Das Büro von Walde + Graf befindet sich in einem schmucklosen Hinterhofgebäude nahe des Alten Schlachthofs, zehn Busminuten vom Zürcher Hauptbahnhof. Es mag inspirierendere Orte mit höherer Kaffeehausdichte geben – doch noch lässt es sich im Kreis 4, südlich der Bahngleise, ruhig leben und arbeiten: 100 Meter weiter haben die legendäre "Edition Moderne" und das Comic-Magazin "Strapazin" ihre Räume, zahlreiche Künstler und Illustratoren wissen die relativ günstigen Mieten zu schätzen.
Die kreative Nachbarschaft spielt dem gebürtigen Rheinländer Peter Graf und seiner notorischen Neugier in die Karten. Vermutlich ist sie es, die ihn damals, zu Beginn der 90er, zusammen mit einem Freund die "Sammlung Babylon" gründen lässt – ein Gratis-Magazin, das Kunst, Literatur, Comics und Illustration lustvoll mixt und zu Themenheften bündelt, die "Bier und Liebe" oder "Glücksritter" heißen. Ein wenig sind das auch die beiden Herausgeber: Alle drei Monate packen sie ihren alten Kombi mit 15.000 Exemplaren für eine Deutschland-Tour, Lesungen werden organisiert. Der Markt wird für derlei später die Schublade "Popliteratur" erfinden, doch eigentlich macht Graf nur da weiter, wo schon Rolf-Dieter Brinkmann & Co. den Weg bereitet haben.
"Und ich hab’ dann über so was wie die Arbeit an diesem Heft, an dem Magazin irgendwann gemerkt, dass es mir großen Spaß gemacht hat, Themen zu setzen und Dinge miteinander zu verknüpfen. Und ich hab’ mich nie als Autor oder so wahrgenommen, oder als "Künstler" oder irgend etwas in der Richtung. Sondern immer als jemand, der Themen setzt und dann Autoren oder Künstler probiert dafür zu gewinnen. Und da ist man ja schon relativ nahe am Verlegen. "
Doch zunächst ergattert Graf, nach diversen Stationen als freier Lektor, eine Stelle bei Kein & Aber in Zürich. Höhere Fügung? Was seinem damaligen Chef Peter Haag der frühe Haffmanns Verlag, ist für Peter Graf Rogner & Bernhard: Die Wimmel-Kultur der "Merkhefte" und Zweitausendeins-Läden, der frühe T. C. Boyle und Douglas Adams, Sachbücher zu Musik, Popkultur oder Film – das alles prägt ihn als Leser und wird zum Ideal des künftigen Programmmachers.
"Ich hab’ mich da oft dran erinnert, als ich jetzt angefangen habe mit Anaïs Walde den Verlag zu machen... Weil das Konzept sehr frei ist! Und ich wollte immer was machen, was so frei ist in der Anlage, dass man alle möglichen Dinge da unterbringen kann, wenn man denkt, sie haben irgendeine Relevanz."
Als sich ein Investor findet, der bereit ist, diesen Gedankenspielen Leben einzuhauchen, werden im Spätsommer 2009 Nägel mit Köpfen gemacht: Gemeinsam mit Anaïs Walde, die Marketing und Lizenzgeschäft beim Schweizer Kunstbuchverlag Benteli betreute, gründet Peter Graf den eigenen Verlag. Was sie, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, von den Protagonisten der letzten Gründungswelle um 2000 unterscheidet, ist ein neuer Pragmatismus: Der Versuch, verlegerisches Bauchgefühl und nüchterne Ökonomie unter einen Hut zu bekommen.
"Ich orientiere mich da eher an Verlagen wie vielleicht Kunstmann. Wo ich denke: Das ist fantastisch! Da gibt es diese Verlegerin, die seit vielen Jahren einfach mit viel Geschick erfolgreich Programm macht. Und, ja - das sind nicht dieselben Bücher, die wir vielleicht machen. Aber so was kann schon Vorbild sein. Und da ist sicherlich genau dieselbe Idee, die dahinter steht: Dass man sagt: Man will gar nicht sehr groß sein. Sondern man will das, was man macht, eben nachhaltig machen - und Erfolg mit den Büchern haben. Und wenn man Erfolg hat, heißt das nicht, dass man im Jahr danach ein Programm macht, das doppelt so groß ist."
Markenzeichen von Walde + Graf ist die konsequente Verbindung von Literatur und Kunst, Text und Illustration. Kaum eine Neugründung der letzten Jahre hat so kompromisslos auf die körperlichen Qualitäten des Buchs gesetzt, von denen angesichts der elektronischen Reizkulisse gerade so viel zu hören ist.
