Der Tod eines nahen Familienmitglieds muss nicht, kann sich aber für Kinder als Tragödie auswirken. Die Geschwister Greta und Julian jedenfalls, sie noch im Kindergarten, er in der Grundschule, durchleben nach dem Tod ihrer geliebten Oma sehr traurige Wochen. Zumal die Mutter, berufstätig und durch einen neuen Freund abgelenkt, sie nicht so trösten kann, wie sie es in dieser schwierigen Situation bräuchten.
Katja Henkel, erzählt mit "Der Himmel soll warten!" eine ebenso ernste wie komische Geschichte von zwei Kindern, die ihren eigenen Weg im Umgang mit dem Verlust der Großmutter finden. Denn das Thema Tod schließt, nach Meinung der Autorin, einen heiteren Ton nicht aus:
" Ich finde, in einem leichten Ton über etwas zu sprechen, heißt ja nicht, es nicht ernst zu nehmen. Komiker sind ja meistens ernster als jeder Dramatiker oder so, insofern fand ich den Ton zum Vermitteln. Denn was gibt es Schöneres als unter Tränen zu lächeln oder erst zu lächeln und drei Seiten weiter weinen zu müssen."
Weinen und lächeln - damit sind schon die zwei Ebenen genannt, auf denen dieser kleine Kinderroman spielt. Traurig ist der realistisch gezeichnete Alltag von Greta und Julian, die sich vor Sehnsucht nach der Großmutter sogar nachts in einem Bett zusammenkuscheln. Witzig dagegen sind die phantastischen Erlebnisse von Omalotte, die nach ihrem Tod vorübergehend im "Zwischenhimmel" untergebracht ist und sich nicht entschließen kann, ihrem spießig-langweiligen Begleiter, dem Engel Gustav VII, in den endgültigen Himmel zu folgen. Dieser Zwischenhimmel mit seinen skurrilen Engelsgestalten hat nichts Tod-Trauriges, sondern etwas höchst Lebendiges.
" Es geht um Trost, es geht natürlich auch darum, sich irgendein Bild zu machen was möglicherweise passieren kann, wenn ein Mensch stirbt."
Während die Oma von dort oben aus ihre unglückliche Restfamilie auf der Erde beobachtet, entwickeln Greta und Julian die wahnwitzige Idee, sie zu sich zurückzuholen. Wie, sei nicht verraten. Ihre zuerst komischen, dann aber beängstigenden Bemühungen entwickeln jedoch eine solche Eigendynamik, dass die Katastrophe unabwendbar scheint. Und erst diese dramatische Entwicklung bietet den vier beteiligten Personen - neben den Kindern der verzweifelten Mutter und ihrem geduldigen Lebensgefährten - die Chance, den Tod der Großmutter anzunehmen und zu einer richtigen Familie zusammenzuwachsen.
" Also mir war es ganz wichtig, dass da sehr viel Humor und sehr viel Wärme und sehr viel Liebe drinsteckt in diesem Thema auch. Und ohne Tod würde es kein Leben geben. Also ich bin ja selber nicht ganz so weise, ich finde es trotzdem schrecklich, über den Tod nachzudenken, aber im Schreiben wollte ich das dann doch etwas freundlicher gestalten."
Freundlich - das ist das richtige Wort für Katja Henkels Gedanken-Spiel um Leben und Tod. Ihr Buch "Der Himmel soll warten!" hält auf leichte Weise die Balance zwischen Alltagsernst und Zwischenhimmel, Traurigkeit und Heiterkeit. Da bleibt, abgesehen von der Schlussszene, kein Raum für Pathos oder Sentimentalität. Greta und Julian, die beiden mutigen kleinen Helden, lernen, ohne die Oma glücklich zu sein. Und das hilft sicher auch manchem jungen Leser.
" Weil ich wirklich denke, wenn man sich ein Bild von etwas machen kann, und wenn es nur in der Fantasie ist, ist das Grauen nicht mehr so schlimm. Das Schlimme ist ja immer, wenn man es überhaupt nicht weiß, wenn es so vage ist und verschwommen und man sich keine Vorstellungen machen kann."
Eine Aussage, die genauso gut auf Gabrielle Zevins Jugendbuch "Anderswo" passt. Denn auch hier geht es - die fünfzehnjährige Liz ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen - um den Tod und das Leben danach. Allerdings nicht in einer Übergangsstation wie Omalottes leicht verrücktem "Zwischenhimmel", sondern in jenem fernen Land "Anderswo", in das alle Toten - in Anspielung auf den antiken Mythos - auf einer langen Reise über das Meer gebracht werden.
