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Abrechnung mit der "Schröder-SPD"

Noch lange nicht über den Berg sehen die politischen Beobachter die Sozialdemokratie nach dem Absturz bei der Bundestagswahl. Und attestieren den Genossen nach ihrem Parteitag in Dresden doch, auf dem Weg der Besserung zu sein. Während sich die SPD also in die Zukunft vortastet, blicken fast alle Politischen Zeitschriften noch einmal in den Rückspiegel.

Von Norbert Seitz |
    Das Forschungsjournal "Neue Soziale Bewegungen" ließ jüngst auf einem intellektuell hochkarätig besetzten Kongress die Bundestagswahlen vom 27. September analysieren. Joachim Raschke und Ralf Tils nannten dabei die entscheidenden drei Strategien, die zum Sieg Angela Merkels geführt hätten:

    Der Leitgedanke der Lagerstrategie hieß Machtgewinn durch Mitte-Verschiebung. Merkel musste in die Mitte rücken und darauf setzen, dass die forcierten Markt- und Steuerinteressen von der FDP eingesammelt werden. Dies war Ausdruck einer fast perfekten Lagerstrategie.

    Nach Raschke und Tils ging es bei der Gegnerstrategie um die Demobilisierung der SPD. Das bedeutete, der Partei jedes Thema zur Mobilisierung von enttäuschten Anhängern abzuschneiden. Bliebe noch Merkels Selbstinszenierung im Rahmen ihrer Personalisierungsstrategie:

    Merkel gerierte sich als Präsidentin für alle Deutschen. Das Bestehende inhaltliche Vakuum wurde durch ihre Person aufgefüllt. Dieses Vorhaben gelang ihr nicht zuletzt durch das gekonnt kontrollierte Spiel mit den Medien.
    Albrecht von Lucke versucht in den "Blättern für deutsche und internationale Politik", das SPD-Debakel europäisch einzuordnen:

    Seit dem 27. September herrschen nun auch in Deutschland französische Verhältnisse. Oder, sollte man besser sagen: europäische Verhältnisse? Oft war in letzter Zeit von der Entstehung der Linkspartei, sprich: einer Partei links von der SPD, als einer europäischen Normalisierung die Rede. Nun erkennen wir, was es mit dieser "Normalisierung" auf sich haben könnte: nämlich eine Marginalisierung der Linken nach französisch-italienischem Vorbild.
    In der SPD-nahen "Berliner Republik" will Dieter Rulff der sozialdemokratischen Regierungspolitik rückblickend Gerechtigkeit widerfahren lassen. Während dieser Ära hätten mehrere strukturelle Veränderungen zu einem notwendigen Ende des Modells Deutschland geführt:

    Durch die Reform der Unternehmensbesteuerung wurden die verflochtenen Beteiligungsstrukturen der deutschen Unternehmen aufgelöst – das Kapital wurde global.
    Darüber hinaus sei mit dem Bündnis für Arbeit der deutsche Korporatismus beerdigt worden, nachdem zuvor schon der Flächentarifvertrag aufgelöst worden war. Daneben reduzierte die Hartz-IV-Reform die Statussicherung der arbeitslos gewordenen Arbeitskraft auf eine Existenzsicherung.

    In der Frauenpolitik wurde der wachsenden Erwerbstätigkeit von Frauen sowie dem demografischen Faktor Rechnung getragen. Und in der Energiepolitik leitete die SPD-geführte Regierung die Wende zu mehr Nachhaltigkeit ein und förderte neue produktive Industriesektoren.
    Als Generalabrechnung mit der "Schröder-SPD" versteht sich dagegen ein 14-Thesen-Papier der Parteilinken. Das weitgehend verschwörungsideologisch verfasste Pamphlet wurde in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" veröffentlicht. Hier eine Kostprobe:

    Die selbst ernannten "Modernisierer" machten sich nach dem gescheiterten "Programmputsch" des Schröder-Blair-Papiers kaum noch die Mühe, die Partei zu überzeugen. Der Kanzler vertraute darauf, dass er mit "Bild, BamS und Glotze" regieren könne. Also im Klartext: Mit den Medien (und der Industrie) gegen die Gremien und die Basis der Partei. In der Partei konnte er seine "Basta-Politik" brachial durchsetzen, bei den Wählern floppte dieser mediale Putschismus im Dienste der Wettbewerbsfähigkeit. Dass man damit der Linken eine Steilvorlage zur Ausdehnung nach Westdeutschland lieferte, wurde offenbar billigend in Kauf genommen.
    Starker Tobac. Jürgen Krönig jedoch, der Londonkorrespondent der "Berliner Republik" sieht den entscheidenden Grund für den SPD-Absturz woanders:

    Es sollte den Sozialdemokraten zu denken geben, dass ihnen die Mehrheit der Wähler die Erneuerung und soziale Ausgestaltung des Kapitalismus offenbar nicht zutraut, sondern diese Aufgabe lieber bürgerlichen Parteien überlässt. Womöglich ist die Furcht im Spiel, dass zu viele Sozialdemokraten unterwegs sind, die nie ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht haben.
    Währenddessen macht sich der Philosoph Peter Sloterdijk in der Zeitschrift "Cicero" seinen eigenen Reim auf das sozialdemokratische Fiasko. Er hält den Absturz für ein Symptom, das über die interne Verfasstheit der aktuellen Staatlichkeit, des Parteienwesens und des sozialen Bandes in unserm Lande insgesamt Aufschluss gebe.

    Die nominellen Sozialdemokraten hatten von den Tagen Schröders an politische Reife demonstrieren wollen, indem sie tapfer selbst zerstörerisch die unumgänglich "notwendige" Reformpolitik praktizierten, von welcher der listig träge Kanzler Kohl stets die Finger gelassen hatte. Aus dieser Sicht war es Gerhard Schröder, der aufgrund seiner nichtlethargischen Qualitäten den Niedergang seiner Partei einleitete.

    Zitierte Zeitschriften:

    - Forschungsjournal, Neue Soziale Bewegungen, 12/09.
    - Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/09.
    - Berliner Republik, 5/2009.
    - Cicero, 11/2009.


    Die Krise der Sozialdemokratie unter der Lupe – Norbert Seitz mit dem Blick in die Politischen Zeitschriften im November.