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Abenteuer und Geschichte

Wie immer geht es am Samstag um Kinder- und Jugendbücher. Diesmal stellen wir vier historische Romane und drei Abenteuerromane vor.

Moderation: Gabriele Kosack |
    1.) Vier historische Romane


    Roland Mueller, Der Kundschafter des Königs. Auf den Spuren Alexanders des Großen. Cbj (Random House) 2005. 285 S. Preis: 14,90€. Ab 11 J.

    Roland Müller (Jg.1959): Gebürtiger Würzburger, schreibt Erzählungen, Drehbücher, Romane (Die Töchter des Pflanzenjägers erschien 2003). Der Kundschafter des Königs ist sein erstes Jugendbuch.

    In der Jugendbuch-Reihe cbj des Bertelsmann-Verlages: Jugendlichen die Geschichte, die klassische Geschichte vor allem, wieder darstellen. Das neue Programm ist breit angelegt, bietet für jeden etwas und wird deshalb vom Leser auch gut angenommen (dies zu cbj erzählte mir Mueller u.a. in dem Interview).- Die literarischen Zeitreisen führen in die Steinzeit ("Wolfsbruder" von Michelle Paver, der erste von sechs als Chronik angelegten Bänden; wird breit beworben), in die Antike (Alexander der Große) und in das blühende Delft des siebzehnten Jahrhunderts sowie nach Palästina vor fast zweitausend Jahren, nämlich zur Zeit von Jesu Wirken (Rainer M. Schröder, "Der geheime Auftrag des Jona von Judäa").

    Christian Jacq, Die Braut des Nil. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Gerstenberg 2005. 192 S. Preis: 11,90€. Ab 12 J.
    Der Franzose Christian Jacq (geb. 1947) ist von Hause aus Ägyptologe und wurde für seine Forschungsarbeiten mehrfach von der Académie francaise ausgezeichnet. Er gründete das Institut Ramsès, das sich für den Erhalt gefährdeter antiker Baudenkmäler in Ägypten einsetzt. Er verfasst Sachbücher und Romane über das Alte Ägypten und wurde in Deutschland insbesondere durch seine Ramses-Romane bekannt. Beim Gerstenberg-Verlag erschien jetzt von ihm "Die Braut des Nil".

    Aubrey Flegg, Das Erbe von Delft. (Orig. "Wings over Delft").Übers. Von Alexandra Ernst. Cbj (Random House) 2005. 247 S. Preis: 12.90€. Ab 12 J.
    Für seinen Roman "Das Erbe von Delft" wurde der Dubliner Autor Aubrey Flegg 2004 mit dem irischen Book of the Year Award ausgezeichnet. Das Buch erschien bei dem Dubliner Verlag O’Brian, der für seine hoch qualitativen Bücher bekannt ist.

    Mary Hooper, Aschenblüten (Orig. "Petals in the ashes", 2004 Bloomsbury Publishing Plc, London). Aus dem Engl. von Bettina Bach. 286 S. Preis: 14,90€. Ab 12 J.
    Mary Hooper hat zahlreiche Kurzgeschichten für Zeitschriften und über dreißig Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Daneben gibt sie Kurse in Kreativem Schreiben. 2001 wurde sie für ihr Buch "Megan" mit dem North East Book Award ausgezeichnet. Sie lebt in Hampshire.


    Wäre es nicht eine gute Idee, ab und zu einen Historienroman in den Geschichtsunterricht einzubeziehen? Wie lebendig könnten die trockenen Daten und Fakten werden, die sonst nach wenigen Wochen vergessen sind! Mächtige Persönlichkeiten und ruhmreiche Schlachten aus der Perspektive jugendlicher Zeitzeugen, deren spannende Erlebnisse, vielleicht auch zarten Liebesbande das Salz in der Suppe dröger Historie wären. Hat ein Autor solide recherchiert und kann seinen Lesern nicht nur die äußeren Umstände sondern auch das Lebensgefühl, den geistigen Horizont einer fremden Epoche vergegenwärtigen, dann weckt er den Appetit darauf, mehr über die Ereignisse der damaligen Zeit zu erfahren. Bei den vier historischen Jugendromanen, die wir aus dem Frühjahrs- und Sommerprogramm der Verlage herausgegriffen haben, ist das durchweg gelungen.

