In einer hutschachtelgroßen Vitrine im Dieselmuseum auf dem Werksgelände von Bosch in Stuttgart-Feuerbach steht eine kleine Kanone, die Kollegen aus Abfallteilen bastelten, als einer der ersten "Gastarbeiter" in Pension ging. Außerdem zwei Lexika, zwei Ausweise, eine Fahrkarte und ein Bilderbuch der Firma. Alle andren Vitrinen enthalten die Dauerausstellung mit Bauteilen von Dieselmotoren. Dazwischen stehen bis Mitte September 19 Pappkameraden, das sind Tafeln auf den das Leben jedes befragten ehemaligen "Gastarbeiters" geschildert wird und an deren oberen Ende ihr Kopf als Schwarz-Weiß-Foto sitzt.
Einer von ihnen, der 1964 natürlich sehr wenig Gast und vor allem Arbeiter war, ist Matteo Ciociola:
"Für mich war Bosch schon was Besonderes, weil ich habe so Marineschule besucht in Italien. Und da war dabei auch diese berühmte Bosch Einspritzpumpe, bloß vom Namen her. Und als ich nach Deutschland kam, da war meine jetzige Schwager auch noch beschäftigt, na wollte ich schon immer drenne, aber das hat ein bissle lange gedauert, bis I komme bin, circa vier Jahre gedauert, weil da war ein bissle Krise im Laufen und dann war mit der Wohnung problematisch zu finde als Ausländer. Chance 5 Prozent vielleicht. Na habe über Wasser gehalten. Na bin e Baumschule, Baustelle, verschieden Firmen, aber mein Gedanke war immer Bosch."
Matteo Ciociola klingt fast wie ein Schwabe, ist Deutscher geworden, fühlt sich aber als Europäer. Andere haben heute noch ein Bein in der Heimat und eines hier. Wie war das für die deutschen Kollegen? Johann Döbler, der 40 Jahre bei Bosch arbeitete:
"Es war natürlich schwierig, weil die Deutsche Sprache war er nicht mächtig. Und da hat man halt alles versucht, mit Deuten und mit Akustisch und so weiter. Aber man hat sich dann schon mittlerweile zurechtgefunden."
Anderthalb Jahre haben sieben Studentinnen unter Leitung von Professor Reinhard Johler vom Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen und Projektleiterin Felicia Sparacio einen Fragebogen mit 300 Fragen entwickelt und dann in mehrstündigen Interviews das Material gesammelt für ein fast 400-seitiges Buch, das zur Ausstellung erschien. Die Originalinterviews, fast 700 Seiten, bekam das Firmenarchiv, das die kulturwissenschaftliche Erforschung der ersten Gastarbeiterschicksale in Auftrag gegeben hatte.
Bei einigen Interviews flossen auch mal Tränen, weil bedrückende Erinnerungen durch die Fragen wieder geweckt wurden. Es war damals nicht alles eitler Sonnenschein für die Arbeitskräfte aus der Fremde. Aber einige der Befragten ließen sich jetzt mit ihrer Interviewerin fürs Familienalbum fotografieren. Man hat sich also verstanden gefühlt. Umgekehrt staunte Studentin Caroline Dieterich:
"Was mich wirklich beeindruckt hat, war der unglaubliche Wille und Arbeitseifer mit denen unsere Interviewpartner hier ans Werk gingen und mit was für einer Willensstärke sie auch wirklich dazu bereit waren sich hier zu integrieren, Deutsch zu lernen, ein Leben aufzubauen und dann, wenn die ersten Kinder kamen, in Gegenschicht zu arbeiten, also wirklich ein wahnsinnig arbeitsreiches Leben und trotzdem so eine Zufriedenheit auszustrahlen - in meinen zwei Fällen, das hat mich sehr sehr beeindruckt. Also da könnte man sich ein Scheibchen abschneiden von denen."