In diesem "Anderswo" lebt es sich - es ist wirklich von "leben" die Rede - einerseits ganz ähnlich wie in Liz' früherem Leben, andererseits aber wie spiegelverkehrt. Hier gibt es Autos und Straßen, Vorschriften und Behörden wie im wirklichen Leben, aber zugleich sind alle geraden Straßen kurvig, Tiere können sprechen und von einer Aussichtsplattform aus können die lebenden Toten durch eine Art Fernrohr beobachten, was auf der Erde gerade geschieht. Und am wichtigsten ist: - wer in "Anderswo" lebt, kann nicht sterben, sondern wird immer jünger, bis er oder sie als Baby in einer Art neuer Geburt zurückgeschwemmt wird in die Wirklichkeit.
Gabrielle Zevins "Anderswo" vermischt Elemente von modernem Märchen, antikem Mythos und Science-Fiction mit denen des Liebes- und Entwicklungsromans zu einer Geschichte, die an die Bilder surrealistischer Maler erinnert. Realistisch im technischen Detail, präzise in der Entwicklung der Handlung und sensibel in der Zeichnung von Liz' Gedanken und Gefühlen hat die gesamte Konstruktion/Konzeption vom Leben in "Anderswo" doch etwas total Phantastisches. Der Leser erlebt mit dem Mädchen so etwas wie einen luziden Traum, in dem alles ganz klar ist, und zugleich ganz fremd.
Ich bin tot, denkt sie. Dann wiederholt sie die Worte laut, um den Klang zu hören: "Ich bin tot. Tot."
Das Merkwürdige daran ist, dass Liz sich kein bisschen tot fühlt. Immerhin läuft sie weiterhin in ihrem altgewohnten Körper herum, der sich anscheinend überhaupt nicht verändert hat... (Zwar ist sie sich noch nicht sicher, was genau der Tod für sie bereithält, aber eines weiß sie genau: Sie wird ihre Eltern, ihren Bruder und ihre Freunde nie wieder sehen.) Fast fühlt es sich so an, als sei sie selbst die einzige Überlebende und nun Gast bei einem kollektiven Begräbnis für jeden Menschen, den sie gekannt hat.
Trotz Liz' Sehnsucht nach ihrer Familie, ihrer Wut über den Taxifahrer, der sie tötete und trotz ihres Schmerzes darüber, dass sie nun niemals den Führerschein machen, studieren oder heiraten wird, ist "Anderswo" kein deprimierender Roman. Im Gegenteil! Nicht nur, weil Liz sich mit der Zeit auf das neue Leben einstellt und auch noch eine große Liebe erleben darf. Sondern vor allem darum, weil humorvolle Charakterisierungen der Menschen um sie herum, ein frischer Erzählton und schlagfertige Dialoge ihre Trauer abfedern. Erst die Heiterkeit dieses Romans gibt seinem Ernst die Tiefe, und erst der Ernst bringt seine Heiterkeit zum Leuchten.
So ist es nicht verwunderlich, dass der Spannungsbogen in der Mitte des Buches, wo die unkomplizierte Liebesgeschichte im Vordergrund steht, deutlich abflacht, zum Schluss, als Liz' Abschied aus "Anderswo" immer näher rückt, aber wieder ansteigt. Was vor allem in Erinnerung bleibt, ist die Erfahrung des jungen Mädchens, dass manches Leben toter sein kann als der Tod und dass erst das Wissen um den Tod unserem Leben seinen wirklichen Wert gibt. Keine neuen Erkenntnisse für Theologen und Philosophen, aber sicher wichtige Einsichten für Jugendliche. Einsichten, die Mut machen, das in der Pubertät manchmal als sinnlos empfundene eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie ergeben sich wie von selbst aus dieser lebendigen Geschichte über den Tod, in der, wie in manchen großen Komödien, die reale Welt als Traum erscheint und die Traumwelt wirklich wird.
Oh, es gibt so viele Leben. Wie sehr wir uns manchmal wünschen, wir könnten sie alle gleichzeitig besitzen, anstatt immer eines nach dem anderen. .. Aber so funktioniert das Universum nicht. Das menschliche Dasein ist ein kunterbuntes, wundervolles Chaos.
