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Abriss eines schlecht gebauten Geldgrabs

Der kaum noch aufzuhaltende Abriss der von Oswalt Mathias Ungers seit 1979 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in West-Berlin geplanten Wohnhäuser am Lützowplatz ist ein Skandal, meint Nikolas Bernau. Einer mit derart vielen Aspekten, dass man kaum weiß, wo man zuerst protestieren soll.

Von Nikolas Bernau |
    Man muss kein Freund des rigiden Quadratformalismus sein, der die Architektur von Oswalt Mathias Ungers prägte. Man kann die Lebensferne seiner architekturtheoretischen Schriften beklagen, ihre Behauptung, dass Architektur reine Kunst sein solle. Deswegen sind viele Bauten des Kölners völlig dysfunktional: Stärker als die Notwendigkeit, in einem Museum ein Gemälde an der Wand zu zeigen, war für Ungers allemal die eigene Doktrin, dass diese Wand, die Glasdecke darüber und der Fußboden im gleichen "rationalen" Quadratraster zu sein hätten. Und wer an seinen Umgang mit historischen Bauten denkt, kann nur schaudern – die noble Villa, in der heute das Architekturmuseum in Frankfurt untergebracht ist, wurde dafür von ihm regelrecht massakriert, der Klotz der Hamburger Kunsthalle nimmt dem historischen Bau förmlich den Sockel weg, in Trier rammte er – streng im Quadratraster selbstverständlich – Pfosten in antike Fundamentreste, und sogar für das Welterbe Pergamonmuseum scheute er nicht vor einem Plan zurück, der zwei Drittel aller historischen Innenwände verschieben soll.

    Und doch, der jetzt wohl kaum noch aufzuhaltende Abriss der von Oswalt Mathias Ungers seit 1979 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in West-Berlin geplanten Wohnhäuser am Lützowplatz ist ein Skandal. Einer mit derart vielen Aspekten, dass man kaum weiß, wo man zuerst protestieren soll. Denn hier geschieht etwas, was eben nicht Berlin-typisch ist, sondern in vielen deutschen Großstädten beobachtet werden kann: Die Aufgabe von Sozialwohnungen in der Innenstadt und damit die Trennung der sozialen Schichten; die Unterwerfung der Stadtpolitik unter die angeblichen Gesetze des Marktes; der rabiate Umgang mit der jüngeren gebauten Vergangenheit.

    Sicher, diese Häuser von Ungers haben inzwischen nicht mehr zu übersehende Baufehler. Aber sie hätten saniert werden können, so wie praktisch jedes Haus saniert werden kann. Wenn man denn will. Hier aber wollte niemand, hier sollte immer nur abgerissen werden. In den frühen 1980er-Jahren war dieser Block aus Putz- und Ziegelhäusern in der von Büros und Geschäften geprägten Berliner West-City ein Neubeginn der Besiedlung, ein Zeichen, dass die Stadt Bürger braucht, um zu leben. Und zwar auch Bürger mit minderen Einkommen. Nun entstehen an der Stelle der einstigen Sozialwohnungen ein Hotel, Büros und einige Wohnungen für die obersten Einkommensschichten. Was für ein Bombengeschäft für private Bauherren, Banken, Investoren und nicht zuletzt für die Bauindustrie: Erst subventioniert der Staat – also wir, die Gemeinschaft der Steuerzahler – jahrzehntelang über Steuernachlässe und direkte Zuschüsse erst den Bau und dann hohe Mieteinnahmen. Und als die erste Sanierung hätte kommen müssen, wurde der Abrissantrag gestellt. Wieder kommen Steuernachlässe und Verlustvorträge zum Tragen, wieder können Zuschüsse beantragt werden. Was für ein ökonomischer Unsinn. Was für ein sozialpolitischer Unsinn – sollen denn nur noch die Reichen in der Innenstadt wohnen dürfen? Auch: Was für ein ökologischer Unsinn: Jedes Haus ist in Materie gebundene Energie, jeder Abriss erst einmal Energieverschwendung.

    Diese Häuser waren Modellvorhaben, mit ihren raffinierten Grundrissen, den hintereinander gestaffelten Maisonette-Wohnungen zwischen denen sich ein Gartenhof spannt. Wie gesagt, man muss diese Ästhetik nicht mögen mit den Giebeldächern, mit dem bis ins Hoftor deklinierten Quadratfetischismus. Aber der Abriss solcher Projekte ist eben auch ein Signal: Was kümmert uns die Geschichte unserer Reformen. Dass diese Bauten nicht auf der Berliner Denkmalliste stehen, ist Politik: Nette alte Stuckfassaden, ja, die sind unantastbar. Nazibauten soundso, da droht der Vorwurf der historischen Vergesslichkeit. Aber Bauten der Nachkriegsmoderne und der Postmoderne? Weg damit, wenn sie stören. Eine wissenschaftlich und juristisch haltbare Begründung für die Eintragung in die Denkmalliste zu verfassen wäre ein Leichtes. Die Eintragung durfte nicht geleistet werden, die von der SPD dominierte Bauverwaltung und Baupolitik hat das über mehr als ein Jahrzehnt verhindert. Nur nicht anlegen mit den Investoren, war ihre Parole seit Schröder. Und bis zur jüngsten Abgeordnetenhauswahl galt hier der Kernsatz: Wir brauchen eine Wohnungsbaupolitik für den oberen Mittelstand, brauchen Townhouses und Baugruppen, aber doch keinen Sozialbau. Diese Klientel findet schon was in den Plattenbauquartieren am Stadtrand.

    Der Abriss der Ungers-Häuser sollte eine Warnung sein: So geht es nicht weiter. Wir brauchen Innenstädte, in denen alle Einkommens- und Kulturschichten ihren Wohnort haben können. Ansonsten steuern die deutschen Städte weiter sehenden Auges auf ein Modell Paris mit seinen diskriminierten Banlieue-Vorstädten zu. Und die brennen irgendwann.