Michael Köhler: Auf die 68er drauf zu hauen, fällt nicht schwer, ihnen in ihrem Kampf gegen Aggression und Repression selber Aggression und Repression nachzuweisen, fällt leicht. Politische Gegner wurden als Henker bezeichnet, das Springer-Haus in Berlin in Brand zu stecken, wurde als emanzipatorischer Akt begrüßt und so fort. Die Politisierung der Hochschulen und des öffentlichen Lebens sind nicht sofort als Beitrag zur Demokratisierung der Bundesrepublik empfunden worden. Zu den vielen Beiträgen in Buchform gesellt sich nun auch eine Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt unter dem Titel "Die 68er. Kurzer Sommer - lange Wirkung". Che Guevara, roter Stern, Friedenstaube und Bananen-Graffiti sind als grafische Elemente auf dem Titelblatt übereinandergelegt. Da bringt man schon zusammen, was nicht zusammengehört unter dem Titel, "Kurzer Sommer - lange Wirkung"? Ruth Fühner, was ist zu sehen, Flugschriften?
Ruth Fühner: Das auch. Aber es fängt erst mal räumlich fast mit so einer Art Heiligsprechung an. Der Eingang ist sakral, eine dunkle Reliquienkammer, in erleuchteten Vitrinen liegen Erinnerungsstücke von achten, die damals dabei gewesen sind. Das reicht von Daniel Cohn-Bendit bis zu Beate Klarsfeld. Man erinnert sich vielleicht. Die hat den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ...
Köhler: Kiesinger, 68.
Fühner: ... eine Ohrfeige ins Gesicht geschmettert wegen seine Nazi-Vergangenheit. KD Wolff, damals SDS-Vorsitzender, heute Verleger, hat da ein Bruchstück eines US-Bombers ausgestellt, der über Vietnam abgeschossen wurde, die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen eine Packung Roth-Händle. Und die Vitrine des Iraners Bahman Nirumand, die ist leer geblieben, denn der hat alles im Iran zurückgelassen, als er vor einer ganz anderen Bewegung geflohen ist, nämlich vor der der Mullahs. Und diese acht Personen, das finde ich nun eine sehr schöne Idee bei dieser Ausstellung, die sind im selben Raum auf acht im Kreis herum gestellten Leinwänden zu sehen, wo sie sich zu einer virtuellen Diskussion gruppieren, darüber, was sie gewollt haben, was daraus geworden ist. Es ist ein dezidiert subjektiver Zugang. Und als Besucherin hofft man dann natürlich, dass das im Folgenden objektiviert und analysiert und auch zugespitzt wird.
Köhler: Ist es nicht sonderbar, dass das Schicksal der Revolution oder der Revolutionäre oder der Steinwerfer von damals ist, nun in Glasvitrinen ausgerechnet zu landen? Oder ist es - ich nehme die Sprache von damals auf - der integrale Kapitalismus, der noch seinen Widersacher zähmt?
Fühner: Wahrscheinlich ist es Letzteres. Ich bin mir nicht so ganz sicher, wie ironisch diese Ausstellung eigentlich gemeint ist. Man wird in diesem Haupttraum da mit Exponaten geradezu zugeschüttet, 700 sind es ungefähr, gegliedert nach den Slogans von damals. "Unter den Talaren", da geht es natürlich um die Unis, es war ja schließlich eine Studentenbewegung erst mal, dann "Das Private ist öffentlich", da geht es um WG-Leben. Anschließend kommt dann die Sexuelle Befreiung, die Frauenbewegung und die antiautoritäre Kindererziehung. Dann wird kräftig in einem Topf gerührt, Kapitalismuskritik und alternative Betriebsgründungen. Bei "Macht kaputt, was euch kaputt macht", da landen wir dann natürlich bei der Gewaltfrage.
Köhler: Ist der Blick ein lokaler oder ein globaler?
