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Abgeordneten-Referenten
Nix da mit Mitbestimmung im Bundestag

Die Abgeordneten des Bundestags sind rechtlich gesehen Kleinstbetriebe. Zusammen beschäftigen sie als Arbeitgeber rund 4.500 Mitarbeiter in Berlin und in den Wahlkreisen, befristet für eine Wahlperiode. Und diese Mitarbeiter fordern jetzt Mitbestimmung.

Von Johannes Kulms |
    Das Berliner Reichstagsgebäude - hier im Sommer 2014.
    Hohes Arbeitspensum, Erreichbarkeit rund um die Uhr: Ein Referentenleben ist stressig. (picture-alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    "Die Arbeit in einem MdB-Büro kann das Paradies sei, aber es kann auch die Hölle sein. Und dazwischen gibt es ganz viele Nuancen. Es hängt vom Charakter des Abgeordneten ab."
    Seit fast 25 Jahren arbeitet Anna Alexandrakis bald als wissenschaftliche Abgeordneten-Mitarbeiterin für die SPD im Bundestag. Viele Abgeordnete hat sie schon kommen und gehen gesehen. Ebenso wie ihr Kollege Thomas Wierer, der Referent ist für einen Abgeordneten der CDU:
    "Für mich ist das eine Berufung, hier zu arbeiten. Und ich will nicht weg."
    Alexandrakis und Wierer sind beide Anfang 50. Zusammen sitzen sie an diesem Nachmittag in einem der unzähligen Besprechungsräume des Paul-Löbe-Hauses. Hier haben die Abgeordneten ihre Büros. Dass deren Arbeit reibungslos funktioniert, dafür sind Anna Alexandrakis und Thomas Wierer zuständig. Der Tag ist lang – und voll mit Terminen. Die beiden scheinen entspannt aber auch zurückhaltend. Grundvoraussetzung für ihr Wirken im Hintergrund. Alles Licht muss auf den Abgeordneten fallen. Das ist ihr Job.
    "Unser größtes Problem ist die Flut an Überstunden, die nicht zentral nachgehalten wird, das muss man selber machen und dann auch drum kämpfen, dass man die ausgeglichen bekommt. Für mich das größte Problem ist tatsächlich die Befristung auf eine Wahlperiode. Das heißt, am Ende der Wahlperiode stehe ich erst mal ohne Vertrag da."
    Wierer und Alexandrakis identifizieren sich voll mit ihren Jobs. Doch scheuen sie sich auch nicht, offen über Probleme zu sprechen, die das Arbeitsverhältnis mit sich bringt.
    Immerhin gebe es bei rund zehn Prozent der Bundestagsabgeordneten ernsthafte Probleme in den Arbeitsverhältnissen mit ihren Referenten, schätzt Anna Alexandrakis:
    "Ob es schon damit beginnt, dass eine Mutter von vier Kindern drei Wochen Urlaub nimmt im Sommer und die Chefin sagt, du nimmst aber deinen Laptop mit und bist für mich erreichbar. Oder ob es dann bei schlimmeren Geschichten anfängt."
    Wobei sich die Problemfälle auf alle Fraktionen im Bundestag verteilten. Sie sind sich einig: Die Abgeordneten-Mitarbeiter brauchen endlich Mitbestimmung!
    "Wir wollen nicht die Abgeordneten in die Pfanne hauen. Sondern dass wir wenigstens ein gleichmäßiges Netz spannen, würde einfach mal sagen: ein Sicherheitsnetz."
    Wierers und Alexandrakis Chefs arbeiten in der Großen Koalition zusammen, wo es in letzter Zeit oft knirschte. Doch bei Alexandrakis und Wierer spürt man schnell, wie sehr sie an einem Strang ziehen.
    Referenten als Bittsteller
    Beide sind Mitglieder des sogenannten "Mitarbeiterbeirates", den es seit 2009 gibt. In der Interessenvertretung sitzen Mitarbeiter von Abgeordneten aller Parteien. Während es bei der Bundestagsverwaltung und Fraktionen echte Personal- und Betriebsräte gibt, ist der Mitarbeiterbeirat bisher bloß ein Papiertiger.
