Capellan: Was werfen Sie Herrn Zwickel vor?
Brüderle: Ich habe nicht seinen Rücktritt gefordert, sondern er soll überlegen, ob er noch an der richtigen Stelle ist. Das ist ein kleiner Akzent, der unterschiedlich ist. Ich werfe ihm eine doppelte Moral vor: Er ist einer, der immer sehr kraftvoll als Gewerkschaftsboss gegen die Kapitalisten und die Millionenentschädigungen der Bosse - meines Erachtens zurecht - wettert, aber sich anschließend nicht dagegen stemmt und nicht dagegen wehrt. Das ist für mich eine doppelte Moral. Dann kann er nicht mit Glaubwürdigkeit öffentlich dagegen auftreten. Deshalb muss er sich überlegen, ob er noch an der richtigen Stelle ist.
Capellan: Also, mit seiner Stimmenthaltung hat er sich Ihrer Ansicht nach bereits schuldig gemacht?
Brüderle: Natürlich, wenn man öffentlich dagegen wettert, und da gibt es gute Begründungen - ich teile das weitestgehend -, dann muss man sich auch entsprechend verhalten, sonst ist man unglaubwürdig. Zumal jetzt bei den Abfindungen auch herauskommt, dass ehemalige Arbeitsrektoren und damit auch die Arbeitnehmerseite und IG-Metall-Vertreter betroffen sind, ist das Gefühl doch, dass es hier ein Geben und Nehmen gibt und nicht eine geradlinige saubere Überzeugung. In der Tat müsste jetzt in Deutschland auch von der Verhaltensweise, von der Art und Weise, wie man miteinander umgeht, aufgeräumt werden. Wir dürfen ja hier nicht zum Spielkasino werden und hier Fehlentwicklungen sehenden Auges laufen lassen, die unerträglich sind. Es ist ja nicht nur der Fall jetzt hier bei Mannesmann. Wenn Sie bei Babcock hören: Unter dem Vorstandsvorsitzende wird ruckzuck HDW, ein Juwel mit weltweit bester U-Boottechnik, an Amerikaner veräußert und plötzlich ist der gleiche Mann wieder dort Vorstandsvorsitzender. Das sind alles Dinge, die nicht in Ordnung sind, und so kann es nicht gehen. Wie wollen Sie denn noch in der breiten Bevölkerung Verständnis für Umstrukturierung, für Sparmaßnahmen wecken, wenn sich an der Spitze die Leute so verhalten?
Capellan: Da wollen wir gleich noch einmal drauf zu sprechen kommen, aber bleiben wir noch einmal kurz bei Mannesmann: Man könnte ja auch argumentieren, dass die Übernahme durch Vodafone eine kräftige Wertsteigerung für das Unternehmen gebracht hat. Warum kann man dann Zwickel und Ackermann die Veruntreuung von Firmengeldern vorwerfen?
Brüderle: Ob es eine Veruntreuung ist, das muss die Staatsanwaltschaft prüfen. Ich bin nicht der Richter und auch nicht der Staatsanwalt. Aber ob es wirklich nur eine Wertsteigerung war, wenn man sieht, wie es geendet ist, wie das Unternehmen dann herausfiletiert wurde und andere Teile in größte Schwierigkeiten kommen. Ob das alles eine glückliche Entwicklung oder keine glückliche Entwicklung war, da kann man auch verschiedener Meinung sein. Nur ich erwarte, wenn jetzt hier der Gewerkschaftsboss, der mächtigste Vorsitzender einer deutschen Einzelgewerkschaft, in den Gremien drinsitzen, dass sie sich dann auch konsequent verhalten. Man kann auch darüber streiten: Müssen die überall da drinnen sitzen? Ist es überhaupt richtig, dass die Gewerkschaftsbosse drinnen sitzen. Ist es richtig, dass Herr Wiesenhügel als Chef der Baugewerkschaft bei Holzmann und bei der Konkurrenz von Holzmann drin sitzt?
Capellan: Also, sind die Aufsichtsräte möglicherweise zu groß?
