Es war bei einer wissenschaftlichen Konferenz im November 2009 in Warschau, als Marina Kalaschnikowa und ihren Mann Viktor plötzlich Schwindel und Übelkeit befielen. "Abnorme Blutwerte" diagnostizierten die polnischen Ärzte vage und rieten zu weiteren Untersuchungen in einer westlichen Spezialklinik. Das Ehepaar wandte sich an das Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, wo man eine erhöhte Konzentration von Polonium 210 im Blut feststellte. Marina und ihr Mann kehrten in ihre Heimatstadt Moskau zurück, doch die Symptome wurden immer stärker. Nach einer Odyssee durch Polen, Estland und die Ukraine ließen sie sich im September dieses Jahres in der Berliner Charité untersuchen. Dort wurde eine hohe Dosis von Quecksilber im Blut nachgewiesen, sowie ein perfides Gebräu verschiedener Substanzen. Die Ärzte teilten das dem Landeskriminalamt mit. Die Ermittler des LKA unterzogen das Ehepaar einer Befragung und eröffneten ein Verfahren gegen Unbekannt wegen "gefährlicher Körperverletzung durch Vergiftung".
"Die Ärzte im Bundeswehrkrankenhaus haben unseren Fall als selten, ja einzigartig charakterisiert – und zwar sowohl hinsichtlich der möglichen Motive als auch der angewandten Mittel. Das alles kann kein Zufall sein. Hier sind nicht irgendwelche jugendlichen Banditen oder die Mafia im Einsatz. Eine derartige Vergiftung kann nur unter Zuhilfenahme von administrativen Ressourcen geleistet werden.
Dabei wird das Prinzip der binären Waffe verwendet: Es werden vergleichsweise harmlose Substanzen in vergleichsweise harmlosen Dosierungen angewandt. Doch wenn sie gemeinsam im Organismus wirken, rufen sie dort eine explosive Wirkung hervor. Die dominierende vergiftende Substanz ist organisches Quecksilber. Es wirkt vor allem auf das Gehirn und zerstört die Fähigkeit zu denken und sich zu konzentrieren – das heißt es zerstört die geistigen Voraussetzungen für die Arbeit eines Journalisten. Wir befinden uns im Zentrum einer chemischen Attacke. Dies kann man als einen Terror-Akt qualifizieren."
Viktor Kalaschnikow, die Hauptzielscheibe des Giftanschlags, war einst ein hochrangiger Geheimnisträger der UdSSR. Der heute 58Jährige gehörte als Oberst des Geheimdienstes KGB der Eliteabteilung für Auslandsspionage an. Auf dem Moskauer Schreibtisch des Militär-Analytikers landeten heimlich kopierte Dokumente und Abhörprotokolle der Nato; er war informiert über die eigentlich geheimen Gedanken westlicher Top-Politiker und Bundeswehrgenerälen. In den Zeiten des Mauerfalls und der mitteleuropäischen Revolutionen saß er in Brüssel und Wien und studierte Stasi-Akten und Informationen über Westspione, die in Moskaus Auftrag tätig waren.
1992 quittierte er den Dienst. "Mit deinem Blut", drohte man ihm damals, "wirst du für deine Illoyalität bezahlen."
"Die russischen Geheimdienste verhalten sich äußerst feindlich gegenüber denen, die aus eigenem Entschluss ausgeschieden sind. Es gilt als eine Verletzung aller Regeln, der Tradition des Korpsgeistes und als schlechtes Beispiel für die neue Generation der Tschekisten. Erschwerend kommt hinzu, dass ich in den letzten Jahren als Journalist kritische Artikel veröffentlicht habe. Das hat sie sehr verstimmt."
Nach seinem Ausscheiden aus dem Geheimdienst war Viktor Kalaschnikow als Forschungsdirektor im Präsidialamt von Jelzin tätig. Später arbeitete er für Ölfirmen. In den letzten Jahren widmeten er und seine Frau Marina sich brisanten publizistischen Themen: Sie schrieben über das Wiederaufleben der alten Geheimdienststrukturen in Putins "Neuem Russland" oder kritisierten die wachsende militärische Bedrohung durch die Machtpolitik des Kremls, insbesondere für die baltischen Staaten.
Nun ist das Ehepaar genötigt, eine Zwangspause einzulegen. Beide haben an Gewicht verloren – und Marina zudem auch noch einen Teil ihrer roten Haarpracht. Hautekzeme, Schlaf- und Sehstörungen, ein verrückt spielender Blutdruck, Übelkeit und Stimmungsschwankungen bestimmen nun ihren Alltag in der Fremde.
"Ich fühle mich sehr schlecht. Eine Dekontamination unserer verseuchten Wohnung in Moskau wurde uns verweigert. Bislang hat man uns weder in Russland noch in Deutschland behandelt. Wir sind wie Versuchskaninchen. Wir nehmen zwar Medikamente. Aber Antigift-Therapien müssen unter Beobachtung, stationär durchgeführt werden. Wir brauchen Heilung."
Irina Kalaschnikowa ist ängstlich und gereizt. Sie drängt auf eine zügigere Behandlung und mutmaßt sogar, dass man sie ihr verweigert, weil politische Stellen Druck auf die Ärzte ausüben könnten. Ihr Mann sieht das gelassener. Im Gegensatz zu seiner Frau ist er überzeugt, dass er auf dem Weg der Besserung ist. Seit drei Monaten kontaktieren sie in Berlin führende Toxikologen und warten nun auf eine zweite medizinische Analyse – und die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen. Mit ihrem unsteten Leben in wechselnden Hotelzimmern haben sich sie erst mal abgefunden. Verstecken wollen sie sich jedenfalls nicht; im Gegenteil:
"Wir wollen unsere journalistische Tätigkeit in Russland und in Zentraleuropa fortsetzen. Und wir hoffen auf Resultate, damit wir uns im Anschluss weiterhin unserer Arbeit widmen können."
"Die Ärzte im Bundeswehrkrankenhaus haben unseren Fall als selten, ja einzigartig charakterisiert – und zwar sowohl hinsichtlich der möglichen Motive als auch der angewandten Mittel. Das alles kann kein Zufall sein. Hier sind nicht irgendwelche jugendlichen Banditen oder die Mafia im Einsatz. Eine derartige Vergiftung kann nur unter Zuhilfenahme von administrativen Ressourcen geleistet werden.
Dabei wird das Prinzip der binären Waffe verwendet: Es werden vergleichsweise harmlose Substanzen in vergleichsweise harmlosen Dosierungen angewandt. Doch wenn sie gemeinsam im Organismus wirken, rufen sie dort eine explosive Wirkung hervor. Die dominierende vergiftende Substanz ist organisches Quecksilber. Es wirkt vor allem auf das Gehirn und zerstört die Fähigkeit zu denken und sich zu konzentrieren – das heißt es zerstört die geistigen Voraussetzungen für die Arbeit eines Journalisten. Wir befinden uns im Zentrum einer chemischen Attacke. Dies kann man als einen Terror-Akt qualifizieren."
Viktor Kalaschnikow, die Hauptzielscheibe des Giftanschlags, war einst ein hochrangiger Geheimnisträger der UdSSR. Der heute 58Jährige gehörte als Oberst des Geheimdienstes KGB der Eliteabteilung für Auslandsspionage an. Auf dem Moskauer Schreibtisch des Militär-Analytikers landeten heimlich kopierte Dokumente und Abhörprotokolle der Nato; er war informiert über die eigentlich geheimen Gedanken westlicher Top-Politiker und Bundeswehrgenerälen. In den Zeiten des Mauerfalls und der mitteleuropäischen Revolutionen saß er in Brüssel und Wien und studierte Stasi-Akten und Informationen über Westspione, die in Moskaus Auftrag tätig waren.
1992 quittierte er den Dienst. "Mit deinem Blut", drohte man ihm damals, "wirst du für deine Illoyalität bezahlen."
"Die russischen Geheimdienste verhalten sich äußerst feindlich gegenüber denen, die aus eigenem Entschluss ausgeschieden sind. Es gilt als eine Verletzung aller Regeln, der Tradition des Korpsgeistes und als schlechtes Beispiel für die neue Generation der Tschekisten. Erschwerend kommt hinzu, dass ich in den letzten Jahren als Journalist kritische Artikel veröffentlicht habe. Das hat sie sehr verstimmt."
Nach seinem Ausscheiden aus dem Geheimdienst war Viktor Kalaschnikow als Forschungsdirektor im Präsidialamt von Jelzin tätig. Später arbeitete er für Ölfirmen. In den letzten Jahren widmeten er und seine Frau Marina sich brisanten publizistischen Themen: Sie schrieben über das Wiederaufleben der alten Geheimdienststrukturen in Putins "Neuem Russland" oder kritisierten die wachsende militärische Bedrohung durch die Machtpolitik des Kremls, insbesondere für die baltischen Staaten.
Nun ist das Ehepaar genötigt, eine Zwangspause einzulegen. Beide haben an Gewicht verloren – und Marina zudem auch noch einen Teil ihrer roten Haarpracht. Hautekzeme, Schlaf- und Sehstörungen, ein verrückt spielender Blutdruck, Übelkeit und Stimmungsschwankungen bestimmen nun ihren Alltag in der Fremde.
"Ich fühle mich sehr schlecht. Eine Dekontamination unserer verseuchten Wohnung in Moskau wurde uns verweigert. Bislang hat man uns weder in Russland noch in Deutschland behandelt. Wir sind wie Versuchskaninchen. Wir nehmen zwar Medikamente. Aber Antigift-Therapien müssen unter Beobachtung, stationär durchgeführt werden. Wir brauchen Heilung."
Irina Kalaschnikowa ist ängstlich und gereizt. Sie drängt auf eine zügigere Behandlung und mutmaßt sogar, dass man sie ihr verweigert, weil politische Stellen Druck auf die Ärzte ausüben könnten. Ihr Mann sieht das gelassener. Im Gegensatz zu seiner Frau ist er überzeugt, dass er auf dem Weg der Besserung ist. Seit drei Monaten kontaktieren sie in Berlin führende Toxikologen und warten nun auf eine zweite medizinische Analyse – und die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen. Mit ihrem unsteten Leben in wechselnden Hotelzimmern haben sich sie erst mal abgefunden. Verstecken wollen sie sich jedenfalls nicht; im Gegenteil:
"Wir wollen unsere journalistische Tätigkeit in Russland und in Zentraleuropa fortsetzen. Und wir hoffen auf Resultate, damit wir uns im Anschluss weiterhin unserer Arbeit widmen können."