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Absonderliche Adressen

Sie heißen Wellenlängen-Straße, Goldmünzen- oder Reichstaler-Straße. Seit Göteborg einen Namensrat hat, sind herkömmliche, mitunter langweile Straßenbezeichnungen in der schwedischen Stadt passé.

Von Christiane Schiemann |
    Der "Frühjahrswetter-Markt" liegt im "Bischofshof". Ein langgezogener Platz mit Geschäften darum herum, wie man sie in vielen Stadtteilen außerhalb der Göteborger Innenstadt findet. Eine Supermarktkette ist vertreten, ein Fleischer, eine Kleiderboutique, Friseur, Bibliothek, Zahnarzt und Gemüsehändler - das wichtigste auf einem Fleck. An einer Stirnseite liegt die Straßenbahn-Haltestelle, an der anderen die kleine evangelische Kirche.

    Bögen von gleichförmigen, rot verklinkerten Mehrfamilienhäusern schließen sich an. Der Spielplatz der Vorschule an der "Kleinen Frühjahrswetter-Straße" ist bunt, gepflegt - und hoch eingezäunt. Gegenüber stehen zehnstöckige Hochhäuser.

    Der größte Spielplatz des Stadtteils liegt dort, wo sich das "Frühjahrswetter" mit "Sturmwetter", "Schneewetter" und "Bildwetter" in einem Straßenkreisel trifft. Viel Grün, viele Birken, viele Parkbänke - und doch ist kaum jemand draußen. Das Wetter ist trostlos: grauer Himmel, kalt und feucht.

    "Biskopsgarden liegt sehr dem Wetter ausgesetzt. Nicht weit weg vom Meer, da bläst der Wind kräftig. Warum also nicht Wetternamen nehmen für da draußen? So kam es dann auch. Deswegen all die "Wolkenstraßen" und so weiter."

    Tommie Vester ist Sekretär des Göteborger "Namensrates" - einem politischen Organ, das für die Benennung von Straßen, Plätzen, Brücken und auch Haltestellen in Göteborg zuständig ist. Blumen, Dichter und Städtenamen sind dank der Arbeit dieses Rates völlig aus der Mode gekommen. Natürlich gibt es in Göteborg auch eine Poststraße und ein Königsviertel. In der Altstadt zeugen all die Nord-, Süd-, Ost- und West-Hafenstraßen von der historischen Bedeutung der Innenstadt-Kanäle, die bis Ende des 19. Jahrhunderts auch von kleinen Schiffen und Booten befahren wurden. Doch "kleine" und "große Friedensstraßen" oder unbekannte Personen will Tommie Vester eigentlich nicht mehr auf Straßenschilder schreiben lassen. Die neueren Göteborger Straßenzüge sind viel fantasievoller benannt.

    "Als Göteborg gewaltig vergrößert wurde, seit den 50ern bis in die 70er, und die neuen großen Stadtteile gebaut wurden, brauchte man viele neue Namen. Es gab keine lokalen Verankerungen. Also hat man Kategorie-Namen erfinden müssen, wie wir das nennen."

    Edelsteine-, Kräuter-, Forschernamen sind vergeben - ein kleiner Weg heißt sogar nach einem Polizeipferd. Praktisch sollen die Namen sein, und wenn schon nicht kurz, dann wenigstens: einprägsam.

    "Zum Beispiel Järnbrott. Da draußen gab es früher einmal einen Kurzwellensender. Mit hohen Masten, die wie eine Art Landmarke vor der Stadt standen. Da lag es auf der Hand, Funkbegriffe zu wählen, als dort gebaut wurde."

    Nördlich der Wildnis um die Masten herum verläuft von West nach Ost der "Radio-Weg", eine große Ausfallstraße. Die Wohngegend von Järnbrott liegt wiederum nördlich davon: mit den Kurzwellen-, Mittel- und Langwellenstraßen, der Marconi-Straße, sogar der "Wellenlängen-" und der "Knister-Straße". Nicht weit entfernt sind das Musikviertel und das Münzviertel - mit so klingenden Namen wie der "Goldmünzen-Straße" oder der "Reichstaler-Straße".

    "Ein guter Name soll eine lokale Bedeutung haben. Ist es ein Personenname, dann muss die Person bekannt sein. Der Name muss leicht zu sprechen sein, er soll kurz und klar sein. Auch Kinder sollen sagen können, dass sie im "Musikweg" wohnen. Die Namen müssen deutlich und unverwechselbar sein."

    "Rettungsdienste zum Beispiel fahren oft mit GPS-Navigation. Da reicht es schon, einen Buchstaben falsch zu tippen, und man kommt am einen Ende der Stadt heraus, während am anderen Ende jemand mit einer Gehirnblutung daliegt."

    Einmal im Monat trifft sich Tommie Vester mit städtischen Politikern und bespricht Benennungs- oder Umbenennungsgesuche. Kulturbeauftragte und Politiker müssen zustimmen, damit eine Straße getauft werden darf. Anregungen bekommt Vester zum Beispiel von den Kontaktpersonen, die er noch aus seiner früheren Arbeit beim Göteborger Stadtmuseum kennt.

    "Ich finde die Namen nicht selbst, sondern: Wenn zum Beispiel eine Straße einen alten landwirtschaftlichen Namen bekommen soll, dann frage ich, sagen wir, bei den Heimatvereinen nach. Ob die einen Vorschlag haben. Jedes Mal, wenn ich selbst einen Namen vorlege, schütteln alle anderen den Kopf. Man sucht gemeinsam mit dem Netzwerk."

    Heutzutage beschäftigen den Göteborger "Namensrat" vor allem kleine Straßen und Haltestellen. Große Neubaugebiete entstehen derzeit nicht: Es sind ruhige Zeiten für den Göteborger "Namensrat" - mildes Wetter.