Fühner: Er ist zum Teil schon sehr lokal, zum Beispiel von den acht Protagonisten, die ich vorhin genannt habe, haben die meisten was mit Frankfurt zu tun gehabt. Man versucht, das so ein bisschen auszuweiten, indem man um die kreisförmige Struktur, in der diese ganze Ausstellung angeordnet ist, auch die verbrüderten Solidaritätsbewegungen in den USA, in Italien und natürlich auch den internationalen Solidaritätskampf extra abhandelt. Aber es konzentriert sich, ganz im wörtlichen Sinne, eben auch in dieser Kreisform auf das Lokale, ein bisschen ausgeweitet dann aufs Nationale. Aber was an Wirkung tatsächlich hier gezeigt wird auf der Ausstellung, das finde ich dann doch sehr problematisch. Denn der einzige Punkt, an dem sie wirklich über 68 zeitlich hinausgreift, ist eben die Frage nach dem Umgang mit der Gewalt, mit anderen Worten, die Mündung in den deutschen Herbst, die RAF.
Köhler: Wird das beantwortet in der Ausstellung?
Fühner: Sie beantwortet es im Grunde dadurch, dass das der einzige Moment ist der Nachwirkung, der dargestellt wird. Und das ist auch designtechnisch so gelöst, die Vitrine zum Thema RAF ist eine große runde Scheibe mit einem schwarzen Loch in der Mitte. Im Grunde ist es so: die lange Wirkung, die reduziert sich da auf den Terrorismus und verschwindet in ihm sozusagen wie in einem schwarzen Loch.
Köhler: Frau Fühner, abschließend gefragt. Würden Sie sagen, das ist eine politikwissenschaftlich-historische solide Ausstellung, die mich aber ein bisschen kalt lässt?
Fühner: Weder noch. Politikwissenschaftlich solide finde ich das überhaupt nicht, und zwar deswegen, weil so wahnsinnig viel ausgespart wird. Es werden nicht nur keine Antworten gegeben, es werden ja nicht mal Fragen gestellt. Zum Beispiel, was war denn mit der Kapitalismuskritik damals? Was sollten denn überhaupt diese vielen Marx-Schulungen? Was ist mit der Kritik der Kulturindustrie? Haben die 68er das Geschäft der Modernisierung betrieben? All das kommt hier überhaupt nicht vor. Aber bei der Ausstellung, die entwertet eigentlich ihren Gegenstand, indem sie auch übrigens ihren Gegner verharmlost. Was steht im Mittelpunkt? Wenn man von den Rändern auf den Mittelpunkt guckt, steht nichts von Aufbruchswelle, nicht Revolte, Popkultur, Hippies oder so was. Es ist eine Diashow von gepflegten Herrschaften in gepflegtem Ambiente, von Hausfrauen in ihrer Küche, so ein bisschen Doris-Day-mäßig, das Spießertum und das Establishment, gegen die es damals ging. Und wenn der Gegner so harmlos ist, dann fragt man sich: Was hat der ganze Aufstand eigentlich gesollt?
Ruth Fühner: Das auch. Aber es fängt erst mal räumlich fast mit so einer Art Heiligsprechung an. Der Eingang ist sakral, eine dunkle Reliquienkammer, in erleuchteten Vitrinen liegen Erinnerungsstücke von achten, die damals dabei gewesen sind. Das reicht von Daniel Cohn-Bendit bis zu Beate Klarsfeld. Man erinnert sich vielleicht. Die hat den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ...
Köhler: Kiesinger, 68.
Fühner: ... eine Ohrfeige ins Gesicht geschmettert wegen seine Nazi-Vergangenheit. KD Wolff, damals SDS-Vorsitzender, heute Verleger, hat da ein Bruchstück eines US-Bombers ausgestellt, der über Vietnam abgeschossen wurde, die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen eine Packung Roth-Händle. Und die Vitrine des Iraners Bahman Nirumand, die ist leer geblieben, denn der hat alles im Iran zurückgelassen, als er vor einer ganz anderen Bewegung geflohen ist, nämlich vor der der Mullahs. Und diese acht Personen, das finde ich nun eine sehr schöne Idee bei dieser Ausstellung, die sind im selben Raum auf acht im Kreis herum gestellten Leinwänden zu sehen, wo sie sich zu einer virtuellen Diskussion gruppieren, darüber, was sie gewollt haben, was daraus geworden ist. Es ist ein dezidiert subjektiver Zugang. Und als Besucherin hofft man dann natürlich, dass das im Folgenden objektiviert und analysiert und auch zugespitzt wird.
