Unsere Nachbarn Schweiz und Österreich haben eine Menge mehr zu bieten als Wiener Schmäh und Schweizer Käse, zum Beispiel die besseren Rezepte für den Arbeitsmarkt. Und warum sollte man sich nicht einiges von den kleineren Nachbarn abschauen?
Die Buchautoren Wahl und Schulte finden den Drei-Ländervergleich besonders reizvoll:
"Deutschland, Österreich und die Schweiz haben vieles gemeinsam. Eingebettet in Europas Mitte haben sie nicht nur gemeinsame Grenzen, sondern auch eine gemeinsame Geschichte, Sprache und Kultur. Ihre ausgeprägte Wirtschaftsgesinnung geht auf dieselben Wurzeln zurück. Ihre drei Völker genießen einen der höchsten Lebensstandards der Welt. Ihre politischen Strukturen und Institutionen ähneln sich. Sie teilen viele Stärken und Schwächen. Nur bei der Beschäftigungssituation unterscheiden sie sich fundamental. Während Österreich und die Schweiz seit Jahrzehnten ihre Beschäftigung hoch und ihre Arbeitslosigkeit niedrig halten, bekommt Deutschland seine Arbeitsmarktprobleme nicht in den Griff. Sie belasten das Leben vieler Einzelner, vor allem lähmen sie unser Denken und Handeln."
Die drei Länder werden immer noch von vielen Menschen aus anderen Teilen der Welt mit Neid und Bewunderung als Stätten von Stabilität und Wohlstand betrachtet. Doch auf den zweiten Blick gibt es große Unterschiede beim Umgang mit der Arbeitslosigkeit und bei den Arbeitslosenzahlen. Während im Jahr 2004 die Arbeitslosenquote in der Schweiz bei 4,4 und in Österreich bei 4,5 Prozent lag, war sie in Deutschland mit 9,5 Prozent mehr als doppelt so hoch. Und obwohl die Schweiz zwischen 1991 und 2004 im Vergleich mit Österreich und Deutschland mit real 0,6 Prozent jährlich das geringste Pro-Kopf-Wachstum erzielte, wies sie mit 77,4 Prozent sogar die höchste Erwerbstätigenquote in der gesamten OECD auf.
Das Problem ist nicht neu. Schon seit drei Jahrzehnten kämpft die Bundesrepublik mit diesem Phänomen. Wahl und Schulte halten es für einen Mythos, dass mehr Beschäftigung allein über kräftigeres Wirtschaftswachstum zu erreichen sei. Die deutsche Therapie war mangelhaft, da sie sich in Arbeitslosenverwaltung erschöpfte. Doch nicht nur die Politik hat versagt. Die deutsche Bevölkerung ist an der negativen Entwicklung nicht ganz unschuldig. Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft sind hier schwächer ausgebildet als bei den beiden Nachbarn. Gewerkschaftsvertreter werden daher folgende Passage nicht mit Genuss lesen können, denn ein Plädoyer für die 35-Stunden-Woche fällt anders aus:
"Dass in Deutschland die Beschäftigung niedriger und die Arbeitslosigkeit höher ist als in Österreich und vor allem der Schweiz, liegt ganz wesentlich an der geringeren Arbeitsmotivation und dem geringeren Stellenwert, den hier die Bevölkerung der Erwerbsarbeit beimisst. Denn wie die Wirtschafts- wird auch die Beschäftigungssituation einer Region erheblich von den beschäftigungsrelevanten Sicht- und Verhaltensweisen der Bevölkerung beeinflusst. Zwar ist die Erwerbsarbeit auch für die Deutschen mehrheitlich sowohl das wichtigste Instrument, um ihre Fähigkeiten für sich und andere nutzbringend einzusetzen, als auch eine Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Doch ist diese Einstellung hier etwas schwächer ausgeprägt als in Österreich, vor allem aber der Schweiz. In diesen Ländern ist die Leistungsbereitschaft stärker, die Anforderung an Arbeitslose höher und die Versorgungsmentalität geringer als in Deutschland."
Die Empfehlungen der beiden Autoren laufen auf ein radikales Reformprogramm hinaus. In Deutschland begnügt man sich noch mit punktuellen Reformen. In der Schweiz ist die soziale Sicherung schon jetzt vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt. Doch in Deutschland – so zeigt eine Umfrage – ist nur jeder dritte Bundesbürger bereit, für eine Senkung der Lohnkosten stärker privat vorzusorgen. Ein anderes Beispiel ist der Kündigungsschutz. Hierzulande werden jährlich über 250.000 Kündigungsschutzprozesse vor den Arbeitsgerichten geführt. Bei den Eidgenossen muss ein Unternehmer eine Entlassung im Allgemeinen nicht näher begründen. Daher sind kostspielige Arbeitsgerichtsprozesse die Ausnahme. Und wieder trifft man auf ein deutsches Mentalitätsproblem: Selbst wenn ein gelockerter Kündigungsschutz nachweislich mehr Jobs bringen würde, sind 70 Prozent der Bundesbürger gegen eine solche Liberalisierung. Die große Koalition dürfte also mit der eigenen Bevölkerung erhebliche Probleme bekommen, wenn sie die Ratschläge von Wahl und Schulte in die Tat umsetzen würde. In Kleinstaaten ist das eben einfacher als bei einem 80-Millionen-Volk.