    "Einfordern können wir gar nichts - wir können bitten. Und das macht einen nach sechs Jahren doch ziemlich marode."
    Beide träumen von einer fraktionsübergreifenden Beschäftigtenvertretung, die auch mal Zähne zeigen kann: Gegenüber ihren Chefs - den Abgeordneten. Die können nämlich im Alleingang über Einstellungen, Kündigungen und weitestgehend auch über die Gehälter ihrer Referenten entscheiden. Wichtige Rahmenbedingungen allerdings werden woanders festgelegt: Von der Mitarbeiterkommission des Ältestenrates im Bundestag, der neun Abgeordnete angehören. Und genau diesem Arbeitgebergremium wollen Anna Alexandrakis und Thomas Wierer - stellvertretend für all die anderen - endlich auf Augenhöhe begegnen:
    "Weil in dieser Mitarbeiterkommission werden zum Beispiel die Musterarbeitsverträge für uns gemacht. Es werden die Gehaltsrahmen für uns gemacht. Unsere Fortbildungen, der Arbeitsschutz – das sind alles Bereiche, die werden eben von dieser Mitarbeiterkommission oder von der Verwaltung bestimmt."
    Stressiges Referentenleben
    Hohes Arbeitspensum, Erreichbarkeit rund um die Uhr: Ein Referentenleben ist stressig, erzählt Thomas Wierer. Stress, der sich irgendwann auch auf die Gesundheit auswirkt. Doch anders als für die Mitarbeiter in der Verwaltung und den Fraktionen, ist für die Referenten keine Gesundheitsförderung vorgesehen.
    Kann das sein? Im Bundestag wird debattiert über Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzungen und soziale Sicherheiten. Und dennoch gibt es dort eine große Gruppe an Leuten, nach deren Rechten man besser nicht fragen sollte? Oder doch?
    Besuch bei einer Chefin: bei Claudia Roth. Die ehemalige Grünen-Vorsitzende ist Bundestagsvizepräsidentin des Bundestages. Und: Roth ist Vorsitzende der Mitarbeiterkommission:
    "Wenn ich an meine Mitarbeiter denke, da wird so viel verlangt, dass ist ein so ungewöhnlich harter Job und so eine harte Anforderung an die Leute, die in Abgeordnetenbüros arbeiten, dass es doch unser Interesse sein muss, dass es da 'ne große Zufriedenheit und Sicherheit gibt."
    Anna Alexandrakis und Thomas Wierer hoffen darauf, dass mit Claudia Roth endlich auch eine fraktionsübergreifende Beschäftigtenvertretung kommt. Eine Bürde für Roth?
    "Ich muss versuchen, dass alle an Bord gehen. Und das alle mitmachen. Das wird nur im Konsens gehen."
    Um die Mitbestimmung für Referenten von Abgeordneten überhaupt verankern zu können, müsste das Abgeordneten-Gesetz geändert werden. Eine politische Entscheidung, die von den Fraktionen getroffen werden muss. Die Union müsse sich dafür bewegen, vor allem aber müsse die SPD mehr Überzeugungsarbeit leisten - das sagen alle, mit denen man über das Thema spricht. Auch Claudia Roth weiß um die Herausforderung. Und weist darauf hin: „dass dieses kleine Unternehmen Abgeordneter mit seinen Mitarbeitern ein Tendenzbetrieb ist, dass ein Abgeordneter, wenn er gewählt ist, im Moment vier Jahre hat. Aber die Sicherheit nicht weitergeht, dass die Weiterbeschäftigung garantiert werden kann. Also, das sind objektive Probleme."
    Unter der Großen Koalition sei das doch die Gelegenheit, das Thema endlich anzugehen und das Abgeordnetengesetz zu ändern, sagt Wierer. In einem Jahr - befürchtet er – sieht das schon wieder ganz anders aus: Dann schalten die Abgeordneten nämlich schon langsam wieder in den Wahlkampf-Modus.
    Doch womöglich müssen Wierer und Alexandrakis ihre Hoffnung schneller begraben als ihnen lieb ist: Aus der SPD-Fraktion heißt zur Frage der Mitbestimmung: Es gibt keinen neuen Stand. Und die Unionsfraktion sieht das Thema in dieser Legislaturperiode gar nicht auf dem Plan.