhaft ausgerüstet und kaum motiviert sahen sich die Russen einem schlagkräftigen, den Einsatz der Artillerie und des Maschinengewehrs perfekt beherrschenden Feind gegenüber. Der Krieg wurde für Russland zu einer einzigen Katastrophe. Die fast einen Monat dauernde Schlacht bei Mukden im Februar/März und die Seeschlacht bei Tsushima im Mai 1905 waren die verlustreichen Höhepunkte dieses Desasters. Erst am 5. September 1905 brachte ein durch amerikanische Vermittlung erzielter Vertrag den Frieden.

    Der innere Frieden im Zarenreich war unterdessen zur bloßen Makulatur geworden. Anders als erwartet, konnte das Aufbegehren des liberalen Adels und Bürgertums sowie die Proteste der Arbeiter und Bauern nicht in einer nationalen Einheitsfront gegen Japan aufgelöst und abgeleitet werden. Der Krieg verschärfte vielmehr die Protestbereitschaft noch und revolutionäre Erhebungen gefährdeten die zaristische Herrschaft. Als am 22. Januar 1905 über 150.000 Arbeiter in St. Petersburg friedlich zum Winterpalais zogen, um dem Zaren eine Bittschrift zu überreichen, schossen die Wachtruppen in die Menge und verletzten und töteten Tausende von Menschen.

    Was das Herbeiströmen einer aufrührerischen Menschenmenge betrifft, die mir Eure Bittschriften erläutern will, so ist das ein krimineller Akt. Doch im Vertrauen auf Eure Treue bin ich bereit, Euch Eure Schuld zu verzeihen,

    gab der Zar einer Arbeiterdelegation bekannt, die er kurz nach dem "Blutsonntag" empfing. Er hatte ersichtlich nicht begriffen, dass eine Reform des zaristischen Feudalstaates überfällig war. Trotz einiger weniger zaghafter Zugeständnisse, vermochte erst der massive Einsatz von Truppen die Aufstände zu unterdrücken. Sie sollte das Fanal für die bolschewistische Revolution im Oktober 1917 werden.