Der Firmengründer Robert Bosch war ein Patriarch mit sozialem Bewusstsein. Das führte zu einer eigenen Firmenkultur, die für Arbeiter anziehend war. Ein "Boschler" zu sein, das war etwas Besonderes. Man gehörte sozusagen zur Oberklasse der Arbeitenden. Deshalb konnte sich die Firma gute Leute aussuchen. Dabei haben sich viele der Befragten als Gewerkschaftler, Vertrauensleute oder Streikführer auch für ihre Kollegen aus anderen Ländern eingesetzt. Viele waren ehrgeizig. Matteo Ciociola erinnert sich:
"Zuerst einmal Maschinenarbeit, also Hilfsarbeit und dann irgendwann hab ich gesagt: 'Nee, so kann ich nit weiter gehe!' Und dann hab ich hier Abendkurs angefangen als Mechaniker und dann ging's aufwärts."
Bis zum eigenen Häuschen. Er und seine Kollegen sind aus der Heimat abgefahren, in Deutschland angekommen und Boschler geworden. Sie haben hart gearbeitet, manche Not gemeistert und sich einen gewissen Wohlstand erworben. Manche halten Kontakt in die Heimat, viele werden aber im Alter hier bleiben. Sie wollten raus aus der Armut und Abhängigkeit und gaben ihr Bestes. Das trug sicher zum Erfolg bei. Haben dabei auch die besondere Firmentradition und die weltweiten Niederlassungen eine Rolle gespielt? Professor Reinhard Johler:
"Ich glaub gar nicht, dass Bosch von sich aus spezielle Programme für Gastarbeiter, spezielle Gedanken für Gastarbeiter entwickelt hat; wohl aber, wie die Firma insgesamt aufgestellt war, dass sich doch vergleichsweise zu anderen positivere Effekte gezeigt haben. Zumindest belegen unsere Interviews das ein wenig."
Diese Interviews sind Zeugnisse der subjektiven Sicht der ehemaligen Gastarbeiter. Sowohl aus Firmenakten und der Firmenzeitschrift, aber auch aus anderen Forschungsarbeiten werden die Interviews in einen größeren Zusammenhang gestellt und eingeordnet. Weil damals Arbeitskräfte gesucht wurden, aber Menschen kamen, entstand - eigentlich ungeplant - Integration:
"Also ein Punkt, der mir wichtig war, auch, wenn er vielleicht ganz einfach ist, ist, dass doch die Arbeitswelt enorm wichtig für die Integration ist. Also dass man doch viel stärker wieder in Zukunft auf die Arbeitswelt blicken soll. Wenn diese gut funktioniert, dann funktioniert Integration auch gut."
Die Befragten verstehen unter Integration, dass man die eigene Kultur nicht vergisst, oder verleugnet, sondern die fremde Kultur als Bereicherung erwirbt und achtet. Aber auch die Fremde durch die eigene Kultur bereichert, was sich vor allem in der Küche ablesen lässt, in der damals Pizza, Spaghetti, Gyros, Zucchini, Auberginen und vieles Andere unbekannt waren.
Die Interviews zeigen am Beispiel des Weltkonzerns aber auch: Nur wer Fremden Chancen bietet - wie hier den Aufstieg vom Fließbandarbeiter zum Meister, oder der Gabelstaplerfahrerin zur Vorarbeiterin - kann erwarten, dass sie diese nutzen. Doch auch in dieser Firma hat gestiegener Leistungsdruck die Arbeitsfreude verringert. Matteo Ciociola:
"Früher war schon Bosch was Besonderes. Heute? Ich weiß es nicht! Ich hab mir in die letzte Jahre gedacht: Das ist nicht mehr, was meine Bosch einmal war, das ist nicht mehr heute. Das war einfach, hat Spaß gemacht zu arbeite, aber letzte Zeit arbeitet jeder mit Ellenbogen."
