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80 Jahre Castro

"Die Autobiographie des Fidel Castro" hat der kubanische Schriftsteller Norberto Fuentes sein Buch über den kubanischen Regierungschef genannt. Schon der Titel deutet an, womit der Leser es zu tun hat: mit einer imaginären Biographie - so scharf, so böse und so zynisch, wie es nur einer schreiben kann, der einen jahrelangen, gründlichen Desillusionierungsprozess hinter sich hat. Der chilenische Schriftsteller Jorge Edwards hat seine persönlichen Erfahrungen mit Castro und dessen Regime ebenfalls niedergeschrieben.

Von Kersten Knipp | 10.08.2006
    Irgendetwas muss schief gelaufen sein, sind sich die einig, die das Phänomen Fidel Castro psychologisch zu deuten suchen. Wie sonst, wenn nicht mit einem einschneidenden Erlebnis aus den frühen Jahren, sollte man einen über ein knappes halbes Jahrhundert durchgehaltenen politischen Willen erklären können? Unsinn entgegnet Fidel Castro, mit seiner Kindheit hat das nichts, gar nichts zu tun. Die kubanische Revolution verdankt sich einzig und allein dem Willen, und zwar dem seinen. Auf keinen Fall, wendet sich der Staatsfrüher gegen die Heerscharen seiner psychologisch ausgerichteten Biographen, auf keinen Fall, Zitat, "wollen sie mir zugestehen, dass die Revolution ein geistiger Prozess war, erstens der Entscheidungen, zweitens des Funktionierens und drittens der Kontrolle."

    Fidel Castro spricht, besser: Er scheint zu sprechen. "Die Autobiographie des Fidel Castro" hat der kubanische Schriftsteller Norberto Fuentes sein Buch über den kubanischen Regierungschef genannt. Schon der Titel deutet an, womit der Leser es zu tun hat: mit einer imaginären Biographie - so scharf, so böse und so zynisch, wie es nur einer schreiben kann, der einen jahrelangen, gründlichen Desillusionierungsprozess hinter sich hat. Tatsächlich gilt der 1943 geborene Fuentes als ein intimer Kenner Castros. Seit den 1960er Jahren hat er mit ihm für die kubanische Revolution gefochten, als Kämpfer in den frühen Jahren, anschließend als Berater und Diplomat. Nach einem Schauprozess gegen einige führende Repräsentanten der Revolution 1989 fiel auch Fuentes in Ungnade und wurde unter Hausarrest gestellt. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch konnte er Kuba verlassen, seit 1994 lebt er in den USA.

    Man wird nicht falsch darin gehen, Fuentes´ Buch auch als persönliche Abrechnung mit Castro zu nehmen. Und doch: Auf welchem Niveau findet sie statt! Das Buch ist überaus scharfsinnig, gerade weil es so böse, so zynisch und so bissig ist. Fuentes lässt Castro in lapidarem Plauderton erzählen, etwa darüber, wie sich der Nimbus der kubanischen Revolution über so lange Zeit aufrechterhalten ließ. Möglich war das nur darum, so sieht es Castro alias Fuentes, weil sich die Revolution zwar auch die Realitäten, mehr aber noch die Ideale kultivierte. Zitat: "Die Kraft der Revolution: Sie erwächst ihr nie aus dem Brot, das sie verteilt, sondern aus ihren Versprechen. Fest steht, dass das Brot irgendwann zu Ende geht, die Hoffnung nie. ...Damit will ich Ihnen nur sagen, dass man mit Projekten, die nichts als Hirngespinste und Wunschvorstellungen sind, die Massen weitaus stärker zu mobilisieren vermag als man es je mit Themen des täglichen Lebens erreichen könnte, die erst mühselig Schritt für Schritt erarbeitet werden müssen."

