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Abenteuer mit Leidenschaft

Das Becherhaus in den Stubaier Alpen liegt 3195 Meter hoch. Es ist Tirols höchstes Schutzhaus. Doch wer den Weg hinauf erklimmt, wird mit einer grandiosen Aussicht und der Ruhe der Natur belohnt.

Von Brigitte Baetz und Sabine Lipka | 20.09.2009
    "Ich hab es als Bub, sagt man so, als Junge gesehen und danach eben als Bergführer - eben das Haus. Und ich wollte schon immer einfach da oben leben. Und diese Hütte, die hat mich einfach fasziniert; ist was Besonderes. Und vielleicht für einen anderen Hüttenwirt ist seine Hütte etwas Besonderes. Für mich ist einfach das Becherhaus was Besonderes gewesen."

    Das Besondere fasziniert Erich Pichler immer noch. Wir treffen den blonden 48-Jährigen auf der Pfandleralm. Das Gasthaus, das er seit seinem Weggang vom Becherhaus bewirtschaftet, liegt wieder "weit droben", wie man hier in Südtirol sagt, auf über 1300 Meter mit einem grandiosen Blick hinunter auf Sankt Martin im Passeiertal.

    Doch die Sehnsucht nach dem ultimativen Gipfelerlebnis Becherhaus hat Pichler nie verlassen. Diese Schutzhütte auf 3195 Metern, errichtet am äußersten Abgrund des Becherfelsens, einer Erhebung im Südgrat des Wilden Freigers, war für acht Jahre die Sommerheimat für Erich Pichler und seine Familie. Aber mit zwei kleinen Kindern in dieser Höhe, umgeben vom Eis des Gletschers, abgeschnitten von schneller medizinischer Versorgung - das schien selbst einem Abenteurer wie Pichler auf Dauer nicht verantwortbar. Seine Frau Andrea schwärmt von ihrer Zeit auf der höchstgelegenen Schutzhütte Südtirols:

    "Du tankst brutal positive Energie. Du deckst die Grundbedürfnisse für die Leute ab und du hast eigentlich den groben Alltag dahinter; auch die Leute, die hoch kommen, die gehen einfach so lang und so weit, dass sie beim Gehen abschalten können und wirklich mal den ganzen Ballast unten lassen können. es gibt auch welche, die sich dann oben übergeben. Manche sagen ja, es ist die Höhe, aber ich bin ja nach wie vor der Meinung, die lassen den kompletten Ballast einmal hinter sich, machen sich mal frei von allem, sind auf dem Gipfel und genießen es einmal so richtig, weil: Da geht dir ja die Seele oben über, wenn es traumhaft schön ist."

    Wie traumhaft schön es ist, lässt sich eigentlich nur herausfinden, wenn man den Weg hinauf zu Fuß wagt.

    Wir starten auf der Timmelsalm, oberhalb der Timmelsjochstraße, die das Passeirer Tal mit dem Ötztal verbindet, und marschieren durch eine typische Almlandschaft. Rechts und links geht es schnell steil und schroff hinauf. Um uns herum grüne Weiden, hier und da Felsbrocken. Alpenrosen säumen den Weg. In Schlangenlinien durchfließt die Passer die Hochfläche und ergießt sich immer wieder in Wasserfällen den Felsen hinab. Kühe weiden an den Wegrändern und liegen auch gern einmal im Weg herum. An Menschen sind sie gewohnt, noch trifft man Wanderer und Bergbauern im Gelände.

    "Das ist hier die Autobahnausfahrt Nord."

    Wir sind mit Karl Lanthaler unterwegs. Seit einem halben Jahrhundert führt der inzwischen 75-Jährige durch die Berge seiner Heimat. Wer auf das Becherhaus möchte, muss über einen Gletscher gehen. Ohne einen erfahrenen und ortskundigen Bergsteiger kann das gefährlich werden. Auch Karl, schmal und drahtig, war einmal Wirt auf der Becherhütte. Er weiß um die Schönheit, aber auch um die Härte des Lebens dort oben.