    Roland Müller versetzt uns in die Zeit Alexanders des Großen, den wir zusammen mit dem Hirtenjungen Dareg im Spätsommer des Jahres 334 vor Chr. in seinem Heerlager in Kilikien antreffen.
    Der zwölfjährige Dareg ist auf der Suche nach seinem Hund zum Zelt Mikails gelangt, eines Vertrauten des makedonischen Königs Alexander. Und weil er ein außergewöhnlich guter Spurenleser ist, wird er angeworben und zum Kundschafter ausgebildet. Im engeren Gefolge des charismatischen jungen Herrschers macht er nun mehrere Jahre lang dessen Eroberungszüge mit. Geschickt und mutig späht er den Feind aus, zieht aus seinen Beobachtungen die richtigen Schlüsse und wird allmählich zum wichtigsten Zulieferer der Informationen, die Alexander für sein strategisches Vorgehen braucht. Roland Mueller hat seinen König Alexander als einen nur schwer fassbaren Menschen gezeichnet: ein Mann mit scharfem Intellekt und – sogar für seine Zeit - ein sehr gut trainierter Kämpfer, ist er getrieben von dem unbedingten Willen zur Macht, selbstbezogen und skrupellos, ein Faszinosum im Guten wie im Schlechten. Er war ein Visionär, der als Gründer Alexandrias mit seiner sagenhaften Bibliothek noch heute bestaunt wird. Und er war ein Größenwahnsinniger, der sich in Memphis zum gottgleichen Pharao krönen und, so die Fiktion des Autors, seinen nackten Körper mit Gold bestäuben ließ. Diese eindrucksvolle Inszenierung passt in unser Bild von Alexander dem Großen ebenso gut wie der legendäre Hieb durch den Gordischen Knoten. Ja, so könnte es gewesen sein!

    "Alexander. Der Große. Warum ist dieser einstige antike König eigentlich der Große? Er war ein Welteroberer, war ein Herrscher, er war ein Despot; er war auf seine Art auch tyrannisch, und wenn man ihn psychologisch betrachtet, war er sicher auch nicht ganz gesund. Also er war mit Sicherheit eine ganz, ganz umstrittene Figur, bis zum heutigen Tag und ich wollt ein bisschen an diesem Mythos kratzen."

    Zum Mythos wurde der Ausnahmemensch Alexander schon zu Lebzeiten, weil viele Ereignisse um seine Person im Dunkeln blieben. So bietet der antike Stoff auch einen weiten erzählerischen Freiraum, den der Autor phantasievoll ausgeschöpft hat. Etwa wenn Dareg bei einem Mordanschlag auf den König zu dessen Lebensretter wird. Oder bei der militärhistorisch ungeklärten Entscheidungsschlacht zwischen den zahlenmäßig stark überlegenen Persern und den siegreichen Griechen. Der Autor hat die Situation zum Anlass genommen für einen gedanklichen Rollentausch der beiden Kontrahenten:

    "Hier machst du einfach so ein kleines Schachspiel der Geister zwischen Dareios und Alexander. Wie würde der Gegner handeln?"

    Doch diese kleine Lektion in Kriegstaktik wird untermahlt vom Gleichschritt der Hopliten, der griechischen Soldaten in der Phalanx, und sie wird umweht vom Gestank der Schlachtfelder und der niedergebrannten Häuser. Das Bild vom makellosen Helden und ruhmreichen Heerführer hat zu diesem Zeitpunkt schon Risse bekommen, denn:

    "Der Dareg stellt plötzlich fest, dieser toll angehimmelte, großartige Alexander, der König der Könige, ist erstens auch nur ein Mensch, auch wenn er sich ganz gern als Gott feiern lässt, und er stellt immer mehr fest, dass er Dinge tut, die tut eigentlich ein stolzer Heerführer nicht; dass er andere Menschen auslacht, dass er andere Menschen in ganz seltsamen Situationen bestraft, dass er seine Rechte, seine Willkür und natürlich seine Kraft als König unter allen Umständen durchsetzen möchte. All das wird dem Dareg im Lauf der Geschichte bewusst und er fragt sich immer mehr, was mach ich hier, wem diene ich hier?"

    Und diese Frage stellt sich auch der Leser, dessen Geschichtsbild nolens volens hinterfragt wird: eine nicht zu unterschätzende Chance des Historienromans, der sich eine fiktive Randfigur der Geschichte zum kritischen Zeitzeugen wählt.
    Im letzten kurzen Kapitel ist Dareg ein erwachsener gereifter Mensch, der als Fischer auf Samos seine eigentliche Lebensform und seinen inneren Frieden gefunden hat.

    "Er ist jetzt jemand, für den diese Sturm- und-Drang-Zeit, diese aufregende Zeit unter Alexanders Heer weit zurück liegt. Und es war mir wichtig darzustellen, dass oft die kleinen Freuden die angenehmeren sind."

