Der Morgen dieses Januartages im Jahr des Herrn 1208 ist dunkel und kalt. Über dem Tal der Rhône hängen dichte Nebelschwaden, die der eisige Wind kaum hinwegfegen kann.
In seinem Quartier, einem bescheidenen Gasthof, erhebt sich der päpstliche Legat Pierre de Castelnau missmutig von seinem Lager, um die Messe zu lesen. Danach begibt er sich in Begleitung des Bischofs von Couserans hinunter zum Fluss, um ans andere Ufer der Rhône überzusetzen.
Alles geht blitzschnell: Schemenhaft sieht er im Nebel noch einen Reiter auftauchen. Ein kurzes scharfes Flirren in der Luft und - Castelnau sinkt, von einem Pfeil durchbohrt zu Boden. Er ist sofort tot.
"Impertinenza! Impertinenza!" schnaubt im fernen Rom Papst Innozenz III., als ihm die Nachricht vom Mord an seinem Legaten überbracht wird. Sofort beruft er das Kardinalskollegium ein. Die vorherrschende Meinung dort: Es reicht! Der Kreuzzug gegen die Katharer, diese Aufrührer in Okzitanien, unter denen der Mörder vermutet wird, ist beschlossene Sache.
Sie sind ein Dorn im Fleisch der Kirche, diese Katharer - die "Reinen", wie sie sich nennen. Als große religiöse Laienbewegung haben sie unter dem Schutz vieler französischer Adliger im Süden Frankreichs eine Gegenkirche errichtet. Sie predigen Askese und radikale Armut und verspotten die römische Kirche als "Hure Babylons" und "Synagoge des Satans".
Dualismus als essentielles Element
Wichtigstes Element der Theologie der Katharer ist der Dualismus: Die materielle Welt wird als böse angesehen, das Gute ist lediglich bei Gott zu finden. Dazu der Autor Hans Conrad Zander:
"Die Katharer lehrten, dass die ganze Welt - Wirtschaft, Staat und Gesellschaft Satans Werk sei. Und mit diesen radikalen Botschaften zogen nun etwa 5000 Reine, Vollkommene in schwarzen Gewändern nach Südfrankreich. Aber Hunderttausende glaubten an sie."
Da diese Bewegung von "Ketzern" für die Kirche eine völlig neue und brandgefährliche Bedrohung darstellt, hatte der Papst schon 1206 eine Gruppe von Klerikern nach Südfrankreich geschickt, um die Katharer in den Schoß der Kirche zurückzuführen.
Unter den Gesandten der Kurie befindet sich auch der junge spanische Adlige Dominikus de Guzmán, Subprior des Domkapitels an der Kathedrale von El Burgo de Osma:
"Zwölf Jahre lang hat Dominikus in dieser südfranzösischen Anarchoszene gelebt und alles, was er in diesen Jahren tut, ist geprägt von einer einzigen, zeitlos gültigen Erleuchtung: Dass der blinde, radikale Eifer der Sektierer das spiegelverkehrte Abbild ist für die genauso blinde, genauso radikale Korruption der Mächtigen - in diesem Fall der Kirche."
Dominikus hält nichts von den hochnäsigen Belehrungen, Ermahnungen und Standpauken, die den Katharern üblicherweise von arroganten päpstlichen Abgesandten erteilt werden. Er beschließt, zu handeln, so Zander:
"In einem kleinen Backsteinbau an der Stadtmauer von Toulouse unternimmt der Heilige mit ein paar Freunden das Experiment der religiösen Intelligenz zwischen allen Fronten der Dummheit: Leben wie die Ketzer, aber glauben wie die Kirche."
Und so ziehen sie durchs Land, barfuß und ohne Geld. Und sie predigen - genauso wie die Wanderprediger der Katharer. Aber was sie predigen, ist nicht der Glaube an den Satan. Der Düsseldorfer Dominikaner Elias Füllenbach:
"Der Papst hatte Legaten dort hingeschickt, die vom Pferd herab zu den Leuten predigten und da entsteht genau diese Idee des Dominikus: Nein, wir müssen mit den Menschen sprechen - aber auf Augenhöhe. Nicht vom Pferd herab. Da gibt’s diese Legende, dass eine seiner ersten Bekehrungen in einem Wirtshaus stattgefunden hätte, dass er dort eine ganze Nacht lang mit dem Wirt, der ein solcher Katharer war, gesprochen hätte und dass sich dann am Ende dieser Wirt bekehrt habe."
