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Abkürzung nach Asien

Der Traum von einer Kanalverbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer ist uralt. Bereits Gottfried Wilhelm Leibniz setzte sich für eine Wasserstraße ein, die den Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung abkürzen würde. Doch erst dem französischen Diplomaten Graf Ferdinand de Lesseps gelang es, die alte Vision zu verwirklichen. Heute vor 150 Jahren wurde mit dem Bau des Suezkanals begonnen.

Von Irene Meichsner |
    In einem Zelt mitten in der Wüste trafen sich im November 1854 Graf Ferdinand de Lesseps, ein ehemaliger französischer Diplomat, und Said Pascha, der neue Vizekönig von Ägypten. Lesseps wollte Said Pascha für seinen Plan gewinnen, das Rote Meer und das Mittelmeer über einen Kanal miteinander zu verbinden. Die beiden kannten sich aus Lesseps' Zeit als Vize-Konsul in Alexandria. Said Pascha war damals noch ein Kind.

    "Der Vizekönig empfing mich ungemein herzlich","

    schrieb Lesseps in sein Tagebuch.

    ""Er sprach mir von seiner Kindheit, von der Unterstützung, welche ich ihm bisweilen gegen die Strenge seines Vaters gewährt, endlich von seinem Bestreben, Ägypten wieder zu einem blühenden Lande zu machen."

    Schiffe aus Europa mussten damals noch ganz Afrika umrunden, um nach Indien und Fernost zu gelangen. Der neue Kanal, der von Suez an der Nordspitze des Roten Meeres bis an die Mittelmeerküste führen sollte, würde die Fahrt ganz erheblich verkürzen. Viele hatten davon schon geträumt. Lesseps malte Said Pascha aus, wie viel Geld Ägypten mit den Kanalgebühren verdienen könnte. Und er schmeichelte ihm, ging ihm regelrecht um den Bart.

    "Welcher Ruhm, welche unerschöpfliche Quelle des Reichtums für Ägypten! Der Name des Fürsten, welcher den großen Kanal eröffnet hat, wird gesegnet sein von Jahrhundert zu Jahrhundert bis zu den entferntesten Geschlechtern. Die Wallfahrten nach Mekka werden dadurch für immer den Muselmännern gesichert und erleichtert. Der Dampfschifffahrt und weiten Reisen wird ein ungeheurer Antrieb gegeben."

    Said Pascha zögerte. Dann stimmte er zu.

    Die Herausforderung war gigantisch. Alle Werkzeuge und alle Baumaterialien - Holz, Kohle und Eisen - mussten extra aus Europa herangeschafft werden. Die Engländer versuchten, am Ende vergeblich, das Projekt zu verhindern - aus Sorge um die eigene Handelsmacht und aus der Furcht heraus, dass der Suezkanal das Machtgefüge im gesamten östlichen Mittelmeerraum erschüttern könnte. Said Pascha stärkte Lesseps den Rücken. Der Franzose reiste quer durch Europa, um Geld für das Mammutprojekt einzutreiben.

    "Ich will ein großes Werk vollbringen, ohne Hintergedanken, ohne persönliches Geldinteresse. Ich werde unerschütterlich den eingeschlagenen Weg verfolgen."

    Schließlich konnte eine französische Aktiengesellschaft gegründet werden. 44 Prozent der Anteile übernahm Ende 1858 Ägypten. Der Vizekönig rekrutierte außerdem rund eine Million Zwangsarbeiter und stellte das Bauland kostenlos zur Verfügung. Am 25. April 1859 tat Lesseps in Port Said am Mittelmeer den ersten Spatenstich.

    Nach Plänen von Alois Negrelli, einem Ingenieur aus Südtirol, wurden in den folgenden zehn Jahren rund 70 Millionen Tonnen Sand und Steine bewegt. Die Kosten liefen völlig aus dem Ruder. Ägypten stürzte dadurch in eine tiefe Schuldenkrise; im Nachhinein sahen Historiker das Land von der Kanalgesellschaft regelrecht betrogen.

    Tausende starben während der Arbeiten am Suezkanal, vor allem an der Cholera. Trinkwasser wurde anfangs von über 1500 Lastkamelen herbeigeschafft. Die Wasserversorgung besserte sich erst, als ein Süßwasserkanal gegraben war.

    "Um zehn Uhr Abends begann der Nil beim herrlichsten Mondschein in den Graben einzufließen, vor dem wir versammelt waren. Es war ein wirklich feierlicher Augenblick, und ich habe zuerst das wohlthätige Nass an meine Lippen geführt."

    Am 15. August 1869 war das Werk vollbracht. Lesseps rief zum letzten Spatenstich:

    "Vor 35 Jahrhunderten haben sich die Wasser des Roten Meeres auf Mosis Befehl zurückgezogen. Heute kehren sie auf Befehl des Vizekönigs von Ägypten in ihr Bett zurück."

    Drei Monate später wurde der rund 190 Kilometer lange Suezkanal von Frankreichs Kaiserin Eugénie in einer pompösen Feier dem Verkehr übergeben. 1875 wurden die Briten die Hauptanteilseigner, sie hatten die ägyptischen Aktien für wenig Geld erworben. Im 20. Jahrhundert kam es wiederholt zu kriegerischen Konflikten um die wertvolle Wasserstraße. Erst seit 1975 ist der Suezkanal, den jährlich rund 15.000 Schiffe passieren, durchgehend in ägyptischer Hand.