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Abschied vom Pazifismus

Der Friedens- und Gedenkpark von Hiroshima symbolisiert den japanischen Pazifismus wie kein anderer Ort im Land. Zur Mahnung an den Abwurf der Atombombe lassen die Besucher die Friedensglocke Hunderte Male am Tag erklingen. Die Friedensflamme soll erst erlöschen, wenn alle Atomwaffen abgeschafft sind.

Von Martin Fritz | 08.07.2006
    Auf einem Mahnmal für die Opfer heißt es: "Ruhet in Frieden, denn wir werden die Fehler nicht wiederholen." Den Geist des Pazifismus atmet auch die japanische Verfassung. Artikel 9 stellt fest, dass das japanische Volk nicht nur auf Krieg schlechthin verzichtet, sondern sogar auf die Fähigkeit zur Kriegsführung. Internationale Streitigkeiten mit militärischer Gewalt auszutragen, ist verboten. Die Armee-Einheiten, die Japan wegen des Kalten Krieges trotz Artikel 9 aufbaute, heißen deshalb "Selbstverteidigungs-Streitkräfte" und dürfen nur kämpfen, nachdem sie angegriffen wurden. Nicht einmal ein eigenes Ministerium für Verteidigung hat der Inselstaat im Fernen Osten, lediglich eine Verteidigungs-Agentur, die dem Premierminister untersteht. Doch diese Ära neigt sich jetzt dem Ende zu: Japan erneuert gerade seinen Sicherheitspakt mit den Vereinigten Staaten, beansprucht eine Führungsrolle in Ostasien und nimmt dafür Abschied vom gewohnten Pazifismus.

    Mitte Juni zeigte die japanische Tagesschau ihren Zuschauern eine militärische Premiere: Das japanische Kriegsschiff "Kirishima" half dem amerikanischen Zerstörer "Shiloh" dabei, über dem Pazifik den Sprengkopf einer Rakete abzuschießen, die in Hawaii gestartet wurde. Die Kirishima verfolgte das Geschoss mit ihrem Radar, die Shiloh zerstörte es mit einer SM-3-Abwehrrakete. Beide Schiffe benutzten dabei das Aegis-System, das elektronische Warn- und Feuerleitsystem der US-Marine. Es war das erste Mal, dass sich ein japanisches Kriegsschiff an einem Test für das neue Raketenabwehrsystem der USA beteiligte. Der Grund: Der amerikanische Raketen-Schutzschild soll sich auch über Japan ausdehnen. Daher werden die japanischen Aegis-Zerstörer, die bisher nur Radarelektronik besitzen, ab März 2008 mit SM-3-Abwehrraketen ausgerüstet, als erste Schiffe außerhalb der US-Flotte.

    Die grelle Explosion im nächtlichen Pazifikhimmel beim Abschuss der Rakete zeigte der japanischen Nation zuhause vor den Bildschirmen, wie eng das japanische und amerikanische Militär inzwischen zusammenarbeiten. Die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten war schon immer das Rückgrat der japanischen Sicherheitspolitik. Aber mit Blick auf neue Herausforderungen wird sie derzeit umfassend ausgebaut. Der Sprecher der japanischen Verteidigungs-Agentur, Mamoru Koutaki, erklärt:

    "Das Bündnis mit den USA muss sich der jeweiligen Sicherheitslage anpassen. Wir hatten den 11. September, Terroristen haben Massenvernichtungswaffen, es gibt Cyberterrorismus. Für neue Gefahren sind neue Gegenmaßnahmen notwendig."

    Ohne viel Rücksicht auf die pazifistische Verfassung hat Japan die USA schon während der letzten Jahre im Anti-Terror-Kampf unterstützt. Ein Sondergesetz ermöglichte es der japanischen Marine, die US-Flotte im Indischen Ozean während ihrer Angriffe auf Afghanistan im Herbst 2001 mit Treibstoff zu versorgen. Ein Sondergesetz zum Wiederaufbau des Irak erlaubte den Einsatz japanischer Truppen in der südirakischen Stadt Samawah. Mit Hilfe eines weiteren Gesetzes, das die regierenden Liberaldemokraten bereits vorlegten, sollen japanische Soldaten künftig ohne Beschränkungen Sicherheitsoperationen im Ausland unternehmen dürfen.