    "Auf diesen hohen Hütten sind es zweieinhalb bis drei Monate Saison. Dann unbedingt wetterabhängig: Wenn die Wochenenden schlecht sind, dann ist das Geschäft weg. Und damals ist natürlich das große Problem der Transport von allen möglichen Sachen gewesen. Da hat es noch keine Hubschrauberversorgung gegeben, musste alles hoch geschleppt werden. Also hier hoch sind wir mit einem Muli wie weit es halt gegangen ist, bis zur Schneegrenze, und nachher auf den Schultern, auf der Kraxe. Da sehen wir dann weiter oben, wo wir die Lager gehabt haben - und wie weit wir dann mit den Lasten gegangen sind."

    Auch ohne große Traglasten lassen Steigung und unebener Serpentinenweg den Wanderer ziemlich schnaufen. Immerhin werden wir bis über den Gletscher fast 1200 Höhenmeter überwunden haben. Und doch, sagt Karl der Bergführer, gab es zu seiner Zeit als Hüttenwirt Gäste, die glaubten, in einer so hochgelegenen Schutzhütte allen Komfort der Zivilisation vorfinden zu können. Wer sich dann beschwerte, für das Teewasser zahlen zu müssen, den verwies er einfach auf die Realität der Berge.

    "Da steht der Behälter. Da gehst du mal auf den Gletscher hinunter, Wasser holen; kriegst von mir einen Doppelliter Wein. Hat jeder groß geschaut, das Teewasser sofort bezahlt und nichts gesagt."

    Nach vier Stunden zügigen Anstiegs erreichen wir hinter einem steilen Hang den Schwarzsee, einen stillen Bergsee, über dem jetzt kleine Nebelwolken liegen; dahinter dunkle Bergrücken mit leuchtend weißen Schneefeldern.

    Immer stiller wird die Natur, Murmeltiere gibt es nur noch selten, und es wird klar, dass wir in Regionen vorstoßen, in denen sich das Leben immer mehr reduziert. Schwarz glänzend liegt er vor uns, der Schwarzsee, eigentlich ein perfekter Platz für eine Rast. Doch lange können wir hier nicht bleiben, denn eine Schlechtwetterfront zieht hinter uns herauf. Die Ziegenherden der Gegend haben sich längst, ihrem Instinkt folgend, auf den Weg ins Tal gemacht. Nur wir, die Menschen, wollen weiter, auch wenn es schon leise zu regnen beginnt.

    Karl Lanthaler: "Wir sind hier auf 2500 Meter und haben vor uns oben die Schwarzwandscharte, links im Nebel Schwarzwand - und da oben müssen wir drüber oder wollen wir drüber."

    Brigitte Baetz: "Denn wir machen es ja freiwillig."

    Karl Lanthaler: "Wenn uns das Wetter nicht größere Streiche spielt, dann geht es eine gute Stunde über den Gletscher, flach über den Gletscher."

    Durch ein schneebedecktes, langgezogenes Kar stapfen wir und durchqueren ein Gebirgsflüsschen. Die Landschaft, zuvor noch geprägt vom Grün der Wiesen und dem Grau der Steine, wird nun weiß, wenn auch mit großflächigen rostroten Teppichen.
    Karl Lanthaler: "Sand aus der Sahara."

    Brigitte Baetz: "Ehrlich, vom Wind hergeweht?"

    Karl Lanthaler: "Das hat es im Frühjahr oder im Spätwinter vom Wind hereingeweht. Und das ist ganz schlecht für die Gletscher, weil dadurch der Schnee wesentlich schneller schmilzt. Denn jede dunkle Stelle absorbiert Wärme, das Sonnenlicht, und dadurch schmilzt der Schnee wesentlich schneller und für den Gletscher ist das dann eben schlimm auch. - Na, jetzt einmal langsam, da geht es steil hinauf und das wird wieder flacher und dann zum Joch hoch noch einmal. - Sehen tun wir nichts mehr, weil Nebel ist."

