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Abi-Krieg statt Abi-Streich

Eigentlich soll es nur ein großer Spaß nach dem Abitur sein: Die letzte Woche vor den Osterferien wird zur Mottowoche. Schüler verkleiden sich, treiben Scherze, hören Musik, veralbern ihre Lehrer. In Köln artet das Ritual seit einigen Jahren aus. Nun wurden bei den Abi-Streichen sogar Polizisten verletzt.

Von Andrea Lueg | 22.03.2013
    "Leider ist es vermehrt in den letzten Nächten zu Straftaten gekommen. Die Schüler haben teilweise Farbeimer gegen die Wände geworfen, die haben die Wände mit Graffiti beschmiert und da haben sie einfach ihre Grenzen überzogen, deutlich überzogen."

    Polizeisprecher Andreas Frische ist in den letzten Tagen im Dauereinsatz wegen der Abiturscherze. Spätestens seit in der vergangenen Nacht drei seiner Kollegen leicht verletzt wurden, ist der Spaß für ihn allerdings vorbei. Abiturienten hatten in der Nacht vor einem Gymnasium die übliche Wasserschlacht begonnen, dann aber auch Feuerwerkskörper gezündet und gezielt auf Personen, unter anderem die Polizisten geworfen. Schon seit dem letzten Wochenende gab es jede Nacht Polizeieinsätze, Buttersäure wurde ausgeschüttet, ein Schultor eingedrückt, Anwohner beschwerten sich über Ruhestörung, inzwischen liegt eine Reihe von Anzeigen vor.

    "Wir sprechen hier wirklich nicht von Einzelfällen, jetzt haben wir eine Anhäufung und das zieht sich durch alle Stadtgebiete in Köln, da kann man nicht sagen, das konzentriert sich auf eine Schule, sondern mir liegen Anzeigen vor von Gymnasien quer durch die Stadt Köln."

    Schulleiter Harald Junge vom Humboldt-Gymnasium beobachtet die Entwicklung schon länger mit Sorge:

    "Es hat vor einigen Jahren begonnen, dass aus ersten Ansätzen, sich gegenseitig zu bekämpfen, ich nehme jetzt diese Begrifflichkeit bewusst, so ein Wettkampf entstand wie in den Vereinigten Staaten, Schulen gegeneinander und das hat auf der Wasserpistolenbasis begonnen und dann hat man überlegt, wie man es eskalieren kann, hauptsächlich Gruppen von jungen Männern natürlich."

    Die meisten Abiturienten, so Emma Gollhardt vom Humboldt-Gymnasium, wollen das aber keineswegs:

    "Von uns aus wird nur mit Wasser gekämpft, es wird keine Gewalt benutzt und sowas wie gegen eine Schule sprayen, da sind wir absolut dagegen, davon wollen wir uns auch ganz klar distanzieren, es ist einfach schade, dass es so ausarten muss."
    Vor zwei Jahren etwa fingen Schüler an von Schulkrieg zu sprechen, und obwohl Schulleiter Junge alles tat, um dagegen zu argumentieren, ist es dabei geblieben. Ein paar Abiturienten vom Humboldt-Gymnasium drehten ein nach Junges Ansicht gewaltverherrlichendes Video und stellten es über Youtube ins Netz. Sich gegenseitig aufschaukelnde Kommentare von anderen Schulen blieben nicht aus und obwohl die Verantwortlichen für ein paar Tage vom Unterricht ausgeschlossen wurden, eskalierte der Abiwettstreit von da an immer weiter.

    Den Begriff "Krieg" – für den Schulleiter ein absolutes No-Go – finden viele Abiturienten wie diese junge Frau (Anmerkung der Redaktion: den Namen haben wir auf Wunsch der Interviewpartnerin anonymisiert.) an sich gar nicht problematisch:

    "Das ist eigentlich scherzhaft gemeint und soll halt nicht eskalieren, das wird halt manchmal schwierig."

    Für sie steht im Vordergrund, dass kurz vor dem Ende der Schulzeit, vor dem Aufbruch in neue unsichere Zeiten das Gemeinschaftsgefühl nochmal gestärkt wird.

    "Wir sind ja auch diese zwei Jahrgänge und dadurch, dass man seine Schule verteidigt, kommt man irgendwie wieder so zusammen und kämpft zusammen für das Gleiche und man lernt sich nochmal auf einer ganz anderen Basis kennen."

    Für Schulleiter Junge bedeutet der doppelte Abiturjahrgang auch im Zusammenhang mit den Scherzen den reinen Stress:

    "Also wir haben 270 Leute, die jederzeit irgendwie Mist machen können. Hier sind noch Zeugniskonferenzen und wie soll eine Schule ihre Strukturen halten, wenn irgendwo immer ein paar Hundert Bekloppte rumlaufen."

    Heute endet in Köln die Mottowoche, die Woche, in der sich die Abiturienten, solange sie sich an die Regeln halten, austoben dürfen. Doch die Schulen müssen überlegen, wie sie die Eskalation bei zukünftigen Jahrgängen stoppen können.

    "Wir haben bei den Schulleitern schon die Haltung, dass wir immer stärker uns vernetzen und dagegen arbeiten, die Bezirksregierung redet mit uns, die Polizei hat sich verstärkt eingeschaltet – man muss das auf ein Maß bringen, dass den Jugendlichen noch Originalität erlaubt, sodass nicht alles vorgesetzt ist und andererseits keine Gefahren für die Allgemeinheit entstehen, das ist meine Position."