"Armut als Mittel zum Zweck"
Eine schöne Geschichte, so Füllenbach. Und eine, die deutlich macht, wo die Anfänge seines Ordens liegen:
"Predigtdienst! Diese Idee wird dann auch zu einem Werk, denn Dominikus schart relativ früh Männer um sich und 1216 wird dann diese kleine Gemeinschaft in Toulouse erstmals bestätigt. Und diese päpstliche Bestätigung feiern wir eben in diesem Jahr. Das Interessante ist, dass der Orden bestätigt wird vom Papst als eine Ordensgemeinschaft von Predigern ... Das ist etwas ganz Besonderes, denn eigentlich durften damals nur Bischöfe oder von den Bischöfen Beauftragte predigen. Und nun wird der Predigtdienst auf eine ganze Gemeinschaft übertragen. Unser eigentlicher Name ist nicht Dominikaner, sondern wir heißen "Ordo Fratrum Praedicatorum", also "Orden der Predigerbrüder".
Die neue Ordensgemeinschaft unterscheidet sich deutlich von anderen Bruderschaften des mittelalterlichen Mönchtums: Nicht mehr abgeschieden in einsamen, ehrwürdigen Abteien weit draußen auf dem Land wollen die Dominikaner leben, sondern in kleinen Kommunitäten inmitten der um diese Zeit aufblühenden Städte. Sie wollen keinen Abt über sich haben, sondern alle Ämter in freier Abstimmung besetzen. Ein frühes demokratisches Prinzip, das bis heute gilt. Und eine arme Gemeinschaft wollen sie sein, ein Bettelorden.
"Für Dominikus ist die Armut Mittel zum Zweck. Um nicht an Besitztümer gebunden, um für die Menschen da zu sein."
Mit diesem Armutsideal, so Füllenbach, reagieren die Dominikaner ebenso wie auch die Franziskaner auf die politischen und sozialen Stürme ihrer Zeit, sagt der Düsseldorfer Dominikaner:
"Die Kirche war Anfang des 13. Jahrhunderts in einer Krise und sowohl Franziskus als auch Dominikus merken, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche auch daran hängt, wie sie mit Reichtum und Besitz umgeht. Und ein großer Kritikpunkt der Katharer war: Die Kirche ist reich, die Kirche kümmert sich nur um den Adel und das einfache Volk wird im Stich gelassen."
Doch noch eine andere Aufgabe bekommt der neue Orden zugewiesen: Den Kampf gegen die Ketzer!
Auf den Kreuzzug folgte die Inquisition
Nach dem Mord an Pierre de Castelnau haben die Päpste mit einem Kreuzzug gegen die Katharer reagiert; allerdings ohne den Siegeszug der Sekte aufhalten zu können. Nun schlägt Rom mit einer anderen Waffe zurück: Mit der Inquisition.
Der Kampf gegen Häretiker entspricht durchaus den Zielen des Dominikus, ist doch die Ordensgründung eine direkte Folge seiner Begegnung mit den Katharern:
Dazu sagt der Philosophiehistoriker Kurt Flasch:
"Die Dominikaner wandeln sich von einem einfachen Bettelorden zur wichtigsten Instanz der Epoche. Sie bekamen ihr intellektuelles Gewicht dadurch, dass sie zunächst für die Ketzerjagd bestimmt wurden."
Sie nehmen die Witterung der Ketzer auf, stellen sie und überantworten sie der Heiligen Inquisition. Was ihnen den Spottnamen "domini canes" - "Spürhunde des Herrn" einbringt. Name und Taten werden viele Jahrhunderte lang ihr Trauma bleiben. Es ist die schwarze Seite ihrer Ordensgeschichte. Und doch entwickelt sich daraus eine neue, eine weiße Seite.
Studium als Grundstein der abendländischen Gelehrsamkeit
Denn um die Lehren der Häretiker intellektuell entkräften zu können, verlangt Dominikus von seinen Brüdern ein gründliches Studium, erklärt Dominikaner Elias Füllenbach, vorzugsweise in den geistigen und geistlichen Zentren der damaligen Welt:
"So kommt man auf die Idee: Wir gründen in den einzelnen Ländern, in einzelnen Ordensprovinzen Generalstudien, wo Ausbildung auf höchstem Niveau stattfindet. So werden dann 1248 in Oxford, aber auch in Köln solche Generalstudien errichtet."
Und es werden die hellsten Köpfe der Zeit aus vielen Ländern Europas versammelt. Unter ihnen der Leiter des "studium generale" in Köln, ein Mann, der europäische Geistesgeschichte schreibt: Albertus Magnus:
"Ein wirklicher Universalgelehrter, der in Köln einen regen Lehrbetrieb aufbaut."