    So irrlichternd die Ideale der kubanischen Revolution auch flackern mögen, Castro selbst, so sieht es Fuentes, wusste in jedem Moment seines politischen Lebens ganz genau, was er tat. Politischer Romantik mögen sich andere hingeben, er, Castro kalkuliert: nüchtern, scharf, pragmatisch. So wusste er schon in den frühen 60er Jahren, wem sich der Erfolg seiner Politik ganz wesentlich verdankt: der Konzentration auf einen gemeinsamen Feind. Allein der Blick auf ihn hält die revolutionären Massen beieinander. Darum ist es ihm ganz selbstverständlich, dass, Zitat, "der Wert einer Revolution, zumindest einer wie der kubanischen, nach ihrer Fähigkeit zu bemessen ist, sich Feinde zu schaffen, gegen die es sich zu verteidigen gilt."

    Und doch genügt das Wissen um die Mächte der politischen Libido allein nicht - man muss sich auch mit den realen Gegenmächten auseinandersetzen. Und die entschlossene Macht, die Castro sich zum Hauptgegner auserkoren hat, liegen direkt vor der Haustür: die USA. Castro weiß, dass er sich mit ihr arrangieren muss. So ließ er sich bereits kurz nach dem Sieg der Revolution 1959 von nüchternem Pragmatismus leiten, Zitat: "Nicht einmal ich wusste damals genau, welche Ideologie ich wählen würde, noch wohin diese geplanten Manöver führen würden. Alles hing - um das endlich einmal zu sagen - von den Angeboten ab."

    Wenn Fuentes´ Buch zu Teilen auch von persönlichen Motiven bestimmt sein mag, so lässt es doch ein politisches Niveau erkennen, unter das man heute nicht mehr zurückgehen kann: Auch politische Ideale, so der über die Person Castros weit hinausgehende Kerngedanke des Buches, kommen ohne Hinterlist und die Macht der Fiktion nicht aus. Politik, so menschenfreundlich sie sich geben mag, ist immer auch nüchternes Kalkül - mindestens. Bisweilen auch zynisches Kalkül, so zynisch, dass nur die wenigsten es zu erkennen vermögen, es wohl auch erkennen wollen, denn die Ideale gehen arg lädiert aus diesem Zynismus hervor.

    Dem würde wohl der chilenische Schriftsteller Jorge Edwards zustimmen. Er hat seine persönlichen Erfahrungen mit Castro und dessen Regime ebenfalls niedergeschrieben: "Persona non grata" heißt sein Buch über seine Zeit als Botschafter Chiles in Kuba zwischen in der Zeit vom November 1970 bis zum März 1971. Unmittelbar danach hat Edwards sein Buch geschrieben, doch erst jetzt erscheint es auf Deutsch.

    Edwards hielt sich zu einer Zeit in Kuba auf, als der Schwung der frühen Jahre in eine lange Phase der Ernüchterung überging: Der revolutionäre Funken hatte in Lateinamerika nicht gezündet, sondern war schon Jahre zuvor, spätestens mit dem Tod Che Guevaras 1967, endgültig erloschen. Das große Ziel des neuen Jahrzehnts, die Ernte von zehn Millionen Tonnen Zucker, war gescheitert; und im Inneren offenbarte der politisch motivierte Prozess gegen den Schriftsteller Heberto Padilla, wie hart das Regime mit Dissidenten umging - oder auch nur mit denen, die es als solche verdächtigte.

    All dies erlebte Edwards aus nächster Nähe. Als Gesandter der nur Wochen zuvor gewählten Regierung Salvador Allende sympathisierte er mit der Sache des Sozialismus, erfuhr dann aber am eigenen Leib was es bedeutet, wenn dieser nicht durch demokratische Institutionen abgefedert ist. "Sie sollen wissen", teilt Castro Edwards am Ende von dessen Amtszeit mit, "dass wir Salvador Allende bereits unsere Meinung [über Sie] mitgeteilt haben." Fidels Meinung über Edwards ist ausgesprochen schlecht, und sie soll den Diplomaten die Karriere kosten - so zumindest wünscht es der Maximo Líder. Allerdings vergisst er, oder ahnt vielleicht nicht einmal, dass die Bürger Chiles vor Imperatorenlaune durch die Einrichtungen des Rechtsstaats geschützt sind - zumindest noch in jener Zeit, drei Jahre vor dem Putsch Pinochets.

