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Abschiebehaft in Büren
Nicht Knast, nicht Heim

Das Abschiebegefängnis Büren bei Paderborn ist das größte Deutschlands. Seit langem steht es wegen schlechter Stimmung und Vorwürfen gegen das Personal in der Kritik. Der Anstaltsleiter erklärt das auch damit, dass sich durch politische Vorgaben die Zusammensetzung der Häftlinge geändert habe.

Von Timo Stukenberg | 20.12.2018
    Insasse im Abschiebegefängnis Büren blickt aus dem Fenster
    In Büren sitzen die Leute nicht, weil sie verurteilt wurden, sondern weil ein Gericht die Gefahr sieht, dass sie vor ihrer Abschiebung untertauchen. (Deutschlandradio/Küpper)
    6,50 Meter - so hoch ist die Mauer, die den Innenhof der Abschiebungshaftanstalt im nordrhein-westfälischen Büren umgibt. Und bis auf diese Höhe hangelten sich im Frühjahr drei Männer an der Mauer. Dann sprangen sie in die Freiheit. Einer verletzte sich dabei und wurde kurz darauf festgenommen. Die anderen beiden konnten in dem Waldstück, das die Anstalt umgibt, entkommen.
    "Es ist so, dass man 2015, als man das hier neu erfinden wollte, Abschiebungshaft, unter anderem auch auf die Idee kam zu sagen, naja es darf auch nicht mehr so aussehen wie Gefängnis. Und dazu gehörte, dass man bestimmte Sicherungsmaßnahmen abgebaut hat, insbesondere Stacheldraht oder Nato-Draht."
    Stacheldraht ist wieder da
    Nicolas Rinösl, seit 2015 Leiter der Einrichtung, zeigt auf das Stück Mauer, über das die Gefangenen geklettert sind. Darauf thronen mittlerweile wieder gebogene und gezackte Drähte:
    "Es ist ne Grundsatzentscheidung, man kann es so machen. Das ist letztlich ne politische Entscheidung. Gut, jetzt ist eben die Entscheidung, wie man sieht, wieder in die andere Richtung geschlagen."
    Offiziell heißt das Abschiebegefängnis "Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige". Der sperrige Name ist irreführend. Die Insassen werden nicht nur untergebracht, sie werden auch festgehalten. Wer hier drin ist, ist in Haft. Tatsächlich sagt der Name mehr darüber aus, als was die Anstalt nicht gelten soll: als Gefängnis. Nicolas Rinösl:
    "Über uns oder unter uns wird wieder gekocht. Die Lüftungsanlagen ziehen das dann über die ganzen Flure"
    Der Europäische Gerichtshof hat im Jahr 2014 geurteilt, dass sich Abschiebungshaft von Strafhaft unterscheiden muss. Immerhin sitzen die Leute hier nicht, weil sie verurteilt wurden, sondern weil ein Gericht die Gefahr sieht, dass sie vor ihrer Abschiebung untertauchen.
    Jeder zweite Gefangene vorbestraft
    Seit rund zwei Jahren kommt es in der Bürener Einrichtung immer wieder zu Übergriffen der Insassen auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Nachrichtenmagazin "Spiegel" berichten Angestellte, wie Gefangene versucht haben, sie mit heißem Tee zu verbrühen oder mit Scherben zu verletzen. Der Krankenstand sei teilweise sehr hoch gewesen, sagt Anstaltsleiter Rinösl. Zwischenzeitlich ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen eine Beamtin, weil sie angeordnet hatte, einem Gefangenen Medikamente ins Essen zu mischen, um ihn ruhig zu stellen.
    Kontakt zu Gefangenen oder Mitarbeitenden herzustellen, sei aktuell leider nicht möglich, teilt die Bezirksregierung mit. Die Mitarbeiter hätten kein Interesse, mit der Presse zu sprechen, und Gefangene würden nach Interviews häufig von anderen Insassen bedrängt.