Mit ihrem "studium generale" rufen die Dominikaner eine Art "Europäische Bildungsunion" ins Leben, ebnen den Weg für eine länderübergreifende, abendländische Gelehrsamkeit.
Schon die ersten Vorlesungen des Albertus Magnus in Köln sorgen für Furore. Sie gelten nämlich nicht dem Studium der Bibel, sondern der Ethik des Aristoteles:
Dazu sagt der Philosoph Ludger Honnefelder: "Er hat die große Formel dafür gefunden, wie sich christlicher Glaube und Theologie auf der einen Seite und die ganze Welt der Wissenschaften - von der Physik über die Biologie bis zur Astronomie - miteinander verbinden können."
Alberts berühmtester Schüler ist der Italiener Thomas von Aquin. Über ihn, der wegen seiner Schweigsamkeit "der stumme Ochse" genannt wird, notiert er hellsichtig:
"Ihr nennt ihn den stummen Ochsen. Ich sage Euch, dass dieser stumme Ochse einmal so laut brüllen wird, dass sein Gebrüll die Welt erfüllt." Und bis heute hörbar ist!
Synthese von Philosophie und Theologie
Papst Benedikt XVI. schrieb über Thomas: "Der Hauptgrund für seine Wertschätzung liegt nicht nur im Inhalt seiner Lehre, sondern auch in der von ihm angewandten Methode, vor allem in seiner neuen Synthese und Unterscheidung von Philosophie und Theologie."
Thomas von Aquin und sein Lehrer Albertus Magnus sind die Lichtgestalten dominikanischer Ordensgeschichte. Bis in unsere Tage. Ein Auszug aus einer Reportage beim Besuch Papst Johannes Pauls II. am Grab des Albertus Magnus in St. Andreas:
Reporter: "Er wird jetzt hinuntersteigen die 14 Stufen in die Krypta zum Grab des Heiligen Albertus Magnus. Er hat die Krypta erreicht. Der Papst kniet jetzt vor dem römischen Sarkophag, in dem die Gebeine des Heiligen Albertus Magnus ruhen."
Reporterin: November 1980. Papst Johannes Paul II. kommt zum ersten Mal als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche nach Deutschland und beginnt seinen Besuch in der romanischen Kirche St. Andreas in Köln. Das Grab in der Krypta ist das erste Ziel seiner Reise. Er würdigt damit den Mann, der als einziger Gelehrter überhaupt den Beinamen "der Große" trägt, Albertus Magnus.
Doch dem Glanz dieser Epoche folgen erneut dunkle Wolken für die Dominikaner. Wiederum im Schatten des Kölner Doms:
"… Ja, hier hat einst die Klerisei
Ihr frommes Wesen getrieben,
Hier haben die Dunkelmänner gehaust;
Die Ulrich von Hutten beschrieben….
Hier schrieb der Jakob van Hoogstraaten…
Die gift'gen Denunziatiönchen…"
Den hier von Heinrich Heine spöttisch beschriebenen "Dunkelmännern" treten nun die hellsten Köpfe ihrer Zeit entgegen: die Humanisten des 16. Jahrhunderts. Die Verdunkelung des Geistes hingegen macht auch vor den Dominikanern nicht Halt.
Und zwar im berühmten Kölner Gelehrtenkrieg im Jahr 1515, dessen Ausläufer selbst Papst und Kaiser beschäftigen. Kern dieses Gelehrtenkriegs ist der sogenannte "Judenbücherstreit".
Er beginnt damit, dass ein zum Christentum konvertierter Jude namens Pfefferkorn fordert, den Juden ihre heiligen Bücher fortzunehmen. Denn diese Bücher schmähten das Christentum und stünden der Bekehrung der Juden im Weg.
In seinem fanatischen Konvertiteneifer erwirkt Pfefferkorn von Kaiser Maximilian die Erlaubnis, die Bücher der Juden einer Prüfung zu unterziehen. Dazu sollen Sachverständige gehört werden. Benannt werden: der Inquisitor und Prior der Kölner Dominikaner Jakob van Hoogstraaten und der Humanist und Hebraist Johannes Reuchlin. Dazu Elias Füllenbach weiter:
"Reuchlin sagt: 'Nein, man soll die Bücher nicht verbrennen.' Hoogstraaten sagt ganz in mittelalterlicher Tradition: 'Der Talmud ist gefährlich. Also muss er vernichtet werden.' Die Kölner Brüder und die Kölner Universität unterstützen die Position Hoogstraatens."