Stefanie Wahl und Martin Schulte: Arbeitslosigkeit abbauen – von Besseren lernen
Olzog Verlag, München, 2005
159 Seiten
20 Euro
Die Buchautoren Wahl und Schulte finden den Drei-Ländervergleich besonders reizvoll:
"Deutschland, Österreich und die Schweiz haben vieles gemeinsam. Eingebettet in Europas Mitte haben sie nicht nur gemeinsame Grenzen, sondern auch eine gemeinsame Geschichte, Sprache und Kultur. Ihre ausgeprägte Wirtschaftsgesinnung geht auf dieselben Wurzeln zurück. Ihre drei Völker genießen einen der höchsten Lebensstandards der Welt. Ihre politischen Strukturen und Institutionen ähneln sich. Sie teilen viele Stärken und Schwächen. Nur bei der Beschäftigungssituation unterscheiden sie sich fundamental. Während Österreich und die Schweiz seit Jahrzehnten ihre Beschäftigung hoch und ihre Arbeitslosigkeit niedrig halten, bekommt Deutschland seine Arbeitsmarktprobleme nicht in den Griff. Sie belasten das Leben vieler Einzelner, vor allem lähmen sie unser Denken und Handeln."
Die drei Länder werden immer noch von vielen Menschen aus anderen Teilen der Welt mit Neid und Bewunderung als Stätten von Stabilität und Wohlstand betrachtet. Doch auf den zweiten Blick gibt es große Unterschiede beim Umgang mit der Arbeitslosigkeit und bei den Arbeitslosenzahlen. Während im Jahr 2004 die Arbeitslosenquote in der Schweiz bei 4,4 und in Österreich bei 4,5 Prozent lag, war sie in Deutschland mit 9,5 Prozent mehr als doppelt so hoch. Und obwohl die Schweiz zwischen 1991 und 2004 im Vergleich mit Österreich und Deutschland mit real 0,6 Prozent jährlich das geringste Pro-Kopf-Wachstum erzielte, wies sie mit 77,4 Prozent sogar die höchste Erwerbstätigenquote in der gesamten OECD auf.
Das Problem ist nicht neu. Schon seit drei Jahrzehnten kämpft die Bundesrepublik mit diesem Phänomen. Wahl und Schulte halten es für einen Mythos, dass mehr Beschäftigung allein über kräftigeres Wirtschaftswachstum zu erreichen sei. Die deutsche Therapie war mangelhaft, da sie sich in Arbeitslosenverwaltung erschöpfte. Doch nicht nur die Politik hat versagt. Die deutsche Bevölkerung ist an der negativen Entwicklung nicht ganz unschuldig. Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft sind hier schwächer ausgebildet als bei den beiden Nachbarn. Gewerkschaftsvertreter werden daher folgende Passage nicht mit Genuss lesen können, denn ein Plädoyer für die 35-Stunden-Woche fällt anders aus:
"Dass in Deutschland die Beschäftigung niedriger und die Arbeitslosigkeit höher ist als in Österreich und vor allem der Schweiz, liegt ganz wesentlich an der geringeren Arbeitsmotivation und dem geringeren Stellenwert, den hier die Bevölkerung der Erwerbsarbeit beimisst. Denn wie die Wirtschafts- wird auch die Beschäftigungssituation einer Region erheblich von den beschäftigungsrelevanten Sicht- und Verhaltensweisen der Bevölkerung beeinflusst. Zwar ist die Erwerbsarbeit auch für die Deutschen mehrheitlich sowohl das wichtigste Instrument, um ihre Fähigkeiten für sich und andere nutzbringend einzusetzen, als auch eine Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Doch ist diese Einstellung hier etwas schwächer ausgeprägt als in Österreich, vor allem aber der Schweiz. In diesen Ländern ist die Leistungsbereitschaft stärker, die Anforderung an Arbeitslose höher und die Versorgungsmentalität geringer als in Deutschland."
Die Empfehlungen der beiden Autoren laufen auf ein radikales Reformprogramm hinaus. In Deutschland begnügt man sich noch mit punktuellen Reformen. In der Schweiz ist die soziale Sicherung schon jetzt vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt. Doch in Deutschland – so zeigt eine Umfrage – ist nur jeder dritte Bundesbürger bereit, für eine Senkung der Lohnkosten stärker privat vorzusorgen. Ein anderes Beispiel ist der Kündigungsschutz. Hierzulande werden jährlich über 250.000 Kündigungsschutzprozesse vor den Arbeitsgerichten geführt. Bei den Eidgenossen muss ein Unternehmer eine Entlassung im Allgemeinen nicht näher begründen. Daher sind kostspielige Arbeitsgerichtsprozesse die Ausnahme. Und wieder trifft man auf ein deutsches Mentalitätsproblem: Selbst wenn ein gelockerter Kündigungsschutz nachweislich mehr Jobs bringen würde, sind 70 Prozent der Bundesbürger gegen eine solche Liberalisierung. Die große Koalition dürfte also mit der eigenen Bevölkerung erhebliche Probleme bekommen, wenn sie die Ratschläge von Wahl und Schulte in die Tat umsetzen würde. In Kleinstaaten ist das eben einfacher als bei einem 80-Millionen-Volk.
Stefanie Wahl und Martin Schulte: Arbeitslosigkeit abbauen – von Besseren lernen
Olzog Verlag, München, 2005
159 Seiten
20 Euro