Renns Roman "Krieg", der 1928 erschien und ein Welterfolg wurde, endet mit der deutschen Kapitulation im November 1918 und der Rückkehr des sächsischen Leibregiments nach Dresden. Damit beginnt auch der Folgeroman "Nachkrieg". "Krieg" wie "Nachkrieg" sind im gleichen Duktus und Rhythmus, das heißt weithin lapidar und rhetorisch nahezu schmucklos erzählt, ganz im zeittypischen Stil der Neuen Sachlichkeit. Stenogrammartig aneinander gereihte Dialoge überwiegen. Zeitungsartikel werden eingestreut. Gleichwohl haben diese zeitgeschichtlichen Romane einen eigenen Sog. Wer die folgenreichen Jahre unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges verstehen will, findet in dieser romanhaften Mischform zwischen Fakten und Fiktion ein aufschlußreiches Dokument.
Renn schildert, wie sich der grübelnd-irritierte, aber unpolitische Vizefeldwebel - aus dessen Perspektive alles erzählt wird - im unübersichtlichen Machtkampf nach der Ausrufung der Republik am 9. November zu orientieren versucht: Auf der einen Seite revolutionäre Arbeiter- und Soldatenräte, die den aus dem Krieg zurückkehrenden Offizieren Waffen abnehmen und Schulterstücke abreißen, auf der anderen Seite ewiggestrige Militärs, die sich in Freikorps neu organisieren und die im Kapp-Putsch der ungeliebten "roten" Republik den Todesstoß versetzen wollen. Renn stellt sich zunächst den Sozialdemokraten als republikanischer Sicherheitskompanie-Führer zur Verfügung. Es gilt die junge Republik zu sichern. Doch dabei beobachtet er, wie das Offizierskorps das Rad der Geschichte zurückdrehen will: zurück zu Monarchie und Kadavergehorsam. Vizefeldwebel Renn quittiert seinen Dienst, nachdem er sich während des Kapp-Putsches geweigert hat, auf streikende Arbeiter zu schießen.
Das Militär ist nicht mehr seine Welt. Mehr und mehr kühlt sich damit auch sein Verhältnis zur Sozialdemokratie ab. Zwar wählt er sie noch in der ersten Wahl zur Weimarer Nationalversammlung. Doch dann wendet er sich ab, enttäuscht von den Kompromissen der Ebert und Scheidemann, die die Säulen des abgelebten Kaiserreichs - Beamtentum und Militär - nahezu unangetastet lassen. Was Feldwebel Renn im Dresdner Landtag an Reden aus dem Munde des SPD-Ministerpräsidenten hört, berührt ihn nicht. Die Härte, mit der Polizeiminister Noske die Spartakisten bekämpft, frustriert ihn.
Der Autor Ludwig Renn hat, als er 1921 seinen Dienst als Polizeihauptmann quittierte, nach einer neuen Lebensperspektive gesucht. In Göttingen und München studierte er Russisch, Jura, Nationalökonomie und Kunstgeschichte. Zu Fuß wanderte er danach durch halb Europa sowie durch die Türkei und durch Ägypten. Schließlich trat er 1928 in die KPD ein, dazu in den "Roten Frontkämpferbund" und in den "Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller". Danach schrieb er "Nachkrieg". Auf dieses Bekenntnis zur Kommunistischen Partei läuft es denn auch am Schluß dieses Romans hinaus. Ludwig Renns "Nachkrieg" ist so auch ein Dokument dafür, wie sich zunächst Gutwillige zu Beginn der Weimarer Republik von der jungen Demokratie abwandten. Arnold Vieth von Golßenau, Sohn eines Mathematikprofessors und Prinzenerziehers am sächsischen Königshof, bezeichnet in "Nachkrieg" die Weimarer Republik sogar als "Dreck".
Dass seine Partei, die KPD, seit Mitte der Zwanziger Jahre stalinisiert wurde, erkennt er nicht. Das demokratische Potential des ersten großen Republikversuchs auf deutschem Boden nimmt er nicht wahr. Gleichwohl: "Krieg" und "Nachkrieg" sind äußerst lesenswerte literarische Zeitdokumente, die den Widerpart bilden zur martialischen Ideologie der Kriegsbücher von Ernst Jünger. Bevor die seit den Irakkriegen wieder um sich greifende Ansicht von der vermeintlichen Unvermeidlichkeit der Kriege weitere Kreise zieht, sei nachdrücklich empfohlen die Lektüre von Renns "Krieg" und "Nachkrieg" sowie des literarisch und intellektuell bedeutenden Antikriegszyklus "Der große Krieg der weißen Männer" von Arnold Zweig.
Ludwig Renn
Nachkrieg
Das Neue Berlin, 256 S., EUR 17,50