Katja Henkel: Der Himmel soll warten! Bloomsbury Verlag, 144 Seiten, 12,90 Euro
Gabrielle Zevin: Anderswo. Bloomsbury Verlag, 314 Seiten, 15,90 Euro
Katja Henkel, erzählt mit "Der Himmel soll warten!" eine ebenso ernste wie komische Geschichte von zwei Kindern, die ihren eigenen Weg im Umgang mit dem Verlust der Großmutter finden. Denn das Thema Tod schließt, nach Meinung der Autorin, einen heiteren Ton nicht aus:
" Ich finde, in einem leichten Ton über etwas zu sprechen, heißt ja nicht, es nicht ernst zu nehmen. Komiker sind ja meistens ernster als jeder Dramatiker oder so, insofern fand ich den Ton zum Vermitteln. Denn was gibt es Schöneres als unter Tränen zu lächeln oder erst zu lächeln und drei Seiten weiter weinen zu müssen."
Weinen und lächeln - damit sind schon die zwei Ebenen genannt, auf denen dieser kleine Kinderroman spielt. Traurig ist der realistisch gezeichnete Alltag von Greta und Julian, die sich vor Sehnsucht nach der Großmutter sogar nachts in einem Bett zusammenkuscheln. Witzig dagegen sind die phantastischen Erlebnisse von Omalotte, die nach ihrem Tod vorübergehend im "Zwischenhimmel" untergebracht ist und sich nicht entschließen kann, ihrem spießig-langweiligen Begleiter, dem Engel Gustav VII, in den endgültigen Himmel zu folgen. Dieser Zwischenhimmel mit seinen skurrilen Engelsgestalten hat nichts Tod-Trauriges, sondern etwas höchst Lebendiges.
" Es geht um Trost, es geht natürlich auch darum, sich irgendein Bild zu machen was möglicherweise passieren kann, wenn ein Mensch stirbt."
Während die Oma von dort oben aus ihre unglückliche Restfamilie auf der Erde beobachtet, entwickeln Greta und Julian die wahnwitzige Idee, sie zu sich zurückzuholen. Wie, sei nicht verraten. Ihre zuerst komischen, dann aber beängstigenden Bemühungen entwickeln jedoch eine solche Eigendynamik, dass die Katastrophe unabwendbar scheint. Und erst diese dramatische Entwicklung bietet den vier beteiligten Personen - neben den Kindern der verzweifelten Mutter und ihrem geduldigen Lebensgefährten - die Chance, den Tod der Großmutter anzunehmen und zu einer richtigen Familie zusammenzuwachsen.
" Also mir war es ganz wichtig, dass da sehr viel Humor und sehr viel Wärme und sehr viel Liebe drinsteckt in diesem Thema auch. Und ohne Tod würde es kein Leben geben. Also ich bin ja selber nicht ganz so weise, ich finde es trotzdem schrecklich, über den Tod nachzudenken, aber im Schreiben wollte ich das dann doch etwas freundlicher gestalten."
Freundlich - das ist das richtige Wort für Katja Henkels Gedanken-Spiel um Leben und Tod. Ihr Buch "Der Himmel soll warten!" hält auf leichte Weise die Balance zwischen Alltagsernst und Zwischenhimmel, Traurigkeit und Heiterkeit. Da bleibt, abgesehen von der Schlussszene, kein Raum für Pathos oder Sentimentalität. Greta und Julian, die beiden mutigen kleinen Helden, lernen, ohne die Oma glücklich zu sein. Und das hilft sicher auch manchem jungen Leser.
" Weil ich wirklich denke, wenn man sich ein Bild von etwas machen kann, und wenn es nur in der Fantasie ist, ist das Grauen nicht mehr so schlimm. Das Schlimme ist ja immer, wenn man es überhaupt nicht weiß, wenn es so vage ist und verschwommen und man sich keine Vorstellungen machen kann."
Eine Aussage, die genauso gut auf Gabrielle Zevins Jugendbuch "Anderswo" passt. Denn auch hier geht es - die fünfzehnjährige Liz ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen - um den Tod und das Leben danach. Allerdings nicht in einer Übergangsstation wie Omalottes leicht verrücktem "Zwischenhimmel", sondern in jenem fernen Land "Anderswo", in das alle Toten - in Anspielung auf den antiken Mythos - auf einer langen Reise über das Meer gebracht werden.