Integration ist also unter heutigen Bedingungen schwieriger. Dabei kann sie auch für die Produktivität der Firma eine Bereicherung sein. Professor Reinhard Johler:
"Auch am Fließband findet so etwas, wie kulturelle Vielfalt statt und diese kulturelle Vielfalt kann auch am Fließband produktiv sein. Und sie kann zum Wohle des Unternehmens sein, der Mitarbeiter, aber ein Stück weit - denk ich mir - auch unserer gesamten Gesellschaft. Und das ist eigentlich so der interessante Gedanke daran: Kulturelle Vielfalt von unten."
Einer von ihnen, der 1964 natürlich sehr wenig Gast und vor allem Arbeiter war, ist Matteo Ciociola:
"Für mich war Bosch schon was Besonderes, weil ich habe so Marineschule besucht in Italien. Und da war dabei auch diese berühmte Bosch Einspritzpumpe, bloß vom Namen her. Und als ich nach Deutschland kam, da war meine jetzige Schwager auch noch beschäftigt, na wollte ich schon immer drenne, aber das hat ein bissle lange gedauert, bis I komme bin, circa vier Jahre gedauert, weil da war ein bissle Krise im Laufen und dann war mit der Wohnung problematisch zu finde als Ausländer. Chance 5 Prozent vielleicht. Na habe über Wasser gehalten. Na bin e Baumschule, Baustelle, verschieden Firmen, aber mein Gedanke war immer Bosch."
Matteo Ciociola klingt fast wie ein Schwabe, ist Deutscher geworden, fühlt sich aber als Europäer. Andere haben heute noch ein Bein in der Heimat und eines hier. Wie war das für die deutschen Kollegen? Johann Döbler, der 40 Jahre bei Bosch arbeitete:
"Es war natürlich schwierig, weil die Deutsche Sprache war er nicht mächtig. Und da hat man halt alles versucht, mit Deuten und mit Akustisch und so weiter. Aber man hat sich dann schon mittlerweile zurechtgefunden."
Anderthalb Jahre haben sieben Studentinnen unter Leitung von Professor Reinhard Johler vom Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen und Projektleiterin Felicia Sparacio einen Fragebogen mit 300 Fragen entwickelt und dann in mehrstündigen Interviews das Material gesammelt für ein fast 400-seitiges Buch, das zur Ausstellung erschien. Die Originalinterviews, fast 700 Seiten, bekam das Firmenarchiv, das die kulturwissenschaftliche Erforschung der ersten Gastarbeiterschicksale in Auftrag gegeben hatte.
Bei einigen Interviews flossen auch mal Tränen, weil bedrückende Erinnerungen durch die Fragen wieder geweckt wurden. Es war damals nicht alles eitler Sonnenschein für die Arbeitskräfte aus der Fremde. Aber einige der Befragten ließen sich jetzt mit ihrer Interviewerin fürs Familienalbum fotografieren. Man hat sich also verstanden gefühlt. Umgekehrt staunte Studentin Caroline Dieterich:
"Was mich wirklich beeindruckt hat, war der unglaubliche Wille und Arbeitseifer mit denen unsere Interviewpartner hier ans Werk gingen und mit was für einer Willensstärke sie auch wirklich dazu bereit waren sich hier zu integrieren, Deutsch zu lernen, ein Leben aufzubauen und dann, wenn die ersten Kinder kamen, in Gegenschicht zu arbeiten, also wirklich ein wahnsinnig arbeitsreiches Leben und trotzdem so eine Zufriedenheit auszustrahlen - in meinen zwei Fällen, das hat mich sehr sehr beeindruckt. Also da könnte man sich ein Scheibchen abschneiden von denen."
Der Firmengründer Robert Bosch war ein Patriarch mit sozialem Bewusstsein. Das führte zu einer eigenen Firmenkultur, die für Arbeiter anziehend war. Ein "Boschler" zu sein, das war etwas Besonderes. Man gehörte sozusagen zur Oberklasse der Arbeitenden. Deshalb konnte sich die Firma gute Leute aussuchen. Dabei haben sich viele der Befragten als Gewerkschaftler, Vertrauensleute oder Streikführer auch für ihre Kollegen aus anderen Ländern eingesetzt. Viele waren ehrgeizig. Matteo Ciociola erinnert sich:
"Zuerst einmal Maschinenarbeit, also Hilfsarbeit und dann irgendwann hab ich gesagt: 'Nee, so kann ich nit weiter gehe!' Und dann hab ich hier Abendkurs angefangen als Mechaniker und dann ging's aufwärts."
