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Abstand halten

Die vorpommerschen Boddengewässer sind für Zugvögel ein unverzichtbares Rastgebiet. Für Wassersportler und Angler heißt es deshalb in den Herbstmonaten: Rückzug aus den besonders sensiblen Bereichen.

Von Lenore Lötsch | 11.09.2006
    Hans-Wolfgang Weinert ist ein Mann, an dem man nicht so schnell vorbei kommt. Kein smarter Traumschiffkapitän, sondern einer, dem man den Seebären abnimmt. Der ehemalige Hafenkapitän von Stralsund ist heute Vorsitzender des größten Stralsunder Wassersportvereins. In der letzten Zeit ist seine Autorität besonders gefragt, denn er muss bei seinen Mitstreitern einige Überzeugungsarbeit leisten:

    "Guten Tag! Wir informieren hier über die freiwillige Vereinbarung."

    Diese freiwillige Vereinbarung, die in den letzten drei Jahren mühevoll erarbeitet wurde, regelt das Befahren der Wasserflächen in den besonders beliebten Bereichen Strelasund und Greifswalder Bodden. Einschränkungen nicht nur für Sommergäste sind dabei unvermeidlich, weiß Hans-Wolfgang Weinert:

    "Ja, die einheimischen Segler und Motorbootfahrer und Angler haben ja so ihre speziellen Plätzchen, wo sie seit 100 Jahren hingefahren sind, obwohl sie erst 50 sind. Worauf ich immer Wert gelegt habe, ist, dass nicht die Anlieger irgendwelche Vergünstigungen bekommen. Das versteht keiner, wenn er zu uns kommt, dann muss er auch dahin fahren, wo wir hinfahren."

    In den Marinas an der vorpommerschen Ostsee liegen in den Sommermonaten kleine Jollen neben hochseetauglichen High-Tech-Yachten und Angelkähne neben historischen Drei-Mast-Seglern. Die Naturschützerin Cathrin Münster hat die Entwicklung der letzten Jahre beobachtet:

    "Der Wassersport hat nach der Wende hier sehr stark zugenommen: viele interessante Ankermöglichkeiten, viele schöne Häfen. Der Greifswalder Bodden ist das Angelrevier an der deutschen Ostseeküste."

    Doch spätestens seit der Greifswalder Bodden und der Strelasund zum Europäischen Schutzgebiet Natura 2000 gehören, bestand Handlungsbedarf. Die Umweltschutzorganisation WWF startete eine Initiative, um alle Betroffenen an einen Tisch zu holen. Cathrin Münster vom WWF erinnert sich noch gut an den Gegenwind vor drei Jahren:

    "Als wir damit angefangen haben, haben wirklich viele, gerade von Behördenseite gesagt: Ihr habt doch den totalen Vogel. Ihr glaubt doch nicht, dass ihr mit Anglern und Wassersportlern Naturschutz machen könnt. Das geht doch gar nicht.

    Und wir wollen das allen beweisen. Naturschutz ohne den Menschen, das geht überhaupt nicht und mit Direktiven und Verordnungen - ich glaube, die Zeiten sind vorbei."

    Das Anliegen und die neuen Wege der Naturschützer haben das Umweltministerium Mecklenburg-Vorpommerns überzeugt. Dieses beauftragte den WWF gemeinsam mit Wassersport- und Angelverbänden, eigenverantwortliche Maßnahmen des Naturschutzes anzustreben. Das Ergebnis des zähen Ringens ist eine Gewässerkarte mit roten, gelben und blauen Flächen, die Cathrin Münster in den Händen hält:

    "Rot heißt ganzjährig nicht. Und Gelb heißt: siehe Hinweise in den Kästen. Die gelben, das sind genau die Bereiche, wo wir Kompromisse finden mussten, wo wir dann aufeinander zugegangen sind und uns dann eben zeitlich oder mit der Geschwindigkeitsbegrenzung geeinigt haben."

    Obwohl die Vereinbarungen freiwillig sind, werden sie von den meisten akzeptiert: Doch manch einer ist auch vorsichtig. Schließlich ist der einzig ernstzunehmende Wirtschaftszweig, den Mecklenburg-Vorpommern zu bieten hat, die Tourismusindustrie. Und allzu viele Verbote schrecken die Gäste ab, glaubt Ingo Heyde, Hafenmeister in Wieck auf der Insel Rügen:

    "Man muss immer abwägen. Auf der einen Seite wollen wir den maritimen Tourismus hier haben und fördern, auf der anderen Seite müssen wir natürlich aufpassen, dass nicht zu viele Gebiete Naturschutzgebiete werden und die Leute ganz verängstigt werden und sagen, oh Gott, da kann man ja gar nicht mehr reinfahren, da ist ja überall Naturschutz."

    Die Vereinbarung der Naturschützer, Angler und Wassersportler für den Greifswalder Bodden und den Strelasund gilt zunächst für drei Jahre. Cathrin Münster vom WWF weiß, dass Kompromisse auch danach wieder gesucht werden müssen:

    "Also wenn wir uns dann nach