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AA und SS

Lange hielt sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Legende, das Auswärtige Amt sei während der NS-Zeit ein Hort des Widerstandes gewesen. Nun hat Sebastian Weitkamp einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die NS-belastete Geschichte des AA veröffentlicht. Für seine Studie "Braune Diplomaten" hat er sich die Biografien und Karrieren zweier typischer Vertreter der jungen NS-Diplomatengarde vorgenommen. Margarete Limberg rezensiert.

    Die beiden Diplomaten, deren Wirken, Motive und Arbeitsumfeld Sebastian Weitkamp beleuchtet, stehen nicht nur beispielhaft für die vielen skrupellosen Beamten, die über die NS-Vernichtungspolitik Karriere machten. Der Autor liefert auf diesem Wege gleichzeitig sehr konkrete und detailreiche Informationen über die enge Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt und SS:

    Der überwiegende Teil der verfolgten und später ermordeten jüdischen Bevölkerung kam aus dem europäischen Ausland. Schon allein deshalb forderte das AA, welches das Ausland als ressorteigene Domäne verstand, vehement ein Mitspracherecht. Es sah sich nicht als bloßer Befehlsempfänger, sondern wollte mitgestalten, auch wenn dies mit unterschiedlichem Erfolg geschah. Das AA hatte den Anspruch, gleichwertiger Partner zu sein. Beide - SS und AA - betrieben so eine gleichförmige Ausrichtung in der Judenpolitik und kooperierten weitgehend reibungslos.

    Der Autor nimmt das Führungspersonal der Referatsgruppe Inland II unter die Lupe: den vortragenden Legationsrat Horst Wagner und dessen Stellvertreter Eberhard von Thadden. Von 1943 bis 1945 oblag ihnen die Sachbearbeitung der so genannten "Judenfrage" im Auswärtigen Amt. Sie waren für die Kooperation mit der SS zuständig und an der "Endlösung" maßgeblich beteiligt.

    Die Biografien könnten unterschiedlicher nicht sein: Host Wagner, im Grunde eine gescheiterte Existenz, gelangte als Schützling Ribbentrops an die Spitze von Inland II. Dessen Gunst, nicht eine irgendwie geartete Qualifikation gab den Ausschlag. Eberhard von Thadden , Stellvertreter Wagners und gleichzeitig "Judenreferent", aus altem konservativen Adel stammend, hatte die klassische diplomatische Ausbildung absolviert. Als rabiater Antisemit hatte er sich schon vor 1933 hervorgetan. Beide gehörten nicht nur der NSDAP, sondern auch der SS an und sorgten ohne jede Skrupel mit dafür, dass der Vernichtungspolitik von Seiten des Auswärtigen Amtes keine Steine in den Weg gelegt wurden.

    Das Auswärtige Amt war auf vielfältige Weise beteiligt: bei der Erfassung der Juden in den besetzten und mit dem Dritten Reich verbündeten Staaten ebenso wie bei der Tarnung der wahren Vernichtungsabsichten, der Täuschung des Auslands durch Desinformation und dreiste Lügen.

    Die Referatsgruppe Inland II, so resümiert der Autor, war "ein vorbildliches nationalsozialistisch ausgerichtetes Werkzeug in den Händen des Reichsaußenministers".

    Das AA verlangte eingeschaltet zu werden, sobald bei den Deportationen Juden neutraler oder so genannter " feindstaatlicher" Staatsangehörigkeit betroffen waren. Sie wurden in der Regel getrennt interniert. Beim AA wurden zudem ständig Vertreter ausländischer Missionen vorstellig, die sich für die Freilassung von jüdischen Personen einsetzten. Inland II oblag die Behandlung dieser Proteste und Eingaben. Nicht selten wurde die Bearbeitung der Eingaben mit der Behauptung, die Akten seien angeblich durch Bombentreffer vernichtet worden, verschleppt. In anderen Fällen wurde der intervenierenden Stelle anheimgestellt, sich nach Kriegsende erneut nach dem Verbleib zu erkundigen, da augenblicklich keine Nachforschungen angestellt werden könnten.

    Wie sehr die politische Durchsetzung der so genannten "Endlösung " auf der außenpolitischen Vorbereitung, Mitwirkung und Abschirmung durch das Auswärtige Amt beruhte, zeigt das Schicksal der ungarischen Juden. Dis März 1944 hatten 750.000 überlebt. Mit Hilfe deutscher Diplomaten wurden bis Juli 430.000 in die Vernichtungslager deportiert. Sebastian Weitkamp:

    Die SS fand in der AA-Führung einen Partner, bei welchem ein Konsens über die Vernichtungspolitik herrschte, der sich auf der Ebene der Referenten und Sachbearbeiter fortsetzte. Mit Wagner und Thadden waren die zuständigen Akteure aus unterschiedlichen Gründen - Karrierismus und Antisemitismus - motiviert, der SS bei der Judenvernichtung zuzuarbeiten. Sie taten dies nicht nur, indem sie Weisungen befolgten, sondern sie gingen darüber hinaus, in dem Willen, die Judenmaßnahmen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu fördern und eigene Initiativen zu entwickeln.

    Die Nachkriegskarrieren der beiden Diplomaten Wagner und von Thadden verliefen sehr unterschiedlich. Wagner setzte sich nach Südamerika ab, kehrte in den 50er Jahren nach Deutschland zurück und machte erst durch Pensionsansprüche die Strafverfolgungsbehörden auf sich aufmerksam. Von Thadden fasste dank einer vermögenden Ehefrau und alter Seilschaften außerhalb des Auswärtigen Amtes im Nachkriegsdeutschland schnell wieder Fuß. Beide wurden nie verurteilt. Großes öffentliches Interesse daran bestand nicht.

    Generell war eine NS-Vergangenheit nach 1945 kein Hindernis, um im Auswärtigen Amt Karriere zu machen. Hingegen dauerte es bis September 2004, ehe einer der wenigen aktiven Widerstandskämpfer unter den deutschen Diplomaten, Fritz Kolbe, von Joschka Fischer offiziell geehrt wurde. Kolbe wurde übrigens im Gegensatz zu vielen Alt - Nazis nicht in den Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik übernommen und zerbrach daran.

    Das Buch von Sebastian Weitkamp gibt einen aufschlussreichen und äußerst bedrückenden Einblick in die Bereitschaft des Auswärtigen Amtes, der SS skrupellos zuzuarbeiten.

    Sebastian Weitkamp : Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der "Endlösung"
    Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn