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Abmahnung wegen Mangels an "Olympischem Geist"

Der ehemalige Chef der Welt-Antidoping-Agentur WADA, Dick Pound, ist eine Ausnahme-Erscheinung unter den Sportfunktionären: Pound findet, dass dem Sport kaum Besseres passieren kann als positive Tests. Doch damit macht er sich nicht bei allen Athleten beliebt.

Von Grit Hartmann | 01.08.2010
    Eine Geschichte hat Dick Pound mit Vorliebe erzählt. Sie spielt 1988 in Seoul, bei den Olympischen Spielen, für die er, damals IOC-Vizepräsident und Chef der Marketing-Kommission, Rekord-Fernsehverträge abgeschlossen hatte. Ein Mittagessen mit Sponsoren unterbrach IOC-Boss Samaranch mit Trauermine. Ob er schon gehört habe? "Ist jemand gestorben?", fragte Pound zurück. "Schlimmer", antwortete der Spanier: Ben Johnson sei positiv getestet worden. Pound eilte zu seinem kanadischen Landsmann. Der sah ihm in die Augen und erklärte, er habe niemals gedopt. Pound verteidigte Johnson - bis alle Fakten auf dem Tisch lagen.

    Danach wurde aus Dick Pound, der einmal einem Doper glaubte, eine Ausnahmeerscheinung, ein Funktionär, der fand, dass dem Sport kaum Besseres passieren kann als positive Tests. Inzwischen ist mit ihm, dem Gründungspräsidenten der Welt-Antidoping-Agentur WADA, eine Geschichte verbunden, die viel verrät über den Zustand des olympischen Sports zwei Jahrzehnte nach "Big Ben". Sie handelt davon, wie 2007 Tour-Rekordsieger Lance Armstrong und 2008 Teamkollege Floyd Landis ihn bei der Ethik-Kommission des IOC anklagten:

    "Das war ein wirklich einfältiges Ding. Sie haben damit nur Aufmerksamkeit auf sich selbst gezogen und mehr Fragen danach provoziert, ob sie schuldig waren. Was die Ethik-Kommission angeht: Meine Position war, dass sie nicht zuständig ist für das, was ich als Präsident einer internationalen Organisation wie der WADA tue. Deshalb habe ich das ignoriert. Und es war keine Strafe. Ich sollte 'erinnert' werden."

    Als Landis seinen Testosteron-Befund bei der Tour 2006 vehement bestritt, mutmaßte Pound, der Amerikaner sei wohl von Nazi-Froschmännern überfallen und zwangsgespritzt worden. Und Armstrong gilt ihm als Doper, seit 2005 dessen vertuschte Proben von der 99er Tour publik wurden:

    "Für mich ist es keine Frage, dass die Armstrong zugeordneten Proben korrekt analysiert wurden. Es war Epo in diesen Proben. Und es war Epo in den Proben von neun oder zehn Anderen. Aber wir kennen die Namen nicht."

    Als Reaktion auf die Eingabe von Armstrong und Landis erinnerten die IOC-Ethikwächter Pound an den "olympischen Geist", der Verständnis und Fairness erfordere. Daher möge er sich "besonnen" äußern. Rad-Präsident Pat McQuaid befand, Pound gehe es nur um Publicity und fügte hinzu, je eher der WADA-Chef abgelöst werde, desto besser sei es für den Rad-Weltverband UCI:

    "Zum Teil hatte er recht. Ich war sehr kritisch gegenüber den UCI-Bemühungen, das hat denen nicht gefallen. Mir ging es um Publicity, aber nicht allein um Publicity. Sie sollte die Aufmerksamkeit auf Probleme im Radsport und in anderen Sportarten lenken und vor allem zum Handeln zwingen. Und, gut, Ergebnis der ganzen Publicity ist schließlich: Sie beginnen, die Probleme anzusprechen. Sie merken, dass ihre Teams Sponsoren verlieren, dass das Publikum Vertrauen in den Radsport verliert. Deshalb ist es wichtig für sie, etwas zu tun. Aber das wird viel Zeit brauchen, weil das Problem in der Radsportkultur verankert ist."