Und machen sich dabei so lächerlich, dass die Humanisten sie verspotten. Sie sehen durch die Borniertheit der Dominikaner ihren Intellekt beleidigt und veröffentlichen die "Dunkelmännerbriefe" - absichtlich in falschem und holprigem Latein gehalten.
Kampf zwischen altem und neuem Denken
Diese Fehde zwischen Licht und Dunkel, Wissenschaft und Aberglauben, die auf offener Bühne ausgefochten wird, ist kein Ruhmesblatt für die Dominikaner. Sie dokumentiert den Kampf zwischen altem und neuem Denken, zwischen Mittelalter und Renaissance. Der Dominikaner, Theologe und Judaist Elias Füllenbach:
"Man sieht: der Dominikanerorden ist kein monolithischer Block, sondern es gibt sehr unterschiedliche Figuren. Es hat ganz bösartige dominikanische Versuche gegeben, das Judentum zu bekämpfen, aber es hat, manchmal sogar zur selben Zeit, genau das Gegenteil gegeben: Dominikaner, die sich mit jüdischem Wissen beschäftigt, die sehr früh Hebräischstudien betrieben haben."
Doch Geschichte, so Füllenbach, sei eben niemals nur schwarz oder weiß: "Geschichte ist immer mehr als schwarz und weiß. Wie unser Ordenshabit: der ist auch schwarz und weiß. Es ist wichtig, sich mit den dunklen Figuren und den Schattenseiten, die es in der Ordensgeschichte gegeben hat, zu beschäftigen, aber man muss dabei auch die andere Seite sehen."
Die "andere Seite" - das sind Ordensbrüder wie Aurelius Arkenau, der während des Dritten Reichs Juden, Deserteure, Zwangsarbeiter und Kommunisten im Kloster und im eigenen Pfarrhaus versteckt, Brüder wie Franziskus Stratmann, der nach dem Ersten Weltkrieg zu einer führenden Persönlichkeit der katholischen Friedensbewegung wird und der schon im April 1933 Kardinal Faulhaber auf das Schicksal der bedrängten Juden hinweist. Oder ein Giuseppe Girotti, der im von Deutschen besetzten Italien Widerstand leistet, im KZ Dachau ermordet wird und heute als "Gerechter unter den Völkern" einen Platz in der Gedenkstätte "Yad Vashem" hat.
Dominikaner in der heutigen Gesellschaft
Und das Besondere an Dominikanern heute? In einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft?
Eine Offenheit, eine Weite im Denken, meint etwa Christoph Wekenborg. Er leitet das Dominikanerkloster an St. Andreas in Köln. Die Hauptaufgabe der heute rund 6000 Brüder und 30000 Schwestern weltweit sieht er in der Seelsorge und in der Arbeit in den Gemeinden.
Die Dominikaner haben Geschichte geschrieben, das Gesicht des Abendlandes verändert. Vier Päpste und 60 Kardinäle haben sie hervorgebracht, Künstler wie Fra Angelico und Fra Bartolomeo stammen aus ihren Reihen, der Philosophie und der Wissenschaft haben sie ihren Stempel aufgedrückt.
Viele von ihnen, die Herausragendes geleistet haben, sind heute fast vergessen. So Vincent von Beauvais, der im 13. Jahrhundert mit seinem "speculum maius" die bedeutendste mittelalterliche Enzyklopädie verfasst hat. Oder Johannes Tauler, dessen Dichtung uns bis heute begleitet - in dem bekannten Adventschoral "Es kommt ein Schiff geladen."
Und 1963 landet eine belgische Dominikanerin mit einem Lied über ihren Ordensgründer sogar in den Hitparaden:
"Er sprach nur von Gott", heißt es in dem Lied.
Ganz so, wie es einer von Dominikus‘ Mitbrüdern erlebt hat:
"Wo immer ich mit ihm war, sprach er nur von Gott oder zu Gott."
800 Jahre "loben, segnen, predigen". 800 Jahre Dienst am Menschen und an der Kirche. 800 Jahre beten, lehren, lernen und verkündigen, hinhören und hinwenden. Beständigkeit ohne Unbeweglichkeit, Weltoffenheit ohne Verweltlichung - all das ist dominikanische Tradition.
Und die ist eindeutig - "mehr als schwarz und weiß", findet Hans Conrad Zander:
"Hat es jemals schönere Mönche gegeben als die Dominikaner in ihren weißen Kutten und dem schwarzen Chorherrenmantel?"