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Abschied eines symphonischen Maestros

Es wurde weder ein Schrecken ohne Ende, noch ein Ende mit Schrecken – der Weggang Christian Thielemanns aus München. Fast zwei Jahre ist es her, dass sich die Münchener Philharmoniker für ihn als Generalmusikdirektor aussprachen. Jetzt geht er nach Dresden.

Von Jörn-Florian Fuchs |
    ed Zum Abschluss seiner Zeit als Chef der Münchner Philharmoniker ließ es Christian Thielemann noch mal so richtig krachen. Zuerst standen allerdings Claude Debussys duftig samtene Reflexionen über den Nachmittag eines Fauns auf dem Programm, danach sorgte Mozarts A-Dur Klavierkonzert mit dem Virtuosen Radu Lupu für einen zwar elegant ausmusizierten, insgesamt aber recht trägen Kontrapunkt.

    Nach der Pause wirbelten bei Debussys "La Mer" Wellen und Stürme durch den Saal. Das Finale bestritten Thielemann und die Philharmoniker mit Maurice Ravels "La Valse", einem brillanten Orchestermonolithen, der traumverloren beginnt, doch dann rasch über wilden Abgründen taumelt. Der Preuße in französischen Klanggewässern? Das ging perfekt auf!

    Was bleibt nun von Thielemanns Münchner Jahren? Sicher in erster Linie seine Beethoven, Brahms und Bruckner-Dirigate. Und natürlich die häufigen Applausorgien. Das Publikum war dem eigenwilligen Generalmusikdirektor fast ausnahmslos hörig und stürmte die Konzerte. Aus fachlicher Perspektive mochte man sich den fast schon Routine mäßigen Jubelschreien nach Thielemann-Auftritten nicht immer anschließen. Besonders enttäuschend: Thielemanns Mozartdirigate, auch die wenigen Ausflüge ins Italienische blieben mittelprächtig. Der Hauptkritikpunkt war und ist jedoch das begrenzte Repertoire: Sehr viel deutsche Romantik, immerhin ein paar fast vergessene Exilkomponisten aus den 1920er bis 40er-Jahren, dazu eine Miniportion Moderne, etwas Henze, ein bisschen Rihm, eine Prise Jörg Widmann.

    Wirkliche Dramaturgie suchte man vergebens, wenn man unter Dramaturgie eben mehr als zyklische Aufführungen von Beethoven-, Brahms- oder Brucknersymphonien versteht. Immer wieder hörte man zudem von einigen Orchestermitgliedern, dass Generalmusikdirektor Thielemann vor allem den "General" herauskehrte. Doch letztlich wurden die öfters durch die Gazetten geisternden Missstimmungen durch den konstant großen Publikumszuspruch aufgewogen. Und durch einige umfangreiche Tourneen wirkten die Isarmusiker als veritabler Tourismusfaktor, was man in der bayerischen Staatskanzlei naturgemäß besonders schätzte.

    Dass bei den Abokonzerten nicht nur "urdeutsche" Komponisten zu Ehren kamen, ist sicherlich der Philharmoniker-Intendanz zu danken, die sich auch um exquisite Gastdirigenten bemühte. Genau daran freilich zerbrach am Ende alles, da Thielemann gern sämtliche Entscheidungen selbst in der Hand gehabt hätte.

    Nun zieht er weiter an die Elbe, als Leiter der Staatskapelle Dresden wird er dort auch das machen, was ihm erklärtermaßen in München immer fehlte: Musiktheater. Die großen (Richard) Sträusse werden an der Semperoper Thielemanns Handschrift tragen, in den Konzerten darf man dagegen wohl erneut die üblichen Verdächtigen erwarten. Wagners "Ring des Nibelungen" liegt Thielemann zwar ganz besonders am Herzen, allerdings wird er die Tetralogie wohl 2013, wenn sich Wagners Geburtstag zum 200. Mal jährt, in Baden-Baden dirigieren, wie das klingt – sehr wuchtig und zugleich detailverliebt – konnte man in den letzten Jahren in Bayreuth erleben, wo Thielemann eine Art inoffizieller Musikchef ist. Unter der Hand gilt er übrigens als Nachfolger von Eva Wagner-Pasquier, die vielleicht demnächst altersbedingt ausscheiden könnte. Mit Katharina Wagner arbeitet Thielemann in jedem Fall 2015 bei "Tristan und Isolde" zusammen, eine eigenwillige Mischung: Der konservative Preuße trifft auf die gern wild an den Stücken herumfuchtelnde Oberfränkin.

    Das zeigt überdeutlich, dass Thielemann auch ein Machtmensch ist, oder – um es diplomatischer zu formulieren – ein Diplomat. Passenderweise war die Zugabe beim gestrigen Abschiedskonzert übrigens das Vorspiel zu den "Meistersingern".