Köhler: Ist es nicht sonderbar, dass das Schicksal der Revolution oder der Revolutionäre oder der Steinwerfer von damals ist, nun in Glasvitrinen ausgerechnet zu landen? Oder ist es - ich nehme die Sprache von damals auf - der integrale Kapitalismus, der noch seinen Widersacher zähmt?
Fühner: Wahrscheinlich ist es Letzteres. Ich bin mir nicht so ganz sicher, wie ironisch diese Ausstellung eigentlich gemeint ist. Man wird in diesem Haupttraum da mit Exponaten geradezu zugeschüttet, 700 sind es ungefähr, gegliedert nach den Slogans von damals. "Unter den Talaren", da geht es natürlich um die Unis, es war ja schließlich eine Studentenbewegung erst mal, dann "Das Private ist öffentlich", da geht es um WG-Leben. Anschließend kommt dann die Sexuelle Befreiung, die Frauenbewegung und die antiautoritäre Kindererziehung. Dann wird kräftig in einem Topf gerührt, Kapitalismuskritik und alternative Betriebsgründungen. Bei "Macht kaputt, was euch kaputt macht", da landen wir dann natürlich bei der Gewaltfrage.
Köhler: Ist der Blick ein lokaler oder ein globaler?
Fühner: Er ist zum Teil schon sehr lokal, zum Beispiel von den acht Protagonisten, die ich vorhin genannt habe, haben die meisten was mit Frankfurt zu tun gehabt. Man versucht, das so ein bisschen auszuweiten, indem man um die kreisförmige Struktur, in der diese ganze Ausstellung angeordnet ist, auch die verbrüderten Solidaritätsbewegungen in den USA, in Italien und natürlich auch den internationalen Solidaritätskampf extra abhandelt. Aber es konzentriert sich, ganz im wörtlichen Sinne, eben auch in dieser Kreisform auf das Lokale, ein bisschen ausgeweitet dann aufs Nationale. Aber was an Wirkung tatsächlich hier gezeigt wird auf der Ausstellung, das finde ich dann doch sehr problematisch. Denn der einzige Punkt, an dem sie wirklich über 68 zeitlich hinausgreift, ist eben die Frage nach dem Umgang mit der Gewalt, mit anderen Worten, die Mündung in den deutschen Herbst, die RAF.
Köhler: Wird das beantwortet in der Ausstellung?
Fühner: Sie beantwortet es im Grunde dadurch, dass das der einzige Moment ist der Nachwirkung, der dargestellt wird. Und das ist auch designtechnisch so gelöst, die Vitrine zum Thema RAF ist eine große runde Scheibe mit einem schwarzen Loch in der Mitte. Im Grunde ist es so: die lange Wirkung, die reduziert sich da auf den Terrorismus und verschwindet in ihm sozusagen wie in einem schwarzen Loch.
Köhler: Frau Fühner, abschließend gefragt. Würden Sie sagen, das ist eine politikwissenschaftlich-historische solide Ausstellung, die mich aber ein bisschen kalt lässt?
Fühner: Weder noch. Politikwissenschaftlich solide finde ich das überhaupt nicht, und zwar deswegen, weil so wahnsinnig viel ausgespart wird. Es werden nicht nur keine Antworten gegeben, es werden ja nicht mal Fragen gestellt. Zum Beispiel, was war denn mit der Kapitalismuskritik damals? Was sollten denn überhaupt diese vielen Marx-Schulungen? Was ist mit der Kritik der Kulturindustrie? Haben die 68er das Geschäft der Modernisierung betrieben? All das kommt hier überhaupt nicht vor. Aber bei der Ausstellung, die entwertet eigentlich ihren Gegenstand, indem sie auch übrigens ihren Gegner verharmlost. Was steht im Mittelpunkt? Wenn man von den Rändern auf den Mittelpunkt guckt, steht nichts von Aufbruchswelle, nicht Revolte, Popkultur, Hippies oder so was. Es ist eine Diashow von gepflegten Herrschaften in gepflegtem Ambiente, von Hausfrauen in ihrer Küche, so ein bisschen Doris-Day-mäßig, das Spießertum und das Establishment, gegen die es damals ging. Und wenn der Gegner so harmlos ist, dann fragt man sich: Was hat der ganze Aufstand eigentlich gesollt?