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Abkehr vom Lederhosenstil

"Architekturwunder Vorarlberg". Wer so spricht, muss stolz sein. Tatsächlich gilt das westlichste Bundesland Österreichs als ein zwar regionales, aber von der internationalen Fachwelt anerkanntes Zentrum der zeitgenössischen Architektur in Europa. Und das mit Alltagsarchitektur: Wohnhäuser, Hotels oder Gewerbeparks. Eine Ausstellung, die in Frankreich konzipiert wurde, um dort den Gedanken des 'nachhaltigen Bauens’ einzuführen, ist nun in Wien zu sehen.

Von Beatrix Novy | 29.06.2005
    Selten war eine Provokation so anerkannt wie das "Wunder von Vorarlberg". Die vielbewunderte moderne Bau-Bewegung, die das west-österreichische Bundesland zu einem erstrangigen Ziel des Architekturtourismus machte, hat inzwischen eine Tradition von mehreren Jahrzehnten und mindestens zwei Generationen. Zwar gibt es in allen Alpenregionen Widerständler gegen die Jodel-Architektur, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Fluren mit rustikalen Berghof-Karikaturen überzieht. Überall kann man vereinzelte Bauten des kritischen Regionalismus finden, die althergebrachte Bautraditionen in moderne Sprache übersetzen oder aber sich radikal von ihr abwenden. Doch Vorarlberg gibt’s nur einmal. Nur hier entstand jenes Netzwerk von Interessen, das Bewohner, Planer, Industrielle, Kommunen zu einer Koalition für neues Bauen zusammenband – in einem Ländle, das wie kaum ein anderes von konservativem Denken geprägt war. Gerade hier trat schon Ende der 50er Jahre, früher als anderswo, die Generation auf, die gegen den Strich leben wollte, erzählt der Architekturkritiker Otto Kapfinger

    " ... Und die haben sich zusammengetan und gesagt: Wir bauen uns unsere neue Welt selber, wir holen uns junge Architekten, .die up to date waren, orientiert nach Deutschland, aber auch Vorbilder in der Schweiz hatten, und aus dieser Bewegung von unten ist dann so ein Netzwerk entstanden, das aufgrund seiner Rationalität, seiner Ökonomie das ursprüngliche Denken in der Bevölkerung angesprochen hat. Dadurch ist das dann ein Erfolgsmodell geworden, so dass heute das neue, gute moderne energiesparende Bauen eine Alltagskultur geworden ist. "

    Ermunternd kam einiges hinzu: dass in Vorarlberg keine Universität die Richtung vorgab; dass eine sehr offene Baugesetzgebung vieles möglich machte; und dass die Region nicht nur von altersher höchst widerständige, auf kargen Bergböden gewachsene Charaktere, sondern auch die allerersten österreichischen Grünen hervorbrachte. Die Ausstellung folgt der Entwicklung auf großen Bildtafeln, mit Schubladen drin und kleinen Fenstern, wie im Blockhaus, die geöffnet werden können, um einen Blick auf Details zu werfen. Die Vielfalt der Vorarlberger Moderne lässt sich gut darstellen auf diese Weise: Die Hangsiedlung "Halde" in Bludenz etwa, mit der alles anfing, ein Gemeinschaftsprojekt, einfach, ressourcenschonend und zu 30-przentigen – heute fast vergessenes Wort – Eigenleistung errichtet, eine langgezogene Holzstruktur mit massiven Trennwänden und Glasfront. Damals wendete sich das Blatt auch im Einzelhausbau: Ländliche Jungfamilien, die mit wenig Geld auf immer kleineren Parzellen ihr Nest bauten, erkannten die ökonomischen Vorteile der ästhetischen Reduktion, die die rustikalen Ballast abstreifte; ausgerechnet den Häuslebauern schmeckte die Avantgarde. In der Folge zogen Handwerk und Industrie, namentlich die holzverarbeitenden Betriebe, nach, baute sich neue lichte Werkstätten mit hervorragenden Energiewerten in sorgfältig gestalteten Gewerbeparks.

    Kommunen begannen, ihre alten Zentren qualitätsvoll zu ergänzen und so zu beleben, mit Spielplätzen, Bibliotheken, Turnhallen. Wohlhabende leisten sich den Villenblick über Bregenz aus einem Haus mit kühn überhängendem Kubus und weiss-gewölbtem Balkon. Es gibt keinen bestimmten Vorarlberger Stil, hier wird mit Holz, Metall, Glas und Beton gebaut; allenfalls kann, sagt Otto Kapfinger, die Vernunft, die bergbäuerliche Ratio als das Gemeinsame gelten. Diese einst überlebenswichtige Logik und Präzision alpinen Bauens ist heute zum Rustikalstil verkommen - auf den aber keineswegs alle verzichten wollen. Da ist z.B. die Initiative in Montafon, wo man Befreiung vom angeblichen modernen Diktat propagiert, weil es dem Fremdenverkehr schade.
    " Das Problem dort: dieses Tal ist auf Ski-Massentourismus ausgerichtet, nur da. Auch in Tirol ist das Bauen auf dem alpinen Klischee so verwurzelt mit dem Erfolgsdenken der vom Bauer zu schwerreichen Hoteliers gewordenen Leuten, das ist ganz schwierig. Während das Rheintal: da schaut man über die Grenzen, die Leute denken urban und leben ländlich. "

    Die "konstruktive Provokation" passt zur Erfolgsstory der Vorarlberger Industrie, die den Zusammenbruch des Textilschwerpunkts gut bewältigt hat; die Provokation ist Mainstream, und 150 Architekturbüros auf 350000 Einwohner können davon leben. So billig wie einst ist das Bauen mit Holz längst nicht mehr, und nicht nur Otto Kapfinger wünscht sich ein bisschen frisches Blut und Auseinandersetzung. Aber Nicht-Vorarlberger kommen in Vorarlberg nicht zum Bauen - außer dem Schweizer Peter Zumthor mit seinem Kunsthaus zu Bregenz. Aber der ist ja ein sehr naher Nachbar.

    Service:
    Neues Bauen in Vorarlberg" ist im Architekturzentrum Wien noch bis zum 29.08.2005 zu sehen.