"Ja, Gestaltung ist ganz wesentlich für das, was wir machen. Wir wollen die haptischen Qualitäten des physischen Buches sozusagen herausarbeiten. Aber nie als "Objekt". Mir ist da immer ganz wichtig, dass die Ausstattung, dass der ganze Auftritt zum Thema passt. Dass wir das aber auch für den Markt aufbereiten. Und dass wir es schaffen, ein Buch etwas außergewöhnlicher zu inszenieren - und das aber zu einem Preis, wo man sonst vielleicht ein Hardcover mit Schutzumschlag macht."
<im_79920>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT BERICHTERSTATTUNG ÜBER DAS BUCH</im_79920>Im Fall der "Monkey Wrench Gang", Edward Abbeys Abenteuer-Groteske um vier Öko-Saboteure, die mit viel Dynamit und noch mehr Fantasie Umweltschutz betreiben, trifft Trash-Ästhetik auf "Wildwest"-Typografie. Wird hier, passend zu "Occupy" und schwäbischen "Wutbürgern", der Counterculture der 70er gehuldigt, feiern die Zürcher in diesem Frühjahr Tarzans 100. Geburtstag mit drei Romanen aus der Feder von Edgar Rice Bourrougs.
Neben solchen Wiederentdeckungen und zeitgenössischer Belletristik stehen aufwendig inszenierte Bände zu skurrilen Schweizer Themen: Ausgestattet von jungen Grafikern, halten etwa eine Kulturgeschichte des "Schwingens" – eine helvetische Variante des Ringens - oder die Wiederentdeckung traditioneller Bewegungsspiele geschickt die Balance zwischen Retro und Avantgarde.
Dazu engagiert sich Peter Graf vom Start weg für das hierzulande immer noch recht stiefmütterlich behandelte Genre Graphic Novel. So erzählt "The Beats", dessen amerikanische Originalausgabe er in der Auslage einer Buchhandlung in Tel Aviv entdeckte, faktenreich und mitreißend die Geschichte der Beat-Literatur, das Leben von Ginsberg, Kerouac und ihren Freunden – als Sach-Comic.
"Dieses Thema Graphic Novel ist ein sehr interessantes - aber es ist nicht ganz einfach, das durchzusetzen. Es ist, glaube ich, immer noch so, dass auf der einen Seite es viele Rezensenten gibt, die sich sehr dafür interessieren. Die auch in den Feuilletons dieser neuen Form des literarischen Erzählens Raum geben. Aber der stationäre Buchhandel, das Sortiment, ist noch nicht so richtig darauf vorbereitet. Sie wissen oft nicht: Wohin stelle ich das Buch? Darf ich das jetzt zu den Romanen legen? Oder zur Literaturgeschichte? Oder zu "Asterix & Obelix" und "Tim & Struppi"? Also, es muss schon ein Erfolg da sein, wie bei "Persepolis", dann funktioniert es auch im zweiten, dritten Schritt dann auch da. Aber da gibt es noch zu wenig Mut."
"Abenteuer für Erwachsene" hat Graf letztes Jahr auf die Vorschau geschrieben; das trifft den Geist, der hier herrscht, ganz gut. Er selbst wirkt an seinem Schreibtisch, eingezwängt zwischen Manuskriptstapeln, Bildbänden und Bergen von Comics, nicht eben wie eine rheinische Frohnatur. Kein Mann für schnelle, einfache Antworten. Was in Zeiten, da die ersten der einst so gefeierten jungen, wilden Verlage wieder von der Bildfläche verschwinden, vermutlich nicht das Schlechteste ist.
"Ich bin einfach ein eher bedächtiger Mensch. Aber ich bin kein Bedenkenträger! Sonst würde ich das, glaube ich, nicht machen, was wir da machen. Also, ich möchte über alles nachgedacht haben und wissen, warum ich’s tue. Aber es gibt viele spielerische Momente da drin. Und das ist auch ganz wichtig. Und das ist auch eigentlich auch die Befriedigung, die ich aus dieser Arbeit ziehe. Aber man muss einfach immer genau wissen, warum man was macht. Und man muss eben den Markt mitdenken und - ja, all diese Aspekte im Auge haben. Und das ist natürlich ein bisschen komplizierter, als wenn man jetzt, ja, irgendwie ein Magazin finanziert hat und dann fährt man damit durch die Gegend und macht sich nette Abende."