    Die schlechte Stimmung in der Einrichtung ist laut Anstaltsleiter Rinösl auch eine Folge der deutschlandweiten Debatte über Abschiebungen. Wenn Politiker fordern, kriminelle Ausländer effektiver abzuschieben, schlage sich das in der Zusammensetzung der Inhaftierten nieder. In Büren sei mittlerweile mindestens jeder zweite Gefangene vorbestraft oder in ein laufendes Strafverfahren verwickelt:
    "Mit dem Anschlag vom Breitscheidplatz merkte man, dass die Ausländerbehörden den Fokus verändert haben, hin einmal zu einer anderen Gruppe - nämlich dann zu denen, die wir hier jetzt tatsächlich haben. Und eben auch die Nachfrage nach Haftplätzen, dass die deutlich gestiegen ist, was ja dann auch dazu geführt hat, dass wir die Kapazitäten zwischenzeitlich ordentlich ausgebaut haben."
    Fachkräftemangel auch in Büren
    Von Anfang des Jahres bis Mitte November sind aus Büren 845 Menschen abgeschoben worden. Die Ausländerbehörden in NRW hätten gerne noch mehr Ausreisepflichtige nach Büren gebracht. In mehr als 160 Fällen musste die Anstalt jedoch allein in der ersten Hälfte des Jahres die Aufnahme verweigern. Die Zahl der Haftplätze sollte längst auf 175 gestiegen sein, doch wie in anderen Bundesländern fehlt in Büren das Personal.
    Für den nordrhein-westfälischen Flüchtlingsminister, Joachim Stamp von der FDP, spielt die Bürener Einrichtung eine zentrale Rolle in der Migrationsfrage. Denn je effektiver abgeschoben wird, desto mehr Akzeptanz gebe es auch für Zuwanderung, sagte er dem Deutschlandfunk im März:
    "Je besser wir beim Rückführungsmanagement sind, desto großzügiger können wir bei der legalen Einwanderung sein - und deswegen sollte auch die politische Linke mal darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, auch solche Einrichtungen wie in Büren anders zu unterstützen."
    Zu den neuen Regeln in Büren gehört, dass die Gefangenen ihre Smartphones abgeben und stattdessen Ersatzhandys ohne Kameras benutzen sollen, damit sie keine Fotos von Angestellten machen können. Bargeld soll verboten werden, um den Drogenhandel hinter Gittern einzudämmen. Bei Haftantritt sollen die Gefangenen bis zu eine Woche lang beobachtet werden, damit die Mitarbeiter sie besser einschätzen können.
    "Abwärtsspirale" bei Haftbedingungen und Stimmung
    Frank Gockel sieht den Minister mit seinem neuen Gesetzesvorschlag auf einem Irrweg. Er engagiert sich seit mehr als 20 Jahren im Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren":
    "Wir glauben eher, dass die Stimmung auch bei den Gefangenen ganz allein dadurch immer schlechter wird, dass die Haftbedingungen immer schärfer werden. Und das ist so eine Abwärtsspirale, die dementsprechend vorherrscht. Und dadurch, dass diese Abwärtsspirale immer weiter nach unten geht, werden natürlich dann Sicherheitsmaßnahmen verschärft."
    Nachdem die Abschiebungshaft jahrelang geradezu stiefmütterlich von den Bundesländern behandelt wurde, erlebt sie jetzt wieder einen Aufschwung. Muzaffer Öztürkyilmaz vom niedersächsischen Flüchtlingsrat und Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Pro Asyl beobachtet diesen Trend mit Sorge:
    "Es ist so, dass derzeit zehn Bundesländer eigene Abschiebungshaftgefängnisse betreiben, die übrigen Bundesländer bauen welche oder kooperieren mit anderen Bundesländern, und letztlich ist es so: Wer mehr Abschiebungshaftplätze baut, wird diese auch nutzen."
    Ausreiseförderung statt Abschiebehaft
    Statt Abschiebungshaft fordert er Ausreiseförderung, wenn der Antrag eines Asylbewerbers abgelehnt wurde. Reist die Person dennoch nicht aus, könne die Verwaltung auch mit Meldeauflagen arbeiten oder eine Kaution fordern, die es erst bei der Ausreise zurückgibt. Anstaltsleiter Rinösl stellt klar: Einem Ende der Abschiebehaft würde er nicht im Wege stehen.
    "Wenn mir morgen gesagt würde, es ist die politische Entscheidung dagegen gefallen - ich bin Beamter, dann tut das nichts zur Sache, dann mach ich irgendwas anderes. Das ist eine demokratische Entscheidung, wenn man sich gegen Abschiebungshaft entscheidet, dann gibt’s halt keine Abschiebungshaft mehr in Deutschland. Dann ist es in Ordnung."