Bis zum eigenen Häuschen. Er und seine Kollegen sind aus der Heimat abgefahren, in Deutschland angekommen und Boschler geworden. Sie haben hart gearbeitet, manche Not gemeistert und sich einen gewissen Wohlstand erworben. Manche halten Kontakt in die Heimat, viele werden aber im Alter hier bleiben. Sie wollten raus aus der Armut und Abhängigkeit und gaben ihr Bestes. Das trug sicher zum Erfolg bei. Haben dabei auch die besondere Firmentradition und die weltweiten Niederlassungen eine Rolle gespielt? Professor Reinhard Johler:
"Ich glaub gar nicht, dass Bosch von sich aus spezielle Programme für Gastarbeiter, spezielle Gedanken für Gastarbeiter entwickelt hat; wohl aber, wie die Firma insgesamt aufgestellt war, dass sich doch vergleichsweise zu anderen positivere Effekte gezeigt haben. Zumindest belegen unsere Interviews das ein wenig."
Diese Interviews sind Zeugnisse der subjektiven Sicht der ehemaligen Gastarbeiter. Sowohl aus Firmenakten und der Firmenzeitschrift, aber auch aus anderen Forschungsarbeiten werden die Interviews in einen größeren Zusammenhang gestellt und eingeordnet. Weil damals Arbeitskräfte gesucht wurden, aber Menschen kamen, entstand - eigentlich ungeplant - Integration:
"Also ein Punkt, der mir wichtig war, auch, wenn er vielleicht ganz einfach ist, ist, dass doch die Arbeitswelt enorm wichtig für die Integration ist. Also dass man doch viel stärker wieder in Zukunft auf die Arbeitswelt blicken soll. Wenn diese gut funktioniert, dann funktioniert Integration auch gut."
Die Befragten verstehen unter Integration, dass man die eigene Kultur nicht vergisst, oder verleugnet, sondern die fremde Kultur als Bereicherung erwirbt und achtet. Aber auch die Fremde durch die eigene Kultur bereichert, was sich vor allem in der Küche ablesen lässt, in der damals Pizza, Spaghetti, Gyros, Zucchini, Auberginen und vieles Andere unbekannt waren.
Die Interviews zeigen am Beispiel des Weltkonzerns aber auch: Nur wer Fremden Chancen bietet - wie hier den Aufstieg vom Fließbandarbeiter zum Meister, oder der Gabelstaplerfahrerin zur Vorarbeiterin - kann erwarten, dass sie diese nutzen. Doch auch in dieser Firma hat gestiegener Leistungsdruck die Arbeitsfreude verringert. Matteo Ciociola:
"Früher war schon Bosch was Besonderes. Heute? Ich weiß es nicht! Ich hab mir in die letzte Jahre gedacht: Das ist nicht mehr, was meine Bosch einmal war, das ist nicht mehr heute. Das war einfach, hat Spaß gemacht zu arbeite, aber letzte Zeit arbeitet jeder mit Ellenbogen."
Integration ist also unter heutigen Bedingungen schwieriger. Dabei kann sie auch für die Produktivität der Firma eine Bereicherung sein. Professor Reinhard Johler:
"Auch am Fließband findet so etwas, wie kulturelle Vielfalt statt und diese kulturelle Vielfalt kann auch am Fließband produktiv sein. Und sie kann zum Wohle des Unternehmens sein, der Mitarbeiter, aber ein Stück weit - denk ich mir - auch unserer gesamten Gesellschaft. Und das ist eigentlich so der interessante Gedanke daran: Kulturelle Vielfalt von unten."