Mehr zum Thema:
Homepage Walde + Graf-Verlag
Die deutsche Ausgabe von Edward Abbeys zuerst 1975 erschienener "Monkey Wrench Gang", illustriert von Robert Crumb, übersetzt von Sabine Hedinger, wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der "Schönsten deutschen Bücher 2010" gekürt (472 Seiten. 24,95 Euro).
Die kreative Nachbarschaft spielt dem gebürtigen Rheinländer Peter Graf und seiner notorischen Neugier in die Karten. Vermutlich ist sie es, die ihn damals, zu Beginn der 90er, zusammen mit einem Freund die "Sammlung Babylon" gründen lässt – ein Gratis-Magazin, das Kunst, Literatur, Comics und Illustration lustvoll mixt und zu Themenheften bündelt, die "Bier und Liebe" oder "Glücksritter" heißen. Ein wenig sind das auch die beiden Herausgeber: Alle drei Monate packen sie ihren alten Kombi mit 15.000 Exemplaren für eine Deutschland-Tour, Lesungen werden organisiert. Der Markt wird für derlei später die Schublade "Popliteratur" erfinden, doch eigentlich macht Graf nur da weiter, wo schon Rolf-Dieter Brinkmann & Co. den Weg bereitet haben.
"Und ich hab’ dann über so was wie die Arbeit an diesem Heft, an dem Magazin irgendwann gemerkt, dass es mir großen Spaß gemacht hat, Themen zu setzen und Dinge miteinander zu verknüpfen. Und ich hab’ mich nie als Autor oder so wahrgenommen, oder als "Künstler" oder irgend etwas in der Richtung. Sondern immer als jemand, der Themen setzt und dann Autoren oder Künstler probiert dafür zu gewinnen. Und da ist man ja schon relativ nahe am Verlegen. "
Doch zunächst ergattert Graf, nach diversen Stationen als freier Lektor, eine Stelle bei Kein & Aber in Zürich. Höhere Fügung? Was seinem damaligen Chef Peter Haag der frühe Haffmanns Verlag, ist für Peter Graf Rogner & Bernhard: Die Wimmel-Kultur der "Merkhefte" und Zweitausendeins-Läden, der frühe T. C. Boyle und Douglas Adams, Sachbücher zu Musik, Popkultur oder Film – das alles prägt ihn als Leser und wird zum Ideal des künftigen Programmmachers.
"Ich hab’ mich da oft dran erinnert, als ich jetzt angefangen habe mit Anaïs Walde den Verlag zu machen... Weil das Konzept sehr frei ist! Und ich wollte immer was machen, was so frei ist in der Anlage, dass man alle möglichen Dinge da unterbringen kann, wenn man denkt, sie haben irgendeine Relevanz."
Als sich ein Investor findet, der bereit ist, diesen Gedankenspielen Leben einzuhauchen, werden im Spätsommer 2009 Nägel mit Köpfen gemacht: Gemeinsam mit Anaïs Walde, die Marketing und Lizenzgeschäft beim Schweizer Kunstbuchverlag Benteli betreute, gründet Peter Graf den eigenen Verlag. Was sie, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, von den Protagonisten der letzten Gründungswelle um 2000 unterscheidet, ist ein neuer Pragmatismus: Der Versuch, verlegerisches Bauchgefühl und nüchterne Ökonomie unter einen Hut zu bekommen.
"Ich orientiere mich da eher an Verlagen wie vielleicht Kunstmann. Wo ich denke: Das ist fantastisch! Da gibt es diese Verlegerin, die seit vielen Jahren einfach mit viel Geschick erfolgreich Programm macht. Und, ja - das sind nicht dieselben Bücher, die wir vielleicht machen. Aber so was kann schon Vorbild sein. Und da ist sicherlich genau dieselbe Idee, die dahinter steht: Dass man sagt: Man will gar nicht sehr groß sein. Sondern man will das, was man macht, eben nachhaltig machen - und Erfolg mit den Büchern haben. Und wenn man Erfolg hat, heißt das nicht, dass man im Jahr danach ein Programm macht, das doppelt so groß ist."
Markenzeichen von Walde + Graf ist die konsequente Verbindung von Literatur und Kunst, Text und Illustration. Kaum eine Neugründung der letzten Jahre hat so kompromisslos auf die körperlichen Qualitäten des Buchs gesetzt, von denen angesichts der elektronischen Reizkulisse gerade so viel zu hören ist.
