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"Ab nach München!"
Ausstellung zeigt Künstlerinnen um 1900

Künstlerinnen waren lange eine Seltenheit, jedenfalls in der Bildenden Kunst. Doch vor etwas mehr als hundert Jahren gab es schon Vorläuferinnen, und in München ist ihnen eine Ausstellung im Stadtmuseum gewidmet: Künstlerinnen um 1900, und zwar weil München ein Zentrum weiblicher Bohème war. So gesehen, ist "Ab nach München!" ein genderpolitischer Schlachtruf.

Von Julian Ignatowitsch | 13.09.2014
    Künstlerinnen um 1900. Lässt sich damit eine Ausstellung füllen?
    "Also wir stellen in etwa 64 Künstlerinnen vor, und ich schätze um die 300 Exponate", sagt Kuratorin Antonia Voit. Sie verfolge mit der Ausstellung aber keine feministische Agenda, ihr Anliegen sei es,"diese unbekannten oder in Vergessenheit geratenen Künstlerinnen bekannt zu machen, ihnen ein Gesicht zu geben und eine Geschichte."
    Denn es gibt in der Tat sehr viel zu erzählen. Nicht weniger als ein ganzes Kunstsammelsurium ist auf gut 700 Quadratmetern im Stadtmuseum München zu bestaunen. Im Mittelpunkt immer: die Frauen.
    Weibliches Subjekt statt Objekt: Jede Künstlerin bekommt ein Gesicht, wird als Person vorgestellt - mit Porträt, Kurzbiografie und natürlich mit entsprechender künstlerischer Werkschau. Willkommen im begehbaren Lexikon einer viel zu lange verschmähten Protagonistin: der kreativen Frau am Vorabend der Moderne.
    Zu Beginn Malerei:
    Zum Beispiel Ivana Kobilca, deren Bild "Die Kaffeetrinkerin" in Slowenien so bekannt ist wie die Mona Lisa; Maria Slavona, die sich an den Alten Meistern orientierte - und deren einfühlsames "Selbstbildnis" es durchaus mit diesen aufnehmen kann; Katharine Schäffner, die bereits 1908 (vor Kandinsky) in Zeichnungen wie "Seufzer" oder „Sturm" mit Abstraktion experimentierte; oder Juliet Brown und Anna Gasteiger, die stilsicher auf den Spuren der französischen Impressionisten wandelten.
    Weiter zum Handwerk: Schmuck, Keramik, Porzellan, Textilarbeiten, Skulpturen und Möbelstücke.
    Gertraud von Schnellenbühels Kerzenleuchter gilt als bedeutende Ikone des Jugendstil. Nicht minder beeindruckend ist Wera von Bartels 33 Zentimeter großer Reiher aus Bronze. Emmy von Egidy experimentiert mit Form und Farbe, lässt Vasen zerfließen. Und Dora Polster entwirft neben detaillierten Buchbebilderungen der Märchen Grimm auch ganze Vitrinenschränke.
    Schließlich Fotografie:
    Stille Landschaftsaufnahmen von Elfriede Reichelt hängen neben ausdrucksstarken Porträts einer Wanda von Debschitz-Kunowski. Man bekommt einen Einblick ins Fotoatelier Elvira, geführt von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker, die in München jeden ablichten durften, der Rang und Namen hatte, bis hin zu Prinz Ludwig.
    Wer diese Frauengeschichten erzählt, kommt aber nicht darum herum, auch die damalige gesellschaftliche Situation in den Blick zu nehmen. "Ab nach München!", das klingt nach Aufbruchstimmung. München war damals ein Magnet für kunstschaffende Leute, eine der Kunstmetropolen Europas, weswegen all diese Frauen hier herkamen und, zumindest vorübergehend, hier gelebt haben. Fakt ist aber auch:
    Voit: "Dass die Frauen, die Künstlerinnen werden wollten und nach München kamen, um hier Kunst zu studieren, aus dem gehobenen Bürgertum stammten. Weil Frauen war der Zugang zur Akademie der Bildenden Künste verwehrt und Frauen konnten in der Regel nur an Privatschulen oder Privatateliers studieren, die deutlich teurer waren."
    Die Frauen nahmen ihr Schicksal also selbst in die Hand. Sie gründeten 1882 kurzerhand den "Künstlerinnen-Verein" und dann zwei Jahre später die "Damen-Akademie", als Gegenentwurf zum Münchner Patriarchat.
    Voit: "Die Damen-Akademie hatten den Ruf, dass die Frauen dort morgens schon Schnaps trinken würden und alle rauchen würden. Darüber haben sie sich dann selbst lustig gemacht, und das humorvoll aufgegriffen."
    Dieser frühemanzipatorische Geist und Genius - er ist in der ganzen Ausstellung spürbar. Dabei werden die Ressentiments nicht weggeschoben. Es gibt sie noch heute. Erst 2013 sagte Georg Baselitz im "Spiegel", Frauen seien die schlechteren Künstler. Mit solchen und anderen Vorurteilen werden die Besucher bereits im Eingangsbereich konfrontiert. Sie können sich dann vom Gegenteil überzeugen - und kennen anschließend hoffentlich ein paar Namen mehr.