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9.6.1934 - Vor 70 Jahren

Frech, aufdringlich, nörgelnd, cholerisch. So war er, und so sollte er sein: Donald Duck wurde erfunden als Widerpart an sich, und die eigenständige Weltkarriere, die er trotzdem machte, ist bezeichnend für unser Verhältnis zu literarischen und filmischen Charakteren: Die Guten, die Geradlinigen und Widerspruchslosen kann man mögen. Aber die Bösen, die Ärgerniserregenden, die Spannungsreichen, die werden geliebt.

Von Beatrix Novy | 09.06.2004
    Walt Disney, der sein Zeichentrick-Studio in Hollywood in den 30er Jahren mit der Micky Maus bereits zu Weltruhm gebracht hatte, ahnte das, und deshalb suchte er gezielt nach einer weiteren Tier-Persönlichkeit für seine Cartoonfamilie der Silly Symphonies, einer, die mehr Entwicklungsmöglichkeiten bot, als sie im begrenzten Image der braven, allzeit korrekten Maus vorgesehen waren. Die Dynamik eines Zeichentrickfilms bricht schnell ab, wenn die Hauptfigur eine von der Art ist, die alten Damen die Einkaufstasche trägt. Nein, es soll hoch hergehen, die Maus müsste jemandem einen Tritt geben können, ohne dass anschließend Protestbriefe von Elternvereinigungen aus dem ganzen Land die Disney-Studios überschwemmen würden. Was Disney brauchte, war eine ganz bestimmte Ente. Und sie kam. In seiner Version kam sie so:

    Mary had a little lamb...

    Also Micky und seine Freunde waren eingeladen bei einem NBC Programm mitzumachen. Als sie dann am Mikrofon standen, kam plötzlich diese Ente und drängte sich vor. Sie hatte auch ein Lied gelernt und wollte das unbedingt vortragen. Immerzu drängelte sie nach vorn und versuchte "Mary hatt' ein kleines Lamm" zu singen. Nun, Sie wissen, wie Micky ist - immer sehr gefällig, aber diesen Donald schubste er beiseite, aus Angst, der könnte ihm die Schau verderben, und immer wieder kam die Ente zurück und quakte "Mary hatt' ein kleines Lamm" ins Mikrofon..."

    Das ist nur einer von mehreren nicht belegbaren Ursprungsmythen; er erreicht nicht die Beweiskraft jenes Filmdokuments, uraufgeführt am 9. Juni 1934, das die Geschichte der Wise Little Hen, der klugen kleinen und allein erziehenden Henne erzählt. Die sucht mit ihren Küken jemanden, der ihr beim Mais-Pflanzen hilft. Von Peter Pig, dem Schwein, erhält sie eine griesgrämige Abfuhr. Sie geht weiter und findet eine Ente, fröhlich tanzend einem baufälligen Floß. Aber die Bitte der kleinen Henne ruft blitzartig grimmige Schmerzen hervor:

    Wer - ich?? O nein! Ich habe Bauchweh!

    Spitzschnabelig und langhalsig, war Donald Duck damals noch mehr Karikatur als Charakter, mehr Ente als Persönlichkeit. Mit ihm berühmt wurde Clarence Nash, der als Tierstimmenimitator kurz zuvor noch durch die Lande getingelt war, ein Mann, der gern Arzt geworden wäre und stattdessen das "größte Quaken des Landes" wurde, 40 Jahre lang. Verschiedene Disney-Zeichner formten zunächst die noch unbehauene Charaktermasse, ehe im Jahr 1942 Carl Barks sie in seine begabten Zeichnerhände nahm und den Donald Duck mit schier unbegrenzten anthropomorphen Ausdrucksmöglichkeiten schuf, der nicht nur die Welt, sondern auch den Olymp eroberte. Er machte aus der notorisch faulen und frechen Ente Donald den ewigen und doch nie aufgebenden Versager, in dem sich Amerikas Männer schmerzhaft wieder erkennen konnten: immer strebend nach Erfolg, immer gestoppt durch Ungeschick, Großspurigkeit oder schlichtes Schlafbedürfnis. Barks reicherte den Witz der Figur mit Ironie an. Er ließ Donald als Dompteur, Angler, Detektiv, Hoteldirektor, Handwerker, Umzugsfachmann, Fotograf, Bäcker usw. usf. immer wieder an der Tücke zahlreicher Objekte surreal scheitern. Besonders realistisch und heute verzweifelt an aktuelle, angeblich globalisierungsbedingte Zustände erinnernd sind Geschichten wie die, in der Donald sich mit etwa 1000 anderen um eine Vertreterstelle bemüht: aus der langen Schlange der Bewerber liegt einer schon seitlich quer, in Ohnmacht gefallen; um zur Geschäftsleitung vorzudringen, verkleidet Donald sich als Telegrammbote und klettert schließlich sogar in den Kaminschacht - nur um dort ebenso findigen Konkurrenten zu begegnen.

    Im berühmten und von Wissenschaft, Publizistik und Donaldistik oft interpretierten Entenhausener Kosmos, den Carl Barks nach und nach bevölkerte, ist Donald die Hauptfigur geblieben. Das ist kein Zufall: Nie war eine Ente dem Menschen ähnlicher; ja sogar menschlicher als der Mensch.