"Ja, Gestaltung ist ganz wesentlich für das, was wir machen. Wir wollen die haptischen Qualitäten des physischen Buches sozusagen herausarbeiten. Aber nie als "Objekt". Mir ist da immer ganz wichtig, dass die Ausstattung, dass der ganze Auftritt zum Thema passt. Dass wir das aber auch für den Markt aufbereiten. Und dass wir es schaffen, ein Buch etwas außergewöhnlicher zu inszenieren - und das aber zu einem Preis, wo man sonst vielleicht ein Hardcover mit Schutzumschlag macht."
<im_79920>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT BERICHTERSTATTUNG ÜBER DAS BUCH</im_79920>Im Fall der "Monkey Wrench Gang", Edward Abbeys Abenteuer-Groteske um vier Öko-Saboteure, die mit viel Dynamit und noch mehr Fantasie Umweltschutz betreiben, trifft Trash-Ästhetik auf "Wildwest"-Typografie. Wird hier, passend zu "Occupy" und schwäbischen "Wutbürgern", der Counterculture der 70er gehuldigt, feiern die Zürcher in diesem Frühjahr Tarzans 100. Geburtstag mit drei Romanen aus der Feder von Edgar Rice Bourrougs.
Neben solchen Wiederentdeckungen und zeitgenössischer Belletristik stehen aufwendig inszenierte Bände zu skurrilen Schweizer Themen: Ausgestattet von jungen Grafikern, halten etwa eine Kulturgeschichte des "Schwingens" – eine helvetische Variante des Ringens - oder die Wiederentdeckung traditioneller Bewegungsspiele geschickt die Balance zwischen Retro und Avantgarde.
Dazu engagiert sich Peter Graf vom Start weg für das hierzulande immer noch recht stiefmütterlich behandelte Genre Graphic Novel. So erzählt "The Beats", dessen amerikanische Originalausgabe er in der Auslage einer Buchhandlung in Tel Aviv entdeckte, faktenreich und mitreißend die Geschichte der Beat-Literatur, das Leben von Ginsberg, Kerouac und ihren Freunden – als Sach-Comic.
"Dieses Thema Graphic Novel ist ein sehr interessantes - aber es ist nicht ganz einfach, das durchzusetzen. Es ist, glaube ich, immer noch so, dass auf der einen Seite es viele Rezensenten gibt, die sich sehr dafür interessieren. Die auch in den Feuilletons dieser neuen Form des literarischen Erzählens Raum geben. Aber der stationäre Buchhandel, das Sortiment, ist noch nicht so richtig darauf vorbereitet. Sie wissen oft nicht: Wohin stelle ich das Buch? Darf ich das jetzt zu den Romanen legen? Oder zur Literaturgeschichte? Oder zu "Asterix & Obelix" und "Tim & Struppi"? Also, es muss schon ein Erfolg da sein, wie bei "Persepolis", dann funktioniert es auch im zweiten, dritten Schritt dann auch da. Aber da gibt es noch zu wenig Mut."
"Abenteuer für Erwachsene" hat Graf letztes Jahr auf die Vorschau geschrieben; das trifft den Geist, der hier herrscht, ganz gut. Er selbst wirkt an seinem Schreibtisch, eingezwängt zwischen Manuskriptstapeln, Bildbänden und Bergen von Comics, nicht eben wie eine rheinische Frohnatur. Kein Mann für schnelle, einfache Antworten. Was in Zeiten, da die ersten der einst so gefeierten jungen, wilden Verlage wieder von der Bildfläche verschwinden, vermutlich nicht das Schlechteste ist.
"Ich bin einfach ein eher bedächtiger Mensch. Aber ich bin kein Bedenkenträger! Sonst würde ich das, glaube ich, nicht machen, was wir da machen. Also, ich möchte über alles nachgedacht haben und wissen, warum ich’s tue. Aber es gibt viele spielerische Momente da drin. Und das ist auch ganz wichtig. Und das ist auch eigentlich auch die Befriedigung, die ich aus dieser Arbeit ziehe. Aber man muss einfach immer genau wissen, warum man was macht. Und man muss eben den Markt mitdenken und - ja, all diese Aspekte im Auge haben. Und das ist natürlich ein bisschen komplizierter, als wenn man jetzt, ja, irgendwie ein Magazin finanziert hat und dann fährt man damit durch die Gegend und macht sich nette Abende."
Homepage Walde + Graf-Verlag
Die deutsche Ausgabe von Edward Abbeys zuerst 1975 erschienener "Monkey Wrench Gang", illustriert von Robert Crumb, übersetzt von Sabine Hedinger, wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der "Schönsten deutschen Bücher 2010" gekürt (472 Seiten. 24,95 Euro).