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Abschied vom Alten

Seit mehr als acht Jahren ist Wolfgang Böhmer Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Ein CDU-Landesoberhaupt, das auch mal in Richtung Berlin schimpft, trotzdem aber eine verlässliche Größe. Diese Größe verabschiedet sich nun aus der Politik. Im März steht sein Nachfolger Reiner Haseloff zur Wahl. Und jeder Dritte in Sachsen Anhalt fragt: Haseloff - wer ist das?

Von Susanne Arlt |
    "Wir wollen Ihnen zu Ehren jetzt ein Lied singen, wir sind ein sehr junger Chor, vom Aussehen nicht mehr ganz so."

    Die zierliche ältere Dame in dem weißen Spitzenkleid und dem weißen Mützchen auf dem Kopf fasst Wolfgang Böhmer vorsichtig am Ellenbogen. Sie will ihn Richtung Kapelle ziehen, fordert ihn zum Tanz auf. Noch ziert sich der Ministerpräsident, zieht unwirsch eine seiner buschigen Augenbrauen in die Höhe.

    Wolfgang Böhmer verschränkt seine Arme hinter dem Rücken, die buschigen Augenbrauen bleiben oben. Seine Körperhaltung demonstriert: Mittanzen mag er nicht. Dann aber hakt sich seine 20 Jahre jüngere Frau bei ihm unter, zieht ihn mit sich, beide fangen im Takt der Musik zu schunkeln an.

    Am Sachsen-Anhalt-Tag, dem Volks- und Heimatfest des Landes, dürfen die Bürger auf Tuchfühlung mit ihrem Ministerpräsidenten gehen. Viele bleiben stehen, machen ein Foto von ihm. Kein Politiker in Sachsen-Anhalt ist so bekannt und so beliebt wie Wolfgang Böhmer.

    "Er hält nicht hinterm Berg, er spricht alles an, das finde ich in Ordnung weil er auch mal Dinge vertritt auch in der Öffentlichkeit, die seinen Parteifreunden nicht unbedingt angenehm sind und ich freue mich immer, wenn er Angelika Merkel über den Mund fährt. Böhmer ist für uns ein richtiger Landesvater. Er symbolisiert tatsächlich das Väterliche, zu ihm kann man aufschauen und ihm glaubt man, dass wir alle seine Landeskinder sind."

    Wolfgang Böhmer, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Klaus Schröder, sei all die Jahre bodenständig geblieben. Befindlichkeiten interessieren ihn herzlich wenig.

    "Er ist die Ausnahme, er ist kein aalglatter, dynamischer Politiker wie manche andere, er ist ein mitunter knorriger Typ, der völlig untypisch ist für einen Politiker gar für einen Ministerpräsidenten. Er scheut sich auch nicht unbequeme Sachen zu sagen, das ist imponierend mitunter."

    Ich leiste mir eben den Luxus einer eigenen Meinung hat er einmal gesagt. In Berlin stöhnen sie darüber regelmäßig. So wie vor der Bundestagswahl. Alle waren sie sich einig. Nur der knorrig-kauzige ältere Herr aus Sachsen-Anhalt war wieder mal anderer Meinung und hielt damit auch nicht hinterm Berg. Er wetterte gegen das Steuersenkungswahlversprechen, fand die Mehrwertsteuer-Privilegien für Hoteliers überflüssig und fordert regelmäßig, die Spitzenverdiener stärker zu belasten. Freunde bei seiner Partei macht man sich anders.

    "Mir liegt daran, meine eigene Glaubwürdigkeit, die im Arztberuf wichtig ist, da lebt man davon. Dass man dies auch als Politiker genauso ernst nimmt, weil davon die Vertrauenswürdigkeit abhängig ist. Und das ist mir schon ein Wert an sich, den ich mir wenigstens nicht selber leichtfertig verspielen möchte."

    So sei er immer schon gewesen, sagen die, die ihn länger kennen. Er gehört nicht zu denen, die permanent etwas zu kritisieren haben, weil es dann gesendet und gedruckt wird. Medien betrachtete er als notwendiges Übel, weil sie das Verkürzte oft absichtlich falsch darstellten. Ehrliche Kritik holt er sich lieber von seinem Volk. Ganz direkt, ganz unprätentiös, ganz Böhmer. Darum trifft man ihn gelegentlich auch in der Wittenberger Kaufhalle beim Einkaufen.

    "Ja da legt meine Frau Wert drauf. Weil sie immer sagt, du musst dir von den Leuten anhören, was sie auf dem Herzen haben. Und ich setze mich gerne den Gesprächen aus und ich habe dann den Vorteil, ich bin nicht auf Meinungsumfragen angewiesen, ich merke, wenn ich in die Kaufhalle komme und die Leute gucken alle weg und wollen mit mir nichts zu tun haben, dass ich dann irgendwie schief liege."

    Meistens liegt er aber richtig. Zumindest sagen das seine Umfragewerte. Seine Parteikollegen scheinen darum noch mehr Angst vor seinem Abgang, als vor seiner Unkonventionalität zu haben. In den Prognosen verliert die CDU Stimmen, die Linke gewinnt dazu. Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der Linken in Sachsen-Anhalt, ist sich sicher: Mit Wolfgang Böhmer verliert die CDU in Sachsen-Anhalt ihren wichtigsten Mann.

    "Das Interessante an Böhmer ist, dass er eigentlich ein politischer Antiheld ist. Er verkörpert nichts von dem, was man sonst von einem Politiker erwartet. Dass er Optimismus ausstrahlt, dass er Dynamik ausstrahlt. Im Endeffekt macht er immer das Gegenteil, das man von einem Politiker erwartet, und dieses Land Sachsen-Anhalt mit seiner sehr komplizierten Binnenstruktur ist genau das richtige Land für so einen Mann, deswegen ist er so unwahrscheinlich populär, weil er genau kein Politiker ist."

    Sein Nachfolger, der CDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloff, wird es schwer haben, in diese Fußstapfen zu treten. Dabei haben die beiden CDU-Politiker manches gemeinsam: Haseloff lebt wie Böhmer in Wittenberg, beide sind bekennende Christen, beide sind politische Quereinsteiger. Der 56-jährige gibt sich zwar genauso bürgernah, tourt seit Wochen durch Sachsen-Anhalt und sucht das direkte Gespräch zu seinen Landsleuten. Zehn Jahre lang leitete er das Arbeitsamt im Landkreis Wittenberg. Mit seiner Idee der Bürgerarbeit ist es dem heutigen Wirtschaftsminister gelungen, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Das Rote-Laterne-Land hat sich zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort gemausert. Aber es wird ihm nachgesagt, dass er seine Ziele manchmal unnachgiebig, ja geradezu verbissen verfolge. Er hat alle wichtigen Zahlen und Fakten des Landes im Kopf. Und das ist sein Problem. Weil er gerne ausführlich jedes Detail analysiert, dauern seine Antworten oft zehn Minuten. Manch Bürger hat da schon längst abgeschaltet. Und so bedauern es bislang noch viele, dass ihr Landesvater Wolfgang Böhmer geht.

    "Nee, ich bedaure es, er ist also ein sehr guter Landesvater, hat schon viel in Bewegung gebracht und mal sehen, was danach kommt."