In diesem "Anderswo" lebt es sich - es ist wirklich von "leben" die Rede - einerseits ganz ähnlich wie in Liz' früherem Leben, andererseits aber wie spiegelverkehrt. Hier gibt es Autos und Straßen, Vorschriften und Behörden wie im wirklichen Leben, aber zugleich sind alle geraden Straßen kurvig, Tiere können sprechen und von einer Aussichtsplattform aus können die lebenden Toten durch eine Art Fernrohr beobachten, was auf der Erde gerade geschieht. Und am wichtigsten ist: - wer in "Anderswo" lebt, kann nicht sterben, sondern wird immer jünger, bis er oder sie als Baby in einer Art neuer Geburt zurückgeschwemmt wird in die Wirklichkeit.
Gabrielle Zevins "Anderswo" vermischt Elemente von modernem Märchen, antikem Mythos und Science-Fiction mit denen des Liebes- und Entwicklungsromans zu einer Geschichte, die an die Bilder surrealistischer Maler erinnert. Realistisch im technischen Detail, präzise in der Entwicklung der Handlung und sensibel in der Zeichnung von Liz' Gedanken und Gefühlen hat die gesamte Konstruktion/Konzeption vom Leben in "Anderswo" doch etwas total Phantastisches. Der Leser erlebt mit dem Mädchen so etwas wie einen luziden Traum, in dem alles ganz klar ist, und zugleich ganz fremd.
Ich bin tot, denkt sie. Dann wiederholt sie die Worte laut, um den Klang zu hören: "Ich bin tot. Tot."
Das Merkwürdige daran ist, dass Liz sich kein bisschen tot fühlt. Immerhin läuft sie weiterhin in ihrem altgewohnten Körper herum, der sich anscheinend überhaupt nicht verändert hat... (Zwar ist sie sich noch nicht sicher, was genau der Tod für sie bereithält, aber eines weiß sie genau: Sie wird ihre Eltern, ihren Bruder und ihre Freunde nie wieder sehen.) Fast fühlt es sich so an, als sei sie selbst die einzige Überlebende und nun Gast bei einem kollektiven Begräbnis für jeden Menschen, den sie gekannt hat.
Trotz Liz' Sehnsucht nach ihrer Familie, ihrer Wut über den Taxifahrer, der sie tötete und trotz ihres Schmerzes darüber, dass sie nun niemals den Führerschein machen, studieren oder heiraten wird, ist "Anderswo" kein deprimierender Roman. Im Gegenteil! Nicht nur, weil Liz sich mit der Zeit auf das neue Leben einstellt und auch noch eine große Liebe erleben darf. Sondern vor allem darum, weil humorvolle Charakterisierungen der Menschen um sie herum, ein frischer Erzählton und schlagfertige Dialoge ihre Trauer abfedern. Erst die Heiterkeit dieses Romans gibt seinem Ernst die Tiefe, und erst der Ernst bringt seine Heiterkeit zum Leuchten.
So ist es nicht verwunderlich, dass der Spannungsbogen in der Mitte des Buches, wo die unkomplizierte Liebesgeschichte im Vordergrund steht, deutlich abflacht, zum Schluss, als Liz' Abschied aus "Anderswo" immer näher rückt, aber wieder ansteigt. Was vor allem in Erinnerung bleibt, ist die Erfahrung des jungen Mädchens, dass manches Leben toter sein kann als der Tod und dass erst das Wissen um den Tod unserem Leben seinen wirklichen Wert gibt. Keine neuen Erkenntnisse für Theologen und Philosophen, aber sicher wichtige Einsichten für Jugendliche. Einsichten, die Mut machen, das in der Pubertät manchmal als sinnlos empfundene eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie ergeben sich wie von selbst aus dieser lebendigen Geschichte über den Tod, in der, wie in manchen großen Komödien, die reale Welt als Traum erscheint und die Traumwelt wirklich wird.
Oh, es gibt so viele Leben. Wie sehr wir uns manchmal wünschen, wir könnten sie alle gleichzeitig besitzen, anstatt immer eines nach dem anderen. .. Aber so funktioniert das Universum nicht. Das menschliche Dasein ist ein kunterbuntes, wundervolles Chaos.
Katja Henkel: Der Himmel soll warten! Bloomsbury Verlag, 144 Seiten, 12,90 Euro
Gabrielle Zevin: Anderswo. Bloomsbury Verlag, 314 Seiten, 15,90 Euro