    Das neue Sicherheits-Abkommen zwischen Japan und den USA, das der japanische Premierminister Koizumi und der amerikanische Präsident Bush vergangene Woche bei ihrem Gipfel in Washington besiegelten, vertieft die Partnerschaft noch um einiges. Bisher habe die Zusammenarbeit der beiden Länder "nur der Verteidigung Japans und potenziell der Stabilität in der Region" gedient, so kommentierte US-Außenministerin Condoleezza Rice die Vereinbarung vor wenigen Monaten, jetzt übernehme sie die "Funktion einer globalen Allianz".

    Schon Anfang dieses Jahres übten japanische Heeres-Soldaten und amerikanische Marine-Infanteristen an der Küste nahe San Diego in Kalifornien erstmals eine gemeinsame Landeoperation. In der neuen Allianz sollen die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte sich "in Richtung gemeinsamer operativer Streitkräfte" weiterentwickeln. Das heutige Hauptquartier der US-Armee in Japan, Camp Zama, wird künftig als Zentrale eines gemeinsamen Expeditionskorps dienen, das auch außerhalb Japans zum Einsatz kommen soll.

    Die beiden Länder entwickeln gemeinsam die Technik für den Raketenschild und wollen die Abwehrraketen auch gemeinsam bauen. Vor allem für die gemeinsame Raketenabwehr werden der amerikanische und der japanische Kommando-Leitstand für die Luftverteidigung von Japan in der US-Luftwaffenbasis Yokota im Nordwesten von Tokio zusammengelegt. Vor diesem Hintergrund meinen japanische Kritiker, Japan werde zum amerikanischen Hilfspolizisten in Asien und sein Territorium zu einer Militärbasis zur Verteidigung der USA. Gegen diesen Vorwurf wehrt sich der Sprecher der Verteidigungs-Agentur, Koutaki:

    "Wir lehnen diese Kritik, dass Japan den USA in der Sicherheitspolitik untergeordnet ist, ab. Unsere Selbstverteidigungs-Streitkräfte werden politisch kontrolliert und sind nicht in die Sicherheitspolitik der USA eingegliedert."

    Die als "historisch" bezeichnete neue Übereinkunft zwischen Tokio und Washington schmieden Japaner und Amerikaner nicht nur für den Anti-Terror-Kampf, sondern auch mit Blick auf die Verhältnisse in Asien. Die Herausforderung durch China - sein wirtschaftlicher Aufstieg, seine militärische Aufrüstung, sein anti-demokratisches Regierungssystem - ist besonders komplex. Im jüngsten Verteidigungsprogramm von Japan wird China zusammen mit Nordkorea als "vorrangiges Sicherheitsproblem" bezeichnet. Und der japanische Außenminister Taro Aso nannte im Dezember China eine "beträchtliche Bedrohung", im Juni ein "Land, in dem das Militär an erster Stelle steht". Solche Worte sind auch vor dem Hintergrund von mehreren territorialen Streitigkeiten etwa um rohstoffreiche Inseln zwischen Tokio und Peking zu sehen. Der Außenpolitik-Experte Hisahiko Okazaki spricht die Eindämmung von China offen an:

    "Die wichtigste Frage des 21. Jahrhunderts ist der Aufstieg von China und die Bedrohung durch seine Militärmacht. Der Frieden in Ostasien wird nur bewahrt, wenn es zu einem Machtgleichgewicht zwischen China auf der einen und der japanisch-amerikanischen Allianz auf der anderen Seite kommt. Ist diese Allianz stark, ist das Gleichgewicht die nächsten zehn, zwanzig Jahre nicht gefährdet. Ist sie schwach, wird es ziemlich bald zusammenbrechen."