    Edwards wird Allende darum weiterhin dienen - und er wird seine Erinnerungen niederschreiben, einen Text von solcher Klarsicht und solchem Scharfsinn, dass es scheint, er wäre irgendwann nach dem Wendejahr 1989, nicht aber in den frühen 1970ern verfasst worden. Castro höchstpersönlich hatte Edwards - wenn auch nicht offiziell, sondern nur im privaten Kreis zur - "persona non grata" erklärt. Das Vergehen des Diplomaten: Als Schriftsteller hatte er Kontakt zu seinen kubanischen Kollegen, darunter auch solchen, die auf Distanz zum Regime gingen: Heberto Padilla, José Lezama Lima und Guillermo Cabrera Infante. Lange vor seiner Diplomatentätigkeit und ganz unabhängig von ihr pflegte Edwards Kontakt zu den Autoren. So galt er als verdächtig, noch bevor er sein Amt überhaupt antrat. So lässt das Regime ihn spüren, wie es mit realen oder auch nur vermeintlichen Vertretern des konterrevolutionären Lagers umgeht: Edwards wird bei seiner Einreise am Flughafen nicht empfangen, er erhält keinen Dienstwagen, auf eine angemessene Unterkunft muss er lange warten. Persönlich kann er damit umgehen, er ist kein eitler, auf Statussymbole fixierter Mensch. Nur vermag er sich zunächst über die Gründe der latenten Feindseligkeit keine Antwort zu geben. Erst peu à peu wird ihm klar, dass der Kontakt zu den Autoren ihn gründlich verdächtig macht. Die Distanz des Regimes sucht Edwards durch Hinweise auf seine grundsätzlichen Sympathien für den Sozialismus abzubauen. Bloß um irgendwann dieses festzustellen, Zitat: "Die nüchterne Realität, die ausgleichende Wahrhaftigkeit zählen nicht viel. Der den Wahn begünstigende psychologische Druck hingegen zeigt ein politisches Ergebnis: Jegliche Kritik wird unter tausend Vorwänden - etwa bürgerliche Herkunft, Opportunismus, moralische Schwäche -entwertet, jegliche Anhängerschaft ohne Bedenken ausgenutzt und jegliche Macht beschnitten. Am Ende bleibt nur, ohne jede Abstammung, frei von der Erbsünde, unbefleckt empfangen, die einzige Macht."

    Wie schwer mit dieser Macht umzugehen ist, welche latenten Psychosen sie zu wecken vermag, das zu erfahren, reichen Edwards wenige Monate. Wird sein Telefon abgehört? Verbergen sich Wanzen hinter dem Schacht für die Klimaanlage? Arbeitet die hübsche Frau, die ihn auf einem diplomatischen Empfang anspricht, für die Staatssicherheit? Und inwieweit sind auch nicht einige der kubanischen Schriftsteller willfährige Marionetten der Macht? Edwards wird es nie erfahren. Umso gründlicher erfährt er, was es heißt, in einem totalitären System zu leben. All dies berichtet er ohne ideologische Voreingenommenheit. Er zeigt Verständnis für die Schwierigkeiten der Revolution, insbesondere für die durch das US-Embargo bedingten gewaltigen logistischen Herausforderungen. Und doch entschuldigen sie nicht die zynische Missachtung der Menschen- und Bürgerrechte, Edwards sieht das sehr klar. Weniger klar sahen es manche seiner Kollegen, weniger klar sahen es offenbar auch die deutschen Verleger, deren zögernde Haltung Edwards in einem 2006 geschriebenen Nachwort kurz beschreibt. Nun endlich hat sich mit Wagenbach ein Verlag gefunden. Und damit gezeigt, dass das schöngeistige Europa am Ende dann doch aufwacht, wenn im Namen der Ideale das Recht mit den Füßen getreten wird.

    Norberto Fuentes:
    "Die Autobiografie des Fidel Castro"
    (Verlag C.H. Beck)


    Jorge Edwards:
    "Persona non grata"
    (Wagenbach Verlag)