    Ach ja .... Wer wollte nicht nach mühevollen Jahren einmal sesshaft werden und mit der Liebsten sein Glück im stillen Winkel finden. Viele setzen allerdings gerade da zum großen Karrieresprung an, und nach Christian Jacqs spannendem Roman Die Braut des Nil war das offenbar schon im alten Ägypten so. Dort bringt es der Bauernjunge Kamose mit verbissenem Fleiß und größter Zielstrebigkeit bis zum königlichen Schreiber. Triebfeder ist sein Aufbegehren gegen das ungerechte Schicksal seiner Eltern. Ein Veteran aus der Armee Pharao Ramses des Zweiten entreißt ihnen eines Tages Haus und Land, die er als Lohn für seine Verdienste urkundlich erhalten haben will. Kamose ist davon überzeugt, dass es sich um einen Fehler des Thebener Katasteramtes im Tempel von Karnak handeln muss. Um dorthinein zu gelangen, tritt er in die Bildhauerwerkstatt des Tempels ein und arbeitet sich hoch bis zum Privatschüler des Gelehrten, der den Pharao selbst in der Hieroglyphenkunde unterrichtet hat. In diesem asketischen Greis ist dem Autor eine besonders eindrucksvolle Figur gelungen. Der Alte zieht die Fäden, an denen in einer theistischen, streng gegliederten Gesellschaft das Schicksal Kamoses und seiner großen Liebe, der Priesterin Nofret, hängt. Und doch vollstreckt er damit nur den Willen der Götter, die den beiden jungen Menschen ihre Anlagen zu starken Persönlichkeiten gegeben haben. So will es das altägyptische Weltbild, das Christian Jacq für seine Leser mit Leben erfüllt.

    Allein die Anlagen eines Menschen zu erkennen und das wahre Ich, das Wesen hinter der äußeren Erscheinung sichtbar zu machen, ist eine besondere Kunst. In Aubrey Fleggs Roman Das Erbe von Delft beherrscht sie der alte Maler Haitink. Wir finden uns im Holland des siebzehnten Jahrhunderts wieder, in einer Zeit ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwungs, geistiger Umbrüche und der höchsten Blüte barocker Malerei. Andreas Eeden, Besitzer der besten Delfter Porzellanmanufaktur, gibt bei Meister Haitink ein Porträt von seiner Tochter Louise in Auftrag, wie es im Vorfeld einer Verlobung damals üblich war. Ohne dass es ihr bis dahin recht bewusst gewesen wäre, gilt Louise als ihrem Jugendfreund Reynier versprochen. Durch die Heirat soll dessen väterlicher Betrieb mit demjenigen Eedens zur größten Delfter Porzellanmanufaktur vereint werden. Für Reynier, einen arroganten Strahlemann und berechnenden Intriganten, ist die Aussicht auf diese geschäftliche Allianz das einzige Motiv seines Werbens um das äußerlich reizlose Mädchen mit seinem nichtssagenden Gesicht. Ihr eigensinniges Temperament aber, ihr Intellekt und ihre Herzenswärme lassen eine aufrechte und starke Persönlichkeit aufscheinen. Allerdings ist sie "wie ein Niesen, das nicht herauskommen will". So lässt es Aubrey Flegg seinen Haitink ausdrücken, für den er sich von Simon Schamas Buch Rembrandts Augen anregen ließ.

    Tatsächlich spielen Rembrandt van Rijn und der geniale Fabritius in dem Roman eine Rolle, das Wesentliche aber ist ihre Malerei, für deren Verständnis der Autor gründlich recherchiert hat. So waren es nicht erst die Impressionisten sondern die holländischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts, die schon die Wirkung der Spektralfarben entdeckten und das Mischen der Farbe nicht nur auf der Palette sondern auch im Auge des Betrachters verstanden. Mit ihrer sorgfältigen Lasurtechnik wurden sie zu Virtuosen einer luziden Stofflichkeit, sei es von Samt oder von Glas. Sie wandten eine ausgefeilte Lichtregie an und die Besten von ihnen entwickelten einen psychologischen Spürsinn, mit dem sie die Porträtkunst auf ein bis dahin ungekanntes Niveau führten. Wie Haitink, der über Louise später sagen würde, sie sei ohne jede Einbildung gewesen, klar und durchsichtig wie ein Glas und beim Anblick des Lapislazuli in seinem Atelier habe ihr ganzer Körper mit einem Male transparent gewirkt, wie

    "eine Schale, die ein in ihrem Innern verborgenes Mädchen enthüllte, das voller Wildheit und Wunder war, pulsierend vor Leben.""