    Auch die Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel machen Tokio Sorgen. Die Serie von nordkoreanischen Raketentests in dieser Woche unterstrich aus japanischer Sicht die Notwendigkeit für das Bündnis mit Amerika. In Südkorea entwickelt sich unter jüngeren Generationen ein neuer Anti-Amerikanismus. Mittelfristig muss Japan ein wiedervereinigtes Gesamtkorea vor seiner Haustür fürchten, das sich mehr an China orientieren könnte. Solche strategischen Überlegungen lassen immer mehr Grundpfeiler des japanischen Pazifismus wie Domino-Steine umkippen. Seit der Verabschiedung von Notstandsgesetzen im Frühjahr 2003 hat die Regierung im Falle eines Angriffs neuerdings weitreichende Verfügungsgewalt. Die Soldaten können sich frei bewegen und ziviles Eigentum benutzen, während früher jede Gemeinde zustimmen musste. Seit dem Irakeinsatz gilt Artikel 9 als überholt, eine Verfassungsreform dürfte bis zum Ende dieses Jahrzehnts aus der Selbstverteidigungs-Armee ganz normale "Streitkräfte" machen. So sieht es jedenfalls ein Reformvorschlag der Regierung Koizumi vom Herbst letzten Jahres vor. Vor wenigen Wochen hat das Kabinett auch einen Gesetzentwurf verabschiedet, wonach die Verteidigungsagentur in ein vollwertiges Ministerium umgewandelt wird. Aller Voraussicht nach wird das Parlament schon im Herbst zustimmen. Auch das bisherige Atomtabu wird Japan brechen: Ein nukleargetriebener US-Flugzeugträger soll voraussichtlich ab dem Jahr 2008 dauerhaft in Japan Anker werfen.

    Während Kritiker diese Entwicklungen als Verfassungsbruch sehen, spricht der frühere Diplomat Okazaki nüchtern von der Rückkehr zum Normalzustand:

    "Eine Nation sollte bewaffnet sein, sollte das Recht auf Selbstverteidigung haben und sich seine Verbündeten selbst aussuchen dürfen. Wenn ein amerikanisches Kriegsschiff von Nordkorea angegriffen wird, darf die japanische Marine derzeit nicht helfen, solange sie nicht selbst von einer Kugel getroffen wird. Das ist doch seltsam, oder nicht?"

    Eine völlig "normale" Militärmacht kann Tokio allerdings kaum werden. Auch nach einer Normalisierung bleiben die japanischen Möglichkeiten für einen Militäreinsatz im Ausland beschränkt, unter anderem wegen seiner Taten als Aggressor im Zweiten Weltkrieg. China blockiert eine dauerhafte Mitgliedschaft von Japan im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und steht auch der von Japan vorgeschlagenen ostasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Vorbild der Pariser OECD im Weg.

    Der beste Weg für Japan, um auf der internationalen Bühne wieder eine vollwertige Rolle zu spielen, ist deshalb, das Verteidigungsbündnis mit den Vereinigten Staaten zu vertiefen. Den eigentlichen Preis für diese Allianz zahlen allerdings die Bewohner von Okinawa, der südlichsten unter den größeren Inseln des japanischen Archipels. Okinawa ist nur 100 Kilometer lang und 15 Kilometer breit und macht nur ein halbes Prozent der gesamten Landesfläche aus, trotzdem sind hier von der Fläche her drei Viertel der amerikanischen Militärbasen angesiedelt.

    Ein amerikanischer Luftwaffenstützpunkt mit einer Fläche von 4800 Hektar liegt mitten in der Großstadt Futenma von 80.000 Einwohnern. Im Sommer vor zwei Jahren stürzte ein schwerer Transport-Hubschrauber mitten auf das Gelände der Internationalen Universität Okinawa ins Stadtgebiet. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt oder getötet. Doch zur Mahnung sind die Brandstellen der Explosion und andere Schäden bis heute an den Gebäuden zu sehen. Die Bewohner von Futenma haben Angst davor, dass sich ein solches Unglück jederzeit wiederholen könnte. Der Aktivist und frühere Abgeordnete Chuji Chinen erklärt:

    "Die Bürger von Futenma sind der Meinung, dass der amerikanische Stützpunkt sofort geschlossen werden muss. Jeden Moment kann ein Flugzeug auf uns abstürzen, selbst hier im Rathaus."

    Die Belastung ist so unzumutbar, dass auch die japanische Regierung die Notwendigkeit zu handeln längst eingesehen hat. Die Verhandlungen mit den Amerikanern über den neuen Sicherheitspakt boten Tokio die Chance, die militärische Belastung von Okinawa endlich zu verringern. Das Ergebnis: Nach dem Jahr 2014 sollen rund 8.000 US-Soldaten mit 9.000 Angehörigen von Okinawa auf die amerikanische Pazifikinsel Guam umziehen. Und die Luftwaffenbasis Futenma soll in den Norden von Okinawa verlegt werden. Im bereits bestehenden Camp Schwab soll eine zusätzliche V-förmige Start- und Landebahn entstehen. Zwar würde Okinawa dabei 1.500 Hektar Land gewinnen, immerhin knapp zehn Prozent der vom US-Militär in Japan benutzten Fläche. Aber Umfragen zufolge lehnt eine Mehrheit der Bürger von Okinawa diese Lösung ab. Der Aktivist Chinen meint:

    "Natürlich möchte ich, dass die Basis in Futenma so schnell wie möglich verschwindet. Aber der jetzige Plan bedeutet, dass die Bewohner von Nago demnächst das gleiche erleiden müssen wie wir. Dort gibt es schöne Wälder, im Meer leben seltene Seekühe, die Dugong, das Gebiet gehört zu unserer Heimat. Keiner von uns wünscht, dass die Basis dorthin verlegt wird."

    In Sichtweite von Camp Schwab herrscht nostalgische Protestatmosphäre. In einem Zelt am Strand von Henoko, wo das Camp Schwab liegt, versammelt sich jeden Tag der harte Kern einer Bewegung, die gegen den Ausbau der US-Militärbasis ist. Die Menschen fürchten eine dramatische Zunahme von Fluglärm und mögliche Unfälle mit Flugzeugen der amerikanischen Luftwaffe. Ein kleiner Mann mit grauen Haaren stimmt auf seiner altmodischen Gitarre Lieder gegen den Krieg an, einige Ältere stimmen ein. Die kleine Protestgemeinde am Strand täuscht leicht über das wahre Ausmaß der Gegenbewegung hinweg. Zu einer Kette um die Anlage herum kamen im letzten Jahr mehr als 20.000 Menschen. Ein historisches Trauma verstärkt den Willen zum Widerstand. Tomita Shin, ein pensionierter Busfahrer, meint verbittert:

    "Okinawa war das einzige Stück japanisches Land, auf dem Amerikaner und Japaner gekämpft haben. Jeder von uns hat in seiner Familie mindestens ein oder zwei Opfer zu beklagen. Wir werden nicht aufgeben, bis die Amerikaner unser Land zurückgeben."

    Die Kriegserinnerungen der älteren Menschen auf Okinawa haben wesentlich dazu beigetragen, dass sie das Militär ablehnen und keine Stützpunkte auf der Insel haben wollen. Der Protest gegen die Amerikaner erreichte zuletzt 1995 einen Höhepunkt. Nachdem US-Soldaten ein japanisches Schulmädchen vergewaltigt hatten, demonstrierten 85.000 Menschen gegen die Stützpunkte. So viele Demonstranten lassen sich zwar heute nicht mehr mobilisieren. Aber die Regierung in Tokio muss damit rechnen, dass sich die Verlegung trotzdem politisch nicht durchsetzen lässt, denn es zeichnet sich bereits ein politischer Stimmungswechsel auf der Insel ab. Tomohiro Yara, der Militärexperte der Zeitung Okinawa Times, meint:

    "Wenn bei der Gouverneurwahl im November jemand gewinnt, der gegen die Verlegung des Luftwaffenstützpunktes ist, dann wird deren Verwirklichung sehr schwierig. Wenn die Amerikaner die neue Landebahn teilweise ins Meer bauen werden, wie es bisher vorgesehen ist, dann brauchen sie dafür eine Genehmigung vom Gouverneur. Als Gegner der Verlegung wird er nicht unterschreiben. Dann müsste das Parlament in Tokio nationale Gesetze ändern."