Brüderle: Meines Erachtens sind sie zu groß. Sie sollten kleiner und effektiver werden, die Zahlen der Aufsichtsratsmandate pro Person begrenzt werden. Es müssen Konkurrenzmandate verboten werden. Es geht ja nicht, dass die Wettbewerber einer Bank im Stahlsektor sitzen und einer der Konkurrenz da wieder mit drin steckt. Ich bin auch für das Stimmverbot im Aufsichtsrat bei Kreditvergaben, wenn eine Bank Vertreter darin hat und wesentliche Kredite schon vergeben hat, dass man auch den Finanzinvestitionsplan des Vorstands in gewisser Höhe an den Aufsichtsrat bindet, dass man etwa auch die Aufsichtsräte stärkt, indem man ihnen Assistenten gibt, die Pro-Stimmrechte dann verbietet, wenn eine Bank einen hohen Anteil an diesem Unternehmen hat, weil das alles Interessenkollisionen sind. Die Pro-Stimmrechte sollte man auch nicht ausüben, wenn die Bank zum maßgeblichen Kreditgeber des gleichen Unternehmens zählt. Also, hier gibt es viele Dinge, die einfach ungut sind.
Capellan: Also, Gesetzesänderungen wären da notwendig, Herr Brüderle.
Brüderle: Es ist dringend notwendig, dass hier ein anderer Stil hineinkommt. Wir dürfen uns nicht in Richtung einer Bananenrepublik entwickeln, sondern müssen wieder zu mehr Korrektheit, Gradlinigkeit und sauberen Verhaltensweisen kommen. Deshalb ärgert es mich bei Herrn Zwickel, der ganz besonders laut und kräftig immer donnert gegen Verhaltensweisen, und wenn er selbst betroffen ist, dann sitzt er überall mit drin, macht das kleine Mäuschen, hat mit nichts zu tun, war nur der Flieger und schickt eine Ansichtskarte.
Capellan: Herr Brüderle, nun fällt auf, dass Sie als FDP-Politiker nur über den Gewerkschafter Zwickel sprechen. Was ist mit dem Chef der Deutschen Bank? Was ist mit Josef Ackermann? Hat er nicht die selben Fehler gemacht wie Zwickel?
Brüderle: Das ist etwas anderes, wenn sich jemand öffentlich so in die politische Diskussion hineindrängt. Auch da gibt es natürlich Dinge, die zu rügen sind. Darum sage ich ja, dass Banken dann nicht mit Bankenvertretern ihr Stimmrecht ausüben können, wenn sie gleichzeitig wesentliche Kreditgeber bei dem gleichen Unternehmen sind oder wenn sie das Depotstimmrecht ausüben, gleichzeitig Anteile im Unternehmen haben. Da fordere ich genau so striktere Linien. Nur, es gibt einen Unterschied: Herr Ackermann gehört nicht zu denen wie Herr Zwickel, die sich permanent in die politische Auseinandersetzung lautstark mit Anspruch von großen Morallinien hineinmengen und selbst dann, wenn er betroffen ist - und das ist der Unterschied zu Herrn Zwickel - das Mäuschen macht und nichts weiß und nichts gehört hat. Er hat ja davor behauptet, vom Ganzen nichts gewusst zu haben, später behauptet, er hat es gewusst. Jetzt räumt er ein, dass sein Verhalten ein Fehler war. Das ist alles sehr fragwürdig. Wenn sich jemand so massiv in politische Auseinandersetzungen, auch im Vorfeld einer Bundestagswahl hineinmengt, zum Teil die Gewerkschaften noch mit Geldaufwendungen zu Gunsten von Grün-Rot - bei der letzten Bundestagswahl und jetzt wieder -, dann müssen Sie auch andere Maßstäbe an Ihr Verhalten gelten lassen.
Capellan: Also, Herr Brüderle, dann müsste Herr Ackermann also nicht zurücktreten, sollte Anklage gegen ihn erhoben werden?
Brüderle: Das ist eine andere Frage. Anklage erheben ist noch keine Verurteilung, sondern wo ich sagte, Zwickel solle sich überlegen, ob er an der richtigen Stelle ist - das ist etwas anderes, als wenn ich sage, er soll zurücktreten -, ist das die Antwort auf die doppelte Moral, lautstark öffentlich zu wettern, und selbst wenn er betroffen ist, sich sehr kleinlich in die Ecke hinausstehlend und gerne mit den Bossen mitmachend, persönlich konkret zu verhalten.
Capellan: Der FDP-Wirtschaftsexperte, Rainer Brüderle, heute morgen im Deutschlandfunk. Dankeschön und auf Wiederhören.
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