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Abi im Alleingang

Sie engagieren ihre Lehrer selbst und feuern sie, wenn es nicht läuft. In Freiburg pauken drei Schüler seit zwei Jahren selbstständig für das Abitur, das derzeit in Baden-Württemberg geschrieben wird.

Von Holger Lühmann | 16.03.2011
    Büffeln zwischen Kühlschrank, Kaffeeküche und Sofaecke: Seit zwei Jahren dient den drei Abiturienten der Übungsraum in einem Freiburger Jugendzentrum als Klassenzimmer. Heute steht Geometrie auf dem Stundenplan. Alle drei Schüler waren zuvor auf alternativen Schulen. Alia Ciobanu und Florian Urban etwa besuchten die Waldorfschule. Dort waren sie mit den festen Strukturen jedoch nicht zufrieden. Florian Urban:

    "Es war das Schulsystem: Dass man bestimmte Sachen machen musste, weil's am Lehrplan lag, ich das aber nicht mehr länger so machen wollte, sondern einfach selber entscheiden wollte, welchen Weg ich gehe."

    Für Jaska Gering war der autonome Weg zum Abitur bereits vorgezeichnet. Sie war auf der Kapriole-Schule, einer Lehranstalt mit antiautoritärem Ansatz, die mit der Mittleren Reife endet. Den Wechsel auf ein staatliches Gymnasium konnte sie sich darum nicht vorstellen:

    "Ich habe auf der Kapriole-Schule Selbstmotivation und Verantwortung gelernt und wie ich selbstständig arbeiten kann. Das hat mir eigentlich ziemlich gut gelegen. Deswegen ist es die konsequente Weiterführung von der Kapriole danach hierher zu kommen."

    Mit ihrem Alleingang folgen die drei Abiturienten einem Modell, das zehn Freiburger Schüler vor vier Jahren entwickelt haben. Damals wurde der Verein "Methodos" gegründet, mit dem der Traum vom selbstbestimmten Lernen verwirklicht werden sollte. Dazu gehört auch die eigenständige Auswahl des Lehrpersonals. Ein weiterer Vorteil gegenüber normalen Schulen, erklärt Alia Ciobanu:

    "Wir haben Lehrer, denen das Unterrichten einfach Spaß macht und die vor allem Interesse daran haben, irgendetwas Neues auszuprobieren. Das ist hier einfach eine ganz andere Konstellation: Wir duzen uns auch gegenseitig und es ist nicht so, dass wir gesagt bekommen, was wir zu tun haben. Sie bieten eher eine Hilfestellung an als uns Frontalunterricht zu geben."

    Ihre Lehrer sind in der Regel Studienräte im Ruhestand, die sich für die Initiative der jungen Leute begeistern. So wie Ulrich Winterhager: 40 Jahre lang war er für Englisch und Geschichte im Schuldienst. Den deutlichsten Unterschied zu seinen ehemaligen Schülern sieht der Pensionär in der persönlichen Reife seiner aktuellen Schützlinge:

    "Verglichen mit den "Methodos"-Leuten sind meine früheren Schüler in der Oberstufe durch die Bank ganz unselbstständig gewesen. Die sind hier sehr selbstständig und vor allem sind sie motiviert. Sie wollen was vom Lehrer, während die normalen Gymnasiasten eher in Ruhe gelassen werden wollen."

    Zur Unterrichtsvorbereitung gehört für die drei Abiturienten nicht nur das Anmieten der Räume, sondern auch das Bestellen von Lehrbüchern und Arbeitsmaterial. Das nötige Geld dafür erhalten sie über Spenden. Zudem müssen sie sich bei einem staatlichen Gymnasium für das externe Abitur anmelden. Viel Arbeit für die jungen Leute, die bei ihrer Planung glücklicherweise von den Erfahrungen ihrer Vorgänger profitieren können. Etwa von Bernhard Schäfermeier, der sein Abitur im vorigen Jahr abgelegt hat. Als Legastheniker empfand er bei "Methodos" erstmals Lust am Lernen.

    "Ich hab Deutsch gehasst, weil man immer nur auf meine Rechtschreibung geguckt hat und dann habe ich das Interpretieren kennengelernt. Ich durfte frei schreiben und das hat Spaß gemacht. Und da hatte ich meinen Zugang gefunden. Wenn man über die Themen geht, die man mag, kommt man immer automatisch zu Themen, die man nicht mag. Und irgendwann löst sich der Knoten. Deswegen kann Lernen immer Spaß machen und das fand ich toll."

    Das Abitur hat Bernhard dann mit einem Schnitt von 2,6 abgeschlossen. Doch er weiß nicht, ob er damit zufrieden sein soll.

    "Direkt nach dem Abi ja, jetzt weniger. Ich würde eben gerne Psychologie studieren und mit einem 2,6er Abi wird das verdammt schwer. Deswegen kam dann halt auch so ein Tief, wo ich mich gefragt habe, 'war das wirklich richtig?'"

    Das selbstständige Lernen ist also immer mit einem Risiko verbunden. Auch der aktuelle "Methodos"-Jahrgang macht sich darum Gedanken um die berufliche Zukunft. Alle drei Schüler wollen studieren und sich vielleicht selbstständig machen. Für ihren Lehrer Ulrich Winterhager sind sie prädestiniert für diese Perspektive.

    "Natürlich wären die in selbstständigen beruflichen Tätigkeiten in einem Vorteil gegenüber anderen. Aber sie können alles machen. Sie besitzen Eigenverantwortung und das ist eine Qualität, die in jeder beruflichen Tätigkeit gefordert wird."