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Abgang aus dem Amt

Hosni Mubarak sah sich als Staatschef auf Lebenszeit. Er werde seinem Land bis zum letzten Atemzug dienen, was danach komme, das wisse Allah allein, so der ägyptische Präsident einmal. Doch nicht Allah, sondern das Volk bestimmte das Ende seiner Regierungszeit.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 12.02.2011
    Bei einer Revolution zählt nur das Ergebnis, aber wie verhält es sich mit der Geschwindigkeit? Ist eine Revolution so etwas wie eine chemische Reaktion, bei der es auch auf das Tempo ankommt? Die Verzögerungstaktik des ägyptischen Präsidenten hat jedenfalls Geschichte gemacht. Es ist schon eine beachtenswerte Leistung, die ganze Welt in 24 Stunden zweimal total zu überraschen. Erst durch Nichtrücktritt und dann durch Dochrücktritt. Dieser sonderbare Sprung in der Geschichte zwischen Donnerstagabend und Freitagabend beschäftigt jeden Kommentator. Wollte Mubarak eigentlich die Macht nicht abgeben und wurde vom Militär dazu gedrängt? Oder hat er es sich aus freien Stücken noch mal überlegt? Oder hatte er den Amtsverzicht längst beschlossen und bloß Lust auf ein kleines Verwirrspiel?

    Für Letzteres spricht, dass die Szene in Ägypten spielt. Nicht von ungefähr steht das Symbol der Rätselhaftigkeit, die Sphinx, vor den Toren der Hauptstadt. Nach Mubaraks vorgestriger Rätsel-Rede war es geradezu, als hätte die Sphinx selbst gesprochen, diese mythologische Mischung aus Großkatze und Mensch. Wer sich mit Katzen auskennt, weiß um ihren sozusagen ägyptischen Stolz. Der äußert sich regelmäßig darin, dass sie nicht sofort kommen, wenn man sie ruft, sondern erstmal desinteressiert und ostentativ ein paar Schritte in die Gegenrichtung tun. Genau wie der ägyptische Staatspräsident!

    Hunde hingegen sind den Ägyptern verhasste Tiere, weil sie nicht diese Kunst der Verzögerung beherrschen, dieses souveräne Verfügen über den Zeitfaktor, was ja nichts anderes als eine Machtdemonstration ist. Die Zeit ist ein Politikum. Man kann Dinge entscheidend verändern, indem man sie beschleunigt oder verlangsamt. Politische Herrschaft wirkt sich stets auch auf die und in der Dimension der Zeit aus: Der Kalender wird angepasst, Feiertage werden abgeschafft oder eingeführt, die Zeitrechnung wird umgestellt.

    Schon den alten Ägyptern war der Zusammenhang von Zeit und Macht geläufig: Die Pharaonen schufen sich Grabmale für die Ewigkeit und ließen ihre Leichen gegen den Verfall präparieren. Sie waren die ersten Menschen, die in den göttlichen Bereich der Zeit eingriffen. Wenn Mubarak seinen Spitznamen "Pharao" zu Recht trug, musste er gegen alle drängenden Erwartungen den Augenblick seines Abgangs unbedingt und ostentativ selbst bestimmen. Das hätte der einstige französische Staatspräsident Mitterrand, übrigens ein großer Ägypten-Liebhaber, der noch als Todkranker zu den Pyramiden aufbrach, nicht anders gemacht: Er trug als äußeres Zeichen seiner Verachtung gegenüber zeitlichen Zwängen nie eine Uhr.

    Nun aber beginnt in Ägypten hoffentlich eine Ära, die den Zusammenhang zwischen Macht und Zeit neu definiert, und zwar demokratisch. Demokratie ist nämlich unter anderem die Übertragung von Macht auf Zeit.