    Nach der Landis-Beichte lässt Pound keinen Zweifel daran, wo er dieses Problem zuerst verortet - bei der UCI. Landis zufolge hat sich Armstrong beim Verband von einem positiven Test im Jahr 2001 freigekauft. Schon 2008 hatte Ex-Tour-Sieger Greg LeMond in einem Rechtsstreit von ähnlichen Hinweisen berichtet. Armstrong habe 500.000 Dollar gezahlt - als Gegenleistung für eine rückdatierte medizinische Ausnahmegenehmigung, nachdem er 1999 Cortison im Urin hatte. Offiziell räumte UCI-Chef McQuaid jetzt Zahlungen über 25.000 und 100.000 Dollar ein. Die "Spenden" habe Armstrong 2002 versprochen und 2005 gezahlt. Nach Deutschlandfunk-Recherchen birgt diese Aussage mehr Brisanz als bisher bekannt. Im Oktober 2007 nämlich erklärte McQuaid auf einer Konferenz, die 100.000 seien "vor 15 Monaten" auf dem Konto eingegangen. Also im Juli 2006 - und damit einen Monat, nachdem die UCI Armstrong vom Epo-Doping des Jahres 1999 freisprach. Pound verlangt nun Aufklärung von der UCI:

    ""Es wäre im Interesse aller, damit transparent umzugehen und offen zu legen, was das für Zahlungen waren, warum sie erfolgt sind, wie hoch sie waren und wann sie eingegangen sind. Da geistern so viele verschiedene Informationen herum, dass keiner Bescheid weiß. Alles, was man weiß, ist, dass Armstrong signifikante Zahlungen an die UCI geleistet hat. Die wissen nicht, warum, sie sind nicht ganz sicher, wann, und sie wissen nicht, was die Umstände waren. Das ist für keine Sportart gut."

    In den Betrugsermittlungen gegen Armstrong und Co. folgen derzeit die US-Behörden der Spur des Geldes. Wäre der Vorgang auch ein Fall für die Chefethiker des Internationalen Olympischen Komitees?

    "Ich nehme an, jemand könnte die Frage stellen, ob es korrekt ist, dass ein Internationaler Verband solche Zahlungen von einem seiner wichtigsten Athleten akzeptiert. Aber was die Ethik-Kommission damit anfangen könnte - da bin ich nicht sicher."

    Widerstand käme wohl zuerst von Hein Verbruggen, IOC-Mitglied wie Pound und bis 2005 Welt-Radsport-Boss. Der Holländer mailte Landis kürzlich, er verdiene Aufmerksamkeit nur von Psychiatern. Der IOC-Kollege sei repräsentativ für den Weltsport, kommentiert das Pound:

    "Das ist typisch: Wenn ein Athlet in einem Verband als Whistleblower auftritt, dann wird er isoliert und kritisiert. Das ist leider Standard. - Dabei ist es unerheblich, warum er auspackt. Wichtig ist, ob er die Wahrheit sagt. Falls ja, sollten die Verantwortlichen danach handeln."

    Wahrscheinlicher ist, dass Pound in diesem Skandal der Einzige bleibt, dem das IOC und seine Ethikhüter Verstöße gegen den Geist der olympischen Familie attestieren. Von der aktuellen WADA-Spitze ist kaum Kritik an den Radsport-Usancen zu hören. Pound, der Jurist, bereut nicht, dass ihm die juristische Diskretion abhanden kam, als er noch die Betrugsbekämpfung im Spitzensport lenkte:

    "Wenn es um systematischen und organisierten Betrug geht, können nicht alle Händchen haltend im Kreis sitzen wie bei einer dieser Heiligsprechungs-Partys und sagen: ‘Ommm' alles Doping möge verschwinden!' Man muss sagen, seht hin: Das passiert in diesem Sport, diese Leute sind verantwortlich, sie unternehmen nichts, um das Problem zu reduzieren. Ich habe dieses Verhalten mit Absicht so aggressiv angegriffen. Ich halte das für den einzigen Weg."