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Abschiebung nach Mittelamerika
"Mexikos Politik ist heuchlerisch"

Donald Trumps geplante Grenzmauer sorgte für Protest in Mexiko. Das Land sieht sich als Opfer der US-amerikanischen Einwanderungspolitik. Doch nach Angaben von Amnesty International schiebt es selbst Flüchtlinge aus Mittelamerika illegal ab, obwohl sie ein Recht auf Asyl hätten.

Von Anne-Katrin Mellmann | 17.02.2018
    Migranten benutzen ein behelfsmäßiges Floss, um den Suchiate-Fluss, der die natürliche Grenze zwischen Mexiko und Guatemala markiert, zu überqueren (Archivbild 2014)
    Viele Mittelamerikaner fliehen vor Gewalt in ihren Heimatländern und erhoffen sich in Mexiko ein besseres Leben (Archivbild 2014) (AFP / Yuri Cortez)
    Am frühen Abend füllt sich das Casa Tochán in Mexiko-Stadt. In der Gemeinschaftsküche rührt der diensthabende Koch Reis und Bohnen zusammen für die 25 Mittelamerikaner, die derzeit in der spendenfinanzierten Migrantenherberge leben. Alle sind vor der Gewalt geflohen. Honduras und El Salvador gehören zu den Ländern mit den höchsten Mordraten der Welt.
    Der Honduraner Manuel kommt von seiner Arbeit in einer Tortilla-Fabrik, die er offiziell gar nicht haben dürfte, weil er in Mexiko nur geduldet ist. Der Asylantrag des 22-Jährigen wurde abgelehnt.
    "Die Behörden haben mir gesagt, dass Venezolaner und El Salvadorianer im Moment die Priorität hätten. Ich wollte meine Heimat nicht verlassen, meine ganze Familie, aber ich musste! Die Maras, die Jugendbanden, haben mich mit dem Tode bedroht, weil ich nicht ihr Informant werden wollte. Ich habe im Empfang des Obersten Gerichts gearbeitet und hatte deshalb Zugang zu Informationen, die sie haben wollten."
    Polizei ist keine Hilfe
    Die Polizei sei in solchen Fällen keine Hilfe, weil sie entweder selbst bedroht wird oder mit den Banden kooperiere, erzählt Manuel mit regungsloser Mine. Auch in Mexiko hat er schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht: Grundlos sei er verhaftet worden und musste 16 Tage in einem Abschiebegefängnis ausharren, bis die Behörden merkten, dass seine Papiere in Ordnung waren und ihn rausließen.
    "In dem Gefängnis diskriminieren sie die Mittelamerikaner: Migranten aus anderen Ländern bekommen drei gute Mahlzeiten am Tag, wir nur Tortillas und gekochte Karotten. Bevor ich entlassen wurde, zwangen sie mich zu unterschreiben, dass ich immer gut zu Essen hatte. Als ich in dem Knast war, wurden mehrere Menschen von Bandenmitgliedern ermordet, auch ein kleiner Junge aus Nicaragua – Saúl, vier Jahre alt. In den Nachrichten wird das gar nicht erwähnt."
    Selten ist das Schicksal von Migranten ein Thema: Etwa 400.000 Mittelamerikaner durchqueren Mexiko jährlich auf dem Weg in die USA. Immer mehr wollen aber – so wie Manuel – in Mexiko bleiben und bitten um Asyl. Die meisten jedoch vergeblich. 76.000 Mittelamerikaner wurden im vergangenen Jahr abgeschoben – viele, ohne jemals über ihre Rechte informiert worden zu sein, beklagt Amnesty International.
    Mexiko erledigt Drecksarbeit für die USA
    Die Organisation wirft Mexiko schwere Menschenrechtsverletzungen und illegale, systematische Abschiebungen vor, die gegen internationale Prinzipien verstießen. Danach darf niemand in sein Herkunftsland zurückgebracht werden, der dort Angst um sein Leben haben muss. Die Französin Garance Tardieu von Amnesty Mexiko hat an dem Bericht gearbeitet, für den unter anderem 300 Migranten befragt wurden, die in Abschiebehaft saßen. Bei 40 Prozent gab es Hinweise auf illegale Abschiebung:
    "Mexikos Politik ist heuchlerisch. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass Mexiko der Torwächter der USA ist, indem es Mittelamerikaner schon an seiner Südgrenze abfängt, damit sie gar nicht erst in die USA gelangen können. Seit Donald Trump Präsident ist, sorgt sich das Land um die Abschiebungen von Mexikanern aus den USA. Und dabei macht Mexiko an seiner Südgrenze das gleiche, fängt mittelamerikanische Flüchtlinge ab und schickt sie zurück. Die hätten jedes Recht in Mexiko, um Asyl zu bitten."
    Trotz aller Anti-Trump-Rhetorik: Mexiko erledigt nach wie vor die Drecksarbeit für die USA und hält Mittelamerikaner fern. Sie sind Verhandlungsgegenstand, wenn es etwa um den Fortbestand der Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA geht. Den Vorwurf, illegal abzuschieben, wies die zuständige Behörde in einer dürren Erklärung zurück. Zu einem Interview ist dort niemand bereit.
    Treppen führen hinauf zum Eingang der Migrantenherberge  Casa Tochan in Mexiko-Stadt
    Die Migrantenherberge Casa Tochan in Mexiko-Stadt wird durch Spenden finanziert (Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann)
    Traum vom positiven Asylbescheid
    Im Casa Tochán wartet Carlos aus El Salvador seit sechs Monaten auf einen Bescheid der Migrationsbehörde. Auch er floh vor der Gewalt der Maras, nachdem sie seinen Cousin ermordet hatten. Für 12 Euro schwarz pro Tag putzt der 23-jährige Automechaniker in Mexiko-Stadt Häuser reicher Leute.
    "Wenn ich nicht so arm wäre, würde ich in die USA gehen. Aber ich kann die 3.000 bis 4.000 Dollar für den Schleuser an der Grenze nicht zahlen. Die USA wären schon toll. Dort verdient man mehrere Dollar pro Stunde. In Mexiko ist es wenigstens ein bisschen besser als in El Salvador. Dort herrscht große Armut. Deshalb gibt es auch so viel Kriminalität. Für die jungen Leute ist es einfacher, in den Mara-Banden mitzumachen, als eine gut bezahlte Arbeit zu finden."
    Carlos Traum ist ein positiver Asylbescheid und dann die Arbeitserlaubnis, die es ihm ermöglicht, einen Job zu finden und Geld nach Hause zu seiner Mutter und seinem kleinen Bruder zu schicken. Herbergsleiterin Gabriela Hernandez wackelt aber skeptisch mit dem Kopf: In den fünf Jahren des Bestehens der Migrantenherberge hat sie nur vier Fälle erlebt, in denen Asylanträge bewilligt wurden.
    "Ich glaube, die Behörde nimmt einfach alle Anträge, wirft sie hoch in die Luft, und der eine Antrag, der in der Hand landet, wird bewilligt. Die angegebenen Asylgründe spielen offensichtlich überhaupt keine Rolle. Dabei sieht man bei allen Geschichten, wie groß die Lebensgefahr ist."
    Ohne Asyl bleibt nur das Leben in der Illegalität. Denn die Rückkehr nach Hause schließen alle Bewohner des Casa Tochán aus.