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a komma punkt. Ernst Jandl - ein Leben in Texten und Bildern. München:

Was war nur mit der Berliner "tageszeitung" am l. August 1990 passiert? In den Überschriften der Titelseite war von "Palrament", "Plomirre" und "Psychomalke" die Rede. Ganz einfach: Ein Schriftsteller hatte Geburtstag. Die "taz" gratulierte ungewöhnlich, indem sie sich an eines seiner bekanntesten Kurzgedichte hielt, an Ernst Jandls "lichtung";

Volker Kaukoreit |
    "manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht / velwechsem. / welch ein illtum!"

    Die kuriose Würdignung der "taz" ist wiederabgedruckt in einem Band, der zehn Jahre später, zu Jandls 75. Geburtstag, erscheinen sollte. Doch bekanntlich verstarb der große Wiener Autor am 9. Juni 2000. Aus der 'Festschrift1 ist somit ein Erinnerungsbuch geworden, eine alles in allem beeindruckende Dokumentation, die uns vermutlich noch lange das Bild eines in der Tat 'unvelwechserbalen' Dichters bewahren wird.

    Zusammengestellt wurde das Buch mit dem Untertitel "Ein Leben in Texten und Bildern" - ein Bildband also - von einem der profundesten Jandl-Kenner, dem Verlagslektor und Jandl-Herausgeber Klaus Siblewski. Angeordnet hat er das Material in einer 'gebrochenen Chronologie', d.h. nach thematischen Schwerpunkten, die sich langsam, aber stetig - zurückblickend und vorausschauend - durch die wesentlichen Lebens- und Werkphasen des porträtierten Autors arbeiten. Jedes Kapitel lautet "Ernst Jandl und", spezifiziert durch: "die Familie", "der Krieg", "Friedrike Mayröcker", "das Experiment", "seine Lesungen", "Ernst Jandl"(will sagen "Ernst Jandl und Ernst Jandl") sowie "Ernst Jandl und" "die Musik". Präsentiert werden diese Aspekte inklusive eines abschließenden Gesprächs mit Ernst Jandl zum Thema "Altern" aus dem Jahr 1999 auf 216 Seiten mit annähernd 280 Abbildungen, darunter knapp 200 Fotografien zu Jandl und seinem Umfeld; die weiteren Abbildungen zeigen Bücher, Manuskripte, Lebens- und Rezeptionsdokumente - vieles davon zum ersten Mal.

    Äußerst ansprechend sind Design und Reproduktionsqualität; der Band ist ebenso großzügig wie elegant gelayoutet und wirkt bei aller Materialfülle nicht überfrachtet. Die sorgsam ausgewählten Fotografien befriedigen die Schaulust des Auges, die dazugehörigen Erläuterungen unsere Wissensgier, die am Rande auch mit so manch anekdotischem, kuriosem und quasi privat-intimem Detail versorgt wird. Man erfahrt nicht nur, dass der siebzehnjährige Soldat mit einer zwei Jahre älteren "Wirtschafterin, (...) deren Verlobter beim Militär" war. ein uneheliches Kind in die Welt setzte, sondern auch, dass der angehende Mittelschullehrer und Doktorant Ende der vierziger Jahre unter Pseudonym zwei Groschenromane veröffentlichte, einen davon mit dem Titel "Durch Leid zum Glück". Im Rahmen des Ganzen wirken solche Mitteilungen weder klatschsüchtig noch indiskret, und dennoch entsteht beim Lesen der entsprechenden Begleittexte zuweilen ein merkwürdiges Unbehagen. Vielleicht um seine Nähe zum Gegenstand zu relativieren, kommentiert Siblewski betont sachlich, manchmal geradezu unterkühlt. Und genau dabei vergißt er mitzuteilen, ob das uneheliche Soldatenkind ein Mädchen oder ein Junge war, und was aus ihm später geworden ist. Doch schon im Vorspann dazu befremdet der Ton, wenn es etwa heißt: "Die realistische Aussicht, den Krieg nicht zu überleben lässt (Jandl) den Wunsch immer dringender erscheinen, mit einer Frau zu schlafen. Anfang 1942 gelingt ihm das endlich."

    Sonderbar sind ebenfalls Aussagen über einzelne Arbeitsphasen des Autors. Natürlich lässt sich literarische Kreativität nicht erzwingen, und tatsächlich ist ein Schriftsteller nicht nur souveräner Herrscher über seinen Text Es kann ihm passieren, dass er mit seinem Text verwächst, an ihm wächst oder von ihm an unerschlossene Orte regelrecht entfuhrt wird. Siblewkis Stil aber vereinfacht solche Zusammenhänge und lässt Jandls Texte mitunter wie von einer fremden magischen Stimme diktiert erscheinen, etwa wenn es heißt, dass Jandl ein "massive(s) Hereinbrechen einer Flut von Gedichten (...) erlebt", "von einer unerwartet größeren Anzahl von Texten überrascht" wird, oder dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt "zu einer regelrechten Eruption an Gedichten (...) kommt." Doch sollte man solche stilistischen Eigentümlichleiten nicht überbewerten, ebenso wie andere verstreute Patzer wie die kommentarlose Wiedergabe eines Porträts der österreichischen Schriftstellerin Jeannie Ebner oder die Behauptung, dass Otto Basils wichtige Nachkriegszeitschrift "Plan" - nicht "Der Plan" - Texte von Ingeborg Bachmann und Christine Lavant veröffentlicht habe.

    Alles in allem liegt hier eine beeindruckende Dokumentation vor, die uns schonungslos zeigt, wie widrig und deprimierend die Umstande einer Schriftsteller-Existenz sein können, sei dies privater oder öffentlicher Natur. Kaum jemand mag sich heute die Widerstande vorstellen können, gegen die sich Jandl als experimenteller Autor in den fünfziger, ja noch in den sechziger Jahren hat behaupten müssen. Augenfällig wird dies besonders am Beispiel seines 1966 veröffentlichten Bandes "Laut und Luise", der später zu einer Art Pflichtlektüre im Literaturunterricht höherer Schulen avancierte. Um dem möglichen Vorwurf der Blasphemie zu entgehen, setzte der Verlag mit dem Ausscheiden eines Gedichtes nicht nur einen Akt der Zensur durch, sondern beschloss auch, die Bewerbung des Buches zu beschränken und zu kontrollieren./ Eine von Siblewski mitgeteilte Aktennotiz des schweizerischen Walter-Verlages beleuchtet diese Vorgänge en detail.

    Hinsichtlich des privaten Bereichs erstaunt dagegen, wie sich ausgerechnct jener literarische Provokateur und Sprach-Avantgardist, jahrzehntelang mausgrau durch die Welt bewegte, d.h. untersetzt und im faden Outfit eines krawattierten Oberlehrers, ein Erscheinungsbild, das er nur selten, insbesondere in den späten Jahren durchbricht. Den Bildern nach zu urteilen, schien Jandl so richtig aus seiner Haut nur bei seinen Lesungen und musikbegleiteten Performances heraus zu kommen. Die wilde Grimasse, ein zum einem wahrhaftigen Rachen aufgerissener Mund lassen die ungeheuerliche Verve des Vortragenden erkennen, der im Bild dennoch stumm bleibt.