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"Aboutalebs Ernennung zeigt, dass wir Niederländer die Angst überwunden haben"

Dass in Köln oder München ein muslimischer Bürgermeister regiert, ist derzeit ziemlich unwahrscheinlich – nicht so aber in den Niederlanden: Dort tritt nächsten Montag Ahmed Aboutaleb – ein marokkanischer Immigrant – sein Amt als Oberbürgermeister von Rotterdam an, eine Premiere für die Stadt und für das ganze Land. Aboutaleb gilt als Vorzeigeimmigrant. Doch nicht nur Rechtspopulisten sind entsetzt, sondern auch viele Muslime: In ihren Augen ist Aboutaleb nämlich kein Musterimmigrant, sondern ein Verräter.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Die Oudeland-Laan ist eine Strasse in Rotterdam-Zuid, einem alten Arbeiterviertel. Heute leben hier überwiegend Immigranten, viele sind arm und arbeitslos. Vor dem Supermarkt stehen Frauen in langen Gewändern mit prallen Einkaufstaschen. Ein paar muslimische Kinder spielen Fußball.
    Wie immer vormittags um diese Zeit kommt auch der alte Piet mit seinem Hund Max vorbei. Piet van der Velde ist Frührentner und hat sein ganzes Leben in Rotterdam-Zuid verbracht:
    Die Oudelandlaan geriet bei den Wahlen 2002 in die Schlagzeilen, denn die Alteingesessenen hier hatten fast alle die Partei des ermordeten rechtspopulistischen Politikers Pim Fortuyn gewählt. Fortuyn hatte als erster Missstände in der Integrationspolitik angeprangert. In Rotterdam begann sein Aufstieg. Ausgerechnet diese Stadt bekommt nun als erste einen muslimischen Oberbürgermeister.
    "Mit dem Aussprechen seines Namens tun sich viele Rotterdamer schwer", seufzt der alte Piet. Ahmed Aboutaleb! Sehr holländisch klinge das nun wahrlich nicht."
    Ein junger Mann ist stehengeblieben und kann ihm nur beipflichten: Es gebe schon Witze, dass Rotterdam bald nicht mehr Rotterdam heiße, sondern RotterdAHMED.
    Aber, so betonen beide: Dass ihr neuer Bürgermeister ein Moslem sei, mache ihnen nichts aus – ganz im Gegenteil:
    "In Rotterdam gibt es nun mal viele Moslems", stellt Piet van der Velde klar. "Da ist es vielleicht ganz gut, wenn nun selbst ein Moslem ans Ruder kommt! Außerdem kann es Aboutaleb am ehesten gelingen, diese kriminellen marokkanischen Jugendlichen in den Griff zu bekommen, die schon seit Jahren unsere Großstädte terrorisieren!"
    Denn Aboutaleb greift hart durch. Der 47 Jahre alte Sohn eines Imams aus dem Rifgebirge in Marokko gilt als Vorzeigeimmigrant. Mit 14 kam er in die Niederlande, studierte Luftfahrttechnik, wurde Dezernent im Amsterdamer Rathaus und dann Staatssekretär in Den Haag. Wer in den Niederlanden leben wolle, das machte der moslemische Sozialdemokrat immer wieder unmissverständlich klar, habe sich anzupassen:

    "Wer hier bleiben will, muss die Normen und Werte dieses Landes akzeptieren. Wer das nicht will, kann besser wieder seine Koffer packen."

    Dadurch wird er in den Augen anderer Marokkaner zum Verräter. Auch in Rotterdam hat er sich Feinde gemacht:

    "Aboutaleb denkt schlecht über uns, obwohl er selbst ein Marokkaner ist", sagt eine junge moslemische Frau. "Er müsste sich für sein eigenes Volk einsetzen anstatt es zu diskriminieren!"

    Zu Aboutalebs Gegnern gehören auch die politischen Erben von Pim Fortuyn von der rechtspopulistischen Partei "Lebenswertes Rotterdam". Sie stellen die zweitgrößte Fraktion im Rathaus. Dass hier nun ein Moslem das Zepter schwingt, ist für sie schwer erträglich.

    Doch die Rechtspopulisten mussten klein beigeben. Denn die meisten Bürger haben positiv auf die Ernennung von Aboutaleb reagiert. Viele sehen darin sogar ein Zeichen, dass die Niederländer in der Integrationspolitik auf dem Weg zu einem neuen Gleichgewicht sind. Dass sich die Kluft langsam wieder schließt, die sich seit Pim Fortuyn zwischen Immigranten und Alteingesessenen aufgetan hat und die nach der Ermordung des islamkritischen Regisseurs Theo van Gogh 2004 noch größer geworden ist. Davon ist auch der ehemalige niederländische Premierminister Ruud Lubbers überzeugt:

    "Aboutalebs Ernennung zeigt, dass wir Niederländer die Angst überwunden haben. Sie markiert einen Neuanfang."

    Aboutaleb selbst ist vorsichtiger: "Wir befinden uns noch in einer Übergangsphase", sagt er:
    "Es ist wie beim Kesselputzen: Wer Glanz will, muss reiben – und wir sind noch am Reiben. Aber der Glanz, da bin ich mir sicher, der wird sich schon einstellen!"