    Für den Maler ist das der schöpferische Augenblick, in dem er das Wesentliche auf die Leinwand bannen muss. Dieses Mit-der-Seele-Sehen und Erkennen schildert Flegg auf meisterhafte Weise, und er kommt im Laufe des Romans immer wieder darauf zu sprechen, weil es für ihn den Gehalt aller Kunst, aber auch der Religionen und der Liebe ausmacht. Dass er hierbei Louise in ihrer jugendlichen Begeisterung zu seinem Sprachrohr macht, nimmt dieser Überzeugung ihre Schwere. Auch die philosophischen und naturwissenschaftlichen Reflexionen des Baruch Spinoza, den Louises Vater auf einer Geschäftsreise in Amsterdam besucht, versteht der Autor humorvoll zu brechen, indem er die Gedanken über Sein und Schein durch nachfolgende Himmelsbeobachtung aufs Köstlichste relativiert:
    "Ein blasser Mond eilte peinlich berührt von Wolke zu Wolke, als ob er sich zu lange in den nächtlichen Straßen herumgetrieben hätte und jetzt nicht mehr den Weg nach Hause fand."

    Aubrey Flegg ist ein Meister der feinen Ironie, der einfühlsamen Figurenzeichnung und einer spannenden Handlungsführung, mit der er es versteht, aus einer ganz individuellen Geschichte heraus die allgemeinen Zeitläufte lebendig zu machen: Hier Louises erwachende Liebe zu dem Malerlehrling Pieter und Reyniers skrupelloser Versuch, den Konkurrenten auszuschalten. Das Porträt dieses außergewöhnlichen Mädchens ist das Leitmotiv für zwei weitere historische Romane Fleggs, die schon auf Englisch im Verlag O’Brian erschienen sind und die in der Zeit der Französischen Revolution und im zwanzigsten Jahrhundert spielen. Eine originelle Idee für einen Fortsetzungsroman, der sprachlich brillant ist und eine komprimierte, spannende Handlung hat.

    An ein anderes Publikum wendet sich die englische Autorin Mary Hooper, die ihre Geschichte um Die Schwester der Zuckermacherin nun unter dem blumigen Titel Aschenblüten fortgeschrieben hat. Keiner spricht heute mehr von einem Jungmädchenbuch, obwohl damit die Zielgruppe treffend benannt und der literarische Typus angezeigt ist. Die Handlung kommt leichtfüßig daher und wird durch Gedanken und Dialoge der Protagonistinnen gedehnt. Schauplatz ist England im Jahre 1666. Hannah, die Ich-Erzählerin, und ihre ältere Schwester Sarah sind mit der Kutsche nach Dorchester gefahren, um die verwaiste kleine Grace bei ihren reichen Verwandten in Obhut zu geben.
    In London, wo die beiden Mädchen einen Zuckermacherladen unterhalten hatten, hat die Pest Tausende von Toten gefordert. Deshalb müssen die drei Reisenden erst eine vierzigtägige Quarantäne im Pesthaus überstehen, bevor sie bei den hohen Herrschaften logieren und schließlich in die Hauptstadt per Schiff zurückkehren können, wo Hannah auch ihren geliebten Tom wiederzufinden hofft. Die Leserinnen erfahren einiges über die einfachen Lebensumstände der Zeit, über König Charles und seine Geliebten und schließlich über den großen Brand von London. So bleibt auch bei der Bettlektüre noch ein wenig historisches Wissen hängen, zumal die Spannung selbst für zart besaitete Gemüter erträglich ist.

    Manchmal muss es ja für junge Leserinnen auch diese Mischung aus erzählerischem Flanieren, unbeschwertem Geschnatter und der Sentimentalität sein, mit der sich Hannah von uns verabschiedet:

    "Ich spürte, dass mein Schicksal mit Tom verbunden war, aber auch mit London, und eines Tages würden wir zurückkehren, und es würde ein neues Geschäft geben, das Zur kandierten Rosenblüte hieß.""
    Am Fortsetzungsband wird also schon gestrickt.

    [Autorin: MARTINA WEHLTE]
    2.) Drei Abenteuerromane

    Paul Bajoria: Schwarze Spuren, aus dem Englischen von Nina Schindler,
    Beltz & Gelberg, 364 Seiten, 14,90 Euro, ab 12, aus dem Englischen von

    Birgitt Kollmann Jamila Gavin: Der Ozean des Mondes,
    Ravensburger Buchverlag, , 416 Seiten, 16,95 Euro, ab 10 J.

    Kenneth Oppel: Wolkenpanther. Beltz & Gelberg, aus dem Englischen von
    Anja Hansen-Schmidt, 550 Seiten, 16,90 Euro, ab 12