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Abdallah Ali As-Sanusi At Darrat (Libyen)

Das Land muss von allen Kranken gereinigt werden. Jeder, der dabei ertappt wird, über den Kommunismus zu sprechen, über die Ideen von Marx oder über den Atheismus, wird ins Gefängnis gesteckt. Ich werde meinem Innenminister befehlen, alle Gruppen von solchen kranken Menschen zu säubern. Wenn ich eine Person endtdecke, die zu den Muslimbrüdern gehört oder zur Islamischen Befreieungspartei, werden wir sie ins Gefängnis stecken. Jeder, der zu den westlichen Ideen aufruft oder zum Kapitalismus, ist krank und gehört auch ins Gefängnis.

Mona Naggar |
    Kündigte Oberst Muammer Al-Qadhdhafi in einer Rede an, die er im April 1973 in der Stadt Zwara hielt. Eine Art Kulturrevolution sollte stattfinden. Zunächst waren die öffentlichen Bibliotheken betroffen. "Das Kapital" von Marx, Werke von Sartre und James Joyce wurden aus den Regalen verbannt und öffentlich verbrannt. Auch arabische avantgardistische Literatur war nunmehr verboten. Dann setzten die Sicherheitskräfte den Aufruf des Revolutionsführers Menschen ins Gefängnis zu stecken in die Tat um. Sie verhafteten Hunderte von Studenten, Intellektuelle und Journalisten. Abdallah Ali As-Sanusi At-Darrat war einer von ihnen. Er arbeitete als Journalist:

    Abdallah Ali As-Sanusi At-Darrat: Nur eine Minderheit unter den Verhafteten sympathisierte mit einer Partei. Vieles war einfach verboten zum Beispiel die Idee der Baath anzuhängen, also arabisch-nationalistische oder auch islamistische Ideen zu haben. Dann gab es Berber unter den Verhafteten. Sie wurden beschuldigt eine Minderheit zu bilden, wobei sie nur das Recht forderten, ihre Sprache zu benutzen. Andere wurden beschuldigt, links vom politischen Spektrum zu stehen. Aber die meisten waren unabhängig. Sie befassten sich ganz allgemein mit Politik. Allen gemeinsam war, dass sie die Meinungsfreiheit verteidigten. Das war der Hauptgrund. Die Menschen wollten ihre Meinung äußern und eine freie Presse haben.

    Sagt der Libyer Ali Abdalwahid, der seit einigen Jahren in Deutlschland politisches Asyl genießt. Vier Jahre vor dieser großen Verhaftungswelle putschte Muammar Al-Qdhdhafi zusamen mit einigen Offizieren gegen König Idris I. Vor allem die ungerechte Verteilung der Erdöleinnahmen und die ausländischen Militärstützpunkte im Land sorgten für Unmut bei der Bevölkerung. In der Armee fanden die Ideen des damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdalnasser zunehmende Verbreitung. Panarabismus und Sozialismus waren die Schlagwörter. Im ersten Kommunique des Revolutionsrats, dem Qadhdhafi vorstand, wird die Arabische Republik Libyen ausgerufen, den Menschen wird versprochen in Wohlstand, Freiheit und Gleichheit zu leben. Wenige Monate später schlägt der Revolutionsrat andere Töne an:

    Jeder wird mit Gefängnis bestraft, der sich gegenüber der republikanischen Herrschaft feindlich verhält. Dazu gehört Propaganda gegen die republikanische revolutionäre Herrschaft zu betreiben, Hass und Zwietracht im Volk zu sähen, frei erfundene Gerüchte über die politische und wirtschaftliche Lage des Landes zu verbreiten und gegen das System zu demonstrieren oder zu streiken.

    Die unabhängige Presse war eines der ersten Opfer der Revolution. Die ehmalige libysche Journalistin Malika Al-Haddad:

    Malika Al-Haddad: Früher erschienen in Libyen mehr als zehn unabhängige Zeitungen und Zeitschriften. Eine einzige Zeitung sprach damals im Namen der Regierung. Qadhdhafi verstaatliche die Presse und gründete eine staatliche Institution, die einige Zeitungen herausgab. Alle gaben die Meinung des Staates wieder, was gleichzeitig die Meinung der Revolution war.

    Der Journalist Abdallah Ali As-Sanusi At-Darrat sitzt seit 26 Jahren ohne Anklage in einem libyschen Gefängnis. Er ist der Journalist mit der längsten Haftdauer, den die Organisation Reporter ohne Grenzen in ihren Akten führt. Bemühungen herauszufinden, wo er gefangen gehalten wird und wie es ihm geht, blieben erfolglos. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schätzt, dass Hunderte von Inhaftierten ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Libyen in Gewahrsam gehalten werden. Es ist auch zu befürchten, dass As-Sanusi At-Darrat gefoltert wurde. Nach den Erkenntnissen von Amnesty International werden politische Häftlinge routinemäßig während der Verhöre gefoltert. Mehrere Gefangene sind in den letzten Jahren infolge von harten Haftbedingungen, Folter und mangelhafter medizinischer Versorgung gestorben. Wenn Gefangene vors Gericht gestellt werden, gibt die libysche Gesetzgebung einige Garantien für einen fairen Prozessablauf z.B. das Recht, den Beistand eines Rechtsanwalt zu erhalten. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Ali Abdalwahid erzählt von Freunden, die 1977 verhaftet wurden:

    Ali Abdalwahid: Sie kamen vor einem Zivilgericht, es nannte sich Revolutionssicherheitsgericht. Sie hatten einen Rechtsanwalt zur Verfügung, der sie gegen die Anschuldigung verteidigte eine Partei gegründet zu haben, was in Libyen als Verrat gilt. Einige sind freigekommen. Andere wurden zu Haftstrafen zwischen zwei und sieben Jarhren verurteilt. Als Qadhdhafi von dem Gerichtverfahren hörte, legte er Widerspruch ein und befahl, den Fall vor einem Revolutionsgericht neu zu verhandeln. Es ist ein außerordentliches Gericht und es gab keinen Rechtsanwalt für die Beschuldigten. Sie wurden zum Tode verurteilt, dann hieß es die Urteile wurden in lebenslänglich umgewandelt. 1988 kamen sie frei.

    Nach den Informationen der oppositionellen Nationalen Front zur Rettung Libyens wurde ein Teil der Journalisten, Intellektuellen und Studenten, die die Sicherheiheitskräfte 1973 verhafteten in den folgenden Jahren freigelassen. Die letzte Gruppe kam vor elf Jahren frei. Ein anderer Teil wurde vor Revolutionsgerichte gestellt, die einige zum Tode verurteilten. Andere sitzen bis heute im Gefängnis u.a. Ali Abdallah As-Sanussi.

    1989 trat Libyen der UN-Konvention gegen Folter bei und dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Die schweren Menschrechtsverletzungen im Land sind ein krasser Verstoß gegen diese Verpflichtungen.