    Doch die Nationalregierung hat ihre eigenen Methoden, den Widerstand von Okinawa zu überwinden. Das Zauberwort heißt "Subventionen". So besuchte Verteidigungsminister Fukushiro Nukaga die Stadt Nago und traf Anwohner der amerikanischen Basis Camp Schwab. Nukaga versprach, die Stadt so "zu verwandeln, dass jede andere Stadt auf sie eifersüchtig wird". Sein Sprecher Koutaki erläutert:

    "Japan hat einen Riesenvorteil durch die amerikanischen Militärbasen, aber die Bewohner in Okinawa haben großen Schaden. Deshalb übernehmen wir die Kosten, damit die Leute vor Ort besser gedeihen und Glück erleben können."

    Solches "Glück" erleben die Bewohner von Nago zum Beispiel in Gestalt einer nagelneuen Fachhochschule für Technologie, zwei Anlagen mit Bürogebäuden sowie einem riesigen Sportzentrum, alles teilweise oder komplett mit Steuergeld finanziert. Allein die Fachhochschule hat rund zehn Millionen Euro gekostet. Mit solchen massiven Geschenken brachte Tokio schon immer die Stimmen der Menschen in Okinawa zum Verstummen.

    Doch die Menschen auf der Insel lassen sich auf diese Weise immer weniger überzeugen. An den "Geschenken" müssen sich Städte und Gemeinden zu zehn Prozent beteiligen, dazu kommen hohe Wartungs- und Erhaltungskosten. Ungeklärt ist auch die Frage, wer den Abriss der amerikanischen Basis in Futenma und die Weiterentwicklung der Stadt bezahlen soll. Die Bürger in Okinawa stellen inzwischen selbst die offizielle Begründung für die Truppenstationierung in Frage, auf diese Weise würde Japan geschützt. So liegen die Schiffe für den Transport der Marine-Soldaten im Hafen Sasebo nördlich von Nagasaki, etwa 700 Kilometer entfernt, weil Okinawa keine Naturhäfen hat. Diese Schiffe können zudem maximal zwei- bis dreitausend Soldaten aufnehmen. Vermutlich mehr als die Hälfte der auf Okinawa stationierten Marine-Soldaten kämpft derzeit ohnehin im Irak. Wie viele Menschen auf Okinawa fragt sich deshalb der Journalist Yara:

    "Das ist doch ein Widerspruch: Auf diese Weise kann Japan doch nicht von den USA geschützt werden. Deshalb sollten wir fragen: Warum müssen diese Soldaten überhaupt in Japan sein?"

    Doch diese Frage stellt sich in Tokio niemand mehr. Die Stationierung der Truppen wird hier ebenso wenig hinterfragt wie die Allianz mit den Vereinigten Staaten. Auch gegen den schleichenden Abschied vom Pazifismus regt sich im ganzen Land so gut wie kein Widerstand. Dagegen reagiert das Ausland alarmiert. Es wittert eine mögliche Rückkehr Japans zu einem aggressiven Nationalismus wie in den 30er und 40er Jahren. Diese Beobachter registrieren mit Sorge, dass Patriotismus wieder ein generelles Erziehungsziel wird und dass Lehrer dafür bestraft werden, wenn sie die Nationalhymne nicht mitsingen. Doch der frühere Diplomat Okazaki sieht darin nur eine Gegenreaktion zu sechzig Jahren pazifistischem Denken.

    "Es gibt in Japan jetzt eine allgemeine Atmosphäre des Nationalismus. Aber er ist harmlos. Wir werden nicht wieder die koreanische Halbinsel erobern oder China angreifen. Dieser Nationalismus ist nur Stimmung, eine Haltung. Es gibt kein plausibles Szenario, dass wir zu einer aggressiven Militärpolitik zurückkehren. Wovor haben Sie also Angst?"