    Sabine Lipka: "Und das Becherhaus? In welche Richtung ist das jetzt?"

    Karl Lanthaler: "Immer in der Richtung, müssen immer oben über das Joch."

    Sabine Lipka: "Da müssen wir noch drüber, ja."

    Immer kälter wird es, der Wind zieht an, Schneetreiben setzt ein, jetzt, so kurz vor dem Gletscher, sehen wir so gut wie nichts mehr. Alles ist weiß. Mit klammen Fingern legen wir die Klettergurte an und überqueren in der Seilschaft den Übeltalferner, den größten Gletscher der Stubaier Alpen, ganz vertrauend auf die Erfahrung unseres Bergführers, denn als Laien sind wir in diesem Schneegestöber vollkommen orientierungslos.

    Das Gefühl für bergauf oder bergab haben wir vollends verloren. Über eine Stunde geht es durch das blanke Weiß, immer anstrengender werden die Schritte, immer tiefer sinken wir ein, teilweise gehen wir an den Endmoränen des Gletschers entlang. Wie lange wir schon unterwegs sind, wissen wir nicht mehr, es gibt nur noch eins: rauf zur Müllerhütte, der nächstgelegenen Schutzhütte, die bewirtschaftet ist. Sie liegt circa 45 Gehminuten vom Becherhaus entfernt.

    Über felsiges Gelände erreichen wir endlich vollkommen erschöpft das schneeumtoste Haus. Einen Aufstieg zum Becherhaus können wir erst am nächsten Tag versuchen, wenn sich das Wetter beruhigt hat - und erst dann werden wir bei strahlendem Sonnenschein überhaupt erkennen, wie grandios die Bergwelt ist, in die wir uns begeben haben.

    Auf 3145 Metern gelegen, bietet die Müllerhütte bei schönem Wetter einen spektakulären Ausblick auf die höchsten Berge der Stubaier Alpen und ist ein idealer Ausgangspunkt zu Gipfeltouren auf mehrere Dreitausender; beispielsweise zum Zuckerhütl oder dem Wilden Pfaff. Auch sie, wie das in Sichtweite liegende Becherhaus, sind von hier aus nur über den Gletscher zu erreichen, eine nicht ungefährliche Strecke. Doch gerade die hiermit verbundene Einsamkeit, das Auf-sich-selbst-Gestelltsein mache den Reiz einer solchen Schutzhütte aus, meint die Wirtin Heidi von Wettstein.

    "Das Wichtigste ist, dass es einem gefällt, da oben zu sein, und dass es einem gefällt, dass da Bergsteiger vorbeikommen, und dass man ziemlich spontan auf jede Situation irgendwie eingehen kann. Und man muss unbedingt auch ein technisches Genie entweder selber sein oder mit haben, weil dauernd etwas hin ist - und da kann man nicht ins nächste Geschäft gehen, um Schrauben zu kaufen. Das muss man selber irgendwie hinkriegen."

    Reparaturen ausführen, die Hütte bei Wind und Wetter in Schuss halten, Bergsteiger bewirten, ja im Zweifel auch aus Bergnot retten: Die Ansprüche an einen Wirt einer Schutzhütte sind hoch und nicht von jedem zu bewältigen.

    "Es ist auch sehr intensiv. Es ist auch so: Im Frühling freut man sich immer raufzugehen und nach drei Monaten ist man schon froh, wenn man wieder ins Tal gehen kann, weil es einfach extrem intensiv ist, hier zu sein. Die Arbeitstage sind ja meist 14 bis 17 Stunden, außer wenn ganz Schlechtwetter ist, dann ist überhaupt nichts zu tun. Mit dem muss man auch zurechtkomme. Da kann man nicht irgendwohin gehen, sich zu unterhalten mal, ja."

    Zurückgeworfen zu sein auf sich selbst - das ist nicht Jedermanns Sache. Muss man dafür geboren sein? Ein Kind der Alpen sein vielleicht?

    "Ich bin eigentlich aus Kopenhagen. Irgendwann ist mir Dänemark einfach zu flach gewesen und da hab ich entschieden: Jetzt muss ich auswandern."

    Die zierliche 39-jährige Heidi, die mit ihrem Kopftuch und ihrem strahlenden Lachen gut 15 Jahre jünger wirkt, hat ihren Entschluss nicht bereut. Unklar ist jedoch, wie lange sie und ihr Hüttenpartner Lukas Lantschner sinnvollerweise die Müllerhütte noch werden pachten können. Denn: Der Klimawandel hat die Alpen längst im Griff, verändert die Natur schneller, als es dem Menschen lieb sein kann.

    "Die Gletscher schmelzen dahin wie nix und das Permafrost geht zurück - und dann entsteht extrem viel Steinschlag. Die ganzen Wege, die zur Hütte gehen, werden jedes Jahr ein bisschen anders und immer gefährlicher auch. Ja, das sieht man schon. Wenn man den ganzen Sommer hier oben ist, dann sieht man auch sehr deutlich, wie extrem viel sich das ändert."

    Im Sonnenlicht des frühen Morgens merken wir jedoch nichts von den Veränderungen, die die Gletscherwelt bedrohen. Vor uns liegt die glitzernde Puderzuckerlandschaft des mit Neuschnee bedeckten Übeltalferners, in die unsere Seilschaft die erste Spur zieht. Außer unserem eigenen Stapfen ist weit und breit kein Laut zu hören. Nach knapp 45 Minuten haben wir die Gletschersenke durchquert. Über einen steilen Grat mit teilweise herausgehauenen Stufen erklimmen wir die Felsen hinauf zur höchst gelegenen Schutzhütte Südtirols.

    Sabine Lipka: "Jetzt sind wir auf der Becherhütte. Wenn wir runter gucken, sehen wir unsere eigene Spur."

    Karl Lanthaler: "Genau. Die Spur, die wir von der Müllerhütte herüber gezogen haben, jetzt am Morgen. Es ist überall Neuschnee drauf vom gestrigen Schlechtwetter, vom Schneetreiben, vom Sturm gestern. Alles rein weiß. Drüben von der Müllerhütte ist der Aufstieg zum Wilden Pfaff; hat sich leider bereits wieder in Neben gehüllt, der Gipfel, weiter hinter dem Pfaff das Zückerhütl. Nach Südwesten ist der Blick in die Ötztaler Alpen mit den schönen Passeirer Bergen im Vordergrund, Hochfürst und Granatkogel mit den großen Gletschern dahinter und das Andere dahinter ist auch schon wieder im Ötztal drüben. Nach Süden hinunter ist frei bis in die Brenta. Der Blick heute sehr schön frei. Ganz eng vor uns der Auslauf auf den Übeltalferner. Drüben rechts die Schwarzwandscharte, wo wir gestern im Nebel und Regen herüber sind. Dann draußen der Flache ist der Königshofspitz und der Botzer. Und hier nach Südosten haben wir den Blick hinein in die Dolomiten. Sehr schön sieht man die Geislerspitzen noch. Dann weiter rechts geht das rüber zum Rosengarten, ganz rechts wäre dann noch da hinten aus dem Nebel Marmolada, Langkofel, da fängt es schon an zuziehen, etwas verschwommen."

    Ist schon der Blick vom Becherhaus aus spektakulär, so gleicht die Geschichte dieser quasi am Abgrund errichteten Hütte einem Abenteuer, das sich so wohl nur das 19. Jahrhundert mit seinem Fortschrittsglauben und seinem leichten Größenwahn ausdenken konnte.

    1892 beschloss die Sektion Hannover des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins ausgerechnet auf der Spitze des Becherfelsen in 3195 Meter Höhe eine große Schutzhütte zu bauen. 25 Tonnen Baumaterial wurden über Eis und Schnee nach oben geschafft. Teilweise mit Pferdeschlitten, teilweise nach dem Prinzip der sogenannten Bremsbahnen, die man sich vom Erztransport abgeschaut hatte. Das letzte Stück auf den Felsen selbst musste allerdings mit bloßer Muskelkraft bewältigt werden. Balken, zum Teil bis zu zwölf Meter lang und 80 Kilo schwer wurden oben zusammengebaut. Platz für 100 Personen schafft die Hütte, sogar eine eigene Kapelle, "Maria im Schnee", die höchstgelegene Marienkapelle der Alpen ist hier untergebracht. Nach einer Bauphase von nur sechs Monaten wurde am 16. August 1894 die Eröffnung gefeiert. Zu Ehren von Kaiserin Sisi wurde sie auch Kaiserin-Elisabeth-Schutzhütte genannt.

    Natürlich wurde seither viel modernisiert auf der Hütte, nicht nur die Schindeln erneuert, damit das Mauerwerk vor Regen und Frost geschützt ist und der Witterung nicht preisgegeben wird. So wurde unter anderem eine Fotovoltaikanlage installiert, um Strom zu erzeugen.

    Karl Lanthaler, unser Bergführer und auch vor Jahren Wirt auf dem Becherhaus, kennt die Hütte noch aus guten und aus harten Zeiten.

    "Natürlich ganz schlimm war es, wenn es überhaupt mal trocken war, trocken in der Hütte, dass man Schnee schmelzen musste. Also, da braucht es ja eine Menge Brennmaterial, um von einem Kessel voll Schnee höchstens zwei Liter Wasser herauszukriegen, damit alles versorgt ist. Das war schon ein gewaltiges Problem."

    Und doch waren die Anstrengungen immer wieder vergessen, wie Karl Lanthaler mit leuchtenden Augen erzählt.

    "Mei, war das schön, so am Abend. Strahlend blauer Himmel, sobald es dunkel geworden, finster gewesen ist und in der Hütte ruhig, hier auch mal zu sitzen und ins Tal herunterzuschauen, wo die Lichter unten geflimmert haben, so träumen. Und die Ruhe, die Ruhe, die Ruhe, die man also auch damals schon geschätzt hat, obwohl im Tal absolut nicht der Lärm, der Stress war wie heute. Schon damals hat man das gern gehabt. Sind so Erinnerungen."

    Und voll mit diesen Erinnerungen und angefüllt mit Glückshormonen durch den erfolgreichen und anstrengenden Aufstieg und dem wunderbaren Blick über die Ostalpen machen wir uns bei strahlendem Sonnenschein an den Weg zurück über den Übeltalferner und vergessen fast, dass das Gehen über den Gletscher auch ohne Sturm noch sehr gefährlich ist.

    "Wind bläst, kleine Elefanten stapfen durch den Schnee."

    Karl Lanthaler: "Neuschnee ist drauf jetzt. Da unten hat man gestern wirklich das blanke Eis gesehen und die offenen Spalten. Durch den Neuschnee hat es die zugeweht wieder zum Teil. Am oberen Rand sieht man eine, die voll offen ist. Aber das wäre jetzt das Gefährliche: Der Neuschnee, der trägt natürlich nicht, und da ist dann Vorsicht angesagt."

    Unser Abstieg über die Schwarzwandscharte hinunter zur Timmelsalm vollzieht sich in meist nachdenklichem Schweigen. Würden wir selbst dort leben wollen, und sei es nur für drei Monate im Jahr? Bei Wind und Wetter, Eis und Schnee, bei manchmal Betrieb, aber auch viel Einsamkeit?

    Aber fragen wir noch einmal den alten und bald neuen Pächter des Becherhauses, Erich Pichler. Es ist gewiss unbeschreiblich, auf einem Felsvorsprung seinen Sommer zu verbringen. Aber ist es nicht auch oft zu hart?

    Erich Pichler: "Das ist schwierig zu sagen, weil: Ich hab in der Stadt gelebt und das ist viel schwieriger wie auf dem Berg oben. Und das ist einfach eine Charaktersache und wo man aufgewachsen ist, wo man sich wohl fühlt. Und das ist wie alles, was man im Leben tut. Wenn das nicht so Spaß macht, dann ist das hart. Wen das einem Spaß macht, dann ist das nicht hart."

    Sabine Lipka: "Wie muss ein Hüttenwirt beschaffen sein?"

    Erich Pichler: "Grundsätzlich muss er die Hütte kennenlernen wollen - und sagen, ich möchte da oben im Sommer leben, nicht nur einen Sommer. Du musst einfach sagen, ich möchte da oben einfach den Sommer verbringen. Es ist sicher wunderschön. Das ist mal die Voraussetzung. Von der fachlichen Voraussetzung ist sicher ein ganz großer Teil Erste Hilfe, Rettung und Kenntnis vom Gebiet, weil: Es passiert ja, dass in umliegenden Hütten in Österreich, du kommst von vier Tälern hoch, vom Stubai Tal, vom Ötztal, vom Passeier Tal und Ridnaun ist der Hauptweg … Und die Leute gehen auch bei Nebel los und auf einmal rufen sie an: Herr Pichler, wir sind auf der Sulzenau losgegangen und wir gehen grad drei Stunden und wir wissen nicht mehr, wo wir sind. Wär gut, wenn Du weißt, wo die sich jetzt befinden, um denen weiter zu helfen oder sie holen zu gehen oder Rettung zu organisieren. Und es kann auch so sein, das ist fast ständig, jeden Sommer einmal, dass das vorkommt, einfach medizinisch soll er gut drauf sein. Und danach das nächste ist einfach: Eine Hütte zu bewirtschaften heißt einfach Kochen, Klo Putzen, ja alle Arbeiten, was sich viele nicht vorstellen können. Die sagen einfach mal, das ist schön, da oben zu leben. Aber der Tag fängt um fünf Uhr früh an, wo du den Herd anheizt. Du lebst mit einem Holzherd, wo du Holz reinschürst, du machst das Wasser heiß, um sechs geht die Türe auf vom Frühstück, da sollte der Kaffee und alles gerichtet sein. Danach um acht sind alle Leute weg, danach werden Lager gemacht und geputzt. Und dann kommen vielleicht ein paar Tagesgäste, wenn es da oben schön ist. Und abends hast halt wieder für die Gäste da zu sein."

    Schutzhüttenwirt zu sein ist eine Vollzeitbeschäftigung; nichts für schwache Nerven und nichts für Menschen, die schon zu Hause keinen Nagel in die Wand schlagen können; doch wenn man alle Voraussetzungen mitbringt, wunderschön, meint jedenfalls Erich Pichlers Frau Andrea:

    "Also des kann ich gar net beschreiben. Du tankst da oben so viel Energie, also, wie wir oben gelebt haben, sagte ich immer, ich brauch kein Dorf zum Kaffee trinken oder auch keine Stadt, die Leute kommen zu mir hoch. Du hast eine Unterhaltung, du bischt ja nie allein oder selten allein und wenn du allein bist, dann genieß ich es auch mal, weil die romantische Ruhe da oben ist was anderes - wirklich Besonderes. Schön ist schon so ein lila-blass-blauer Himmel in der Früh, das Holz ganz rot wird, wenn die Sonne aufgeht. Also das ist schon traumhaft, da braucht es auch nicht keiner fragen, warum man gern da oben ist. Die Grundbedürfnisse sind abgedeckt, du hast Arbeit und der ganze Pipapo, das Schwere, der Kleinkram, das lässt einfach weg. Du hast… ist eine positive Arbeit, du hast positiven Stress und des macht dich einfach reicher, als was du mit Geld verdienen kannst."

    www.becherhaus.com