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Ab vom Schuss

In Zeiten des russischen Präsidentschaftswahlkampfes eine unabhängige Zeitung herauszubringen ist schwierig. Das kleine Blatt "Inform Polis" versucht es dennoch - und stößt immer wieder an Grenzen.

Von Catrin Watermann | 01.03.2008
    "Eine oppositionelle und kritische Zeitung zu sein im Sinne von: Gegen den Staat und für das Volk, das ist unmöglich. Wir suchen keinen Konflikt mit der Macht. Das war bisher Gott sei Dank nicht notwendig. Russland wächst in demokratische Richtung. Der Auftrag der Zeitung ist es, die Bevölkerung darüber zu informieren, was innerhalb der staatlichen Strukturen vorgeht."

    Slawa Dagaew, Herausgeber der Zeitung "Inform Polis", wählt seine Worte bedacht. Die Frage nach seinem Verhältnis zu den Herrschenden ist ihm spürbar unangenehm.

    Viel lieber spricht der studierte Journalist über die Vergangenheit: Über die Probleme, die er und seine Frau Cojelma vor fünfzehn Jahren hatten, als sie die Wochenzeitung gründeten. Wie sie in den postsowjetischen Zeiten Anfang der Neunziger immer wieder vor Wände liefen und wie sie trotzdem ihren eigenen Vertrieb und ihre eigene Druckerei aufbauten.

    Heute hat die Zeitung hat eine wöchentliche Auflage von 30.000 Exemplaren und die Mitarbeiter der Anzeigenabteilung haben viel zu tun. Herausgeber Slawa Dagaew sieht seine wichtigste Aufgabe darin, Netzwerke zu spinnen:

    "Unsere Druckerei konnten wir nur dank eines internationalen Medienfonds aufbauen. Die Hilfe ist nicht nur finanziell wichtig, sondern auch bei der Ausbildung von Journalisten und Managern für unser Unternehmen."

    Slawa Dagaew spricht gern über Positives, zum Beispiel auch über den Preis, den die Redaktion im vergangenen Jahr aus dem fernen Deutschland erhielt. Die "Zeit-Stiftung" verlieh "Inform Polis" den Preis für unabhängige Presse in Osteuropa. Chefredakteurin Tamara Naguslaewa weiß, warum die Jury ihr Blatt ausgewählt hat:

    "Wir sind aufgrund unserer kritischen Berichterstattung über die geplante Pipeline, die buchstäblich entlang des Baikalufers verlaufen sollte, ausgezeichnet worden."

    Viele Menschen am Baikal waren gegen die Ölleitung und gingen auf die Straße, um zu protestieren. Die sechs fest Angestellten und vier Pauschalisten der Redaktion unterstützten die Aktionen über Monate mit ihren Berichten. Noch heute scheinen alle hier ein wenig verblüfft, dass sie damit etwas bewegt haben. Präsident Putin selbst intervenierte im Jahr 2006. Die Route verläuft nun weit entfernt von dem einzigartigen See.

    Im Wahlkampf jedoch hat sich die Redaktion strikter Objektivität verschrieben. Es bleibe ihr auch gar nichts anderes übrig, sagt die Chefredakteurin:

    "Die Gesetze, wie über Wahlen zu berichten ist, machen es uns schwer. Wir dürfen nur Wahlwerbung drucken. Im redaktionellen Teil dürfen wir nur objektiv informieren. Wir können nicht kommentieren, unsere Meinung äußern oder diskutieren."

    Im vergangenen Frühjahr äußerte ein Mitarbeiter doch seine Meinung. Er berichtete kritisch über die Auflösung autonomer burjatischer Bezirke in Sibirien. Der Anruf aus dem örtlichen FSB kam prompt. Nach einem halben Jahr Arbeitspause, die der Geheimdienst nahe gelegt hatte, schreibt der junge Journalist wieder für die Zeitung. Er arbeitet jetzt an anderen Themen. Auch wenn Chefredakteurin Tamara Naguslaewa ihn wieder mitarbeiten lässt: Selbst sie hält die Rüge der Überwachungsorgane für legitim.

    "Er ist ja selbst in einer oppositionellen Partei aktiv und hatte seine Meinung kundgetan. Sie haben uns gefragt: Wo ist Ihre Unabhängigkeit, Ihre Objektivität? Ich bin der Meinung, dass sie Recht hatten."

    So arrangiert sich die einzige unabhängige Zeitung Burjatiens immer wieder mit der Obrigkeit. Aber ihre Macher suchen dennoch nach Wegen, die verordnete Objektivität zu unterlaufen. Auf einem Seminar in Moskau, das eine amerikanische Stiftung organisierte, gab man der Chefredakteurin folgenden Rat: Sie solle bei regierungskritischen Themen in die Fiktion ausweichen. Tamara Naguslaewa denkt darüber nach:

    "Wenn wir Fakten haben und wir können dennoch nicht offen berichten, dann werden wir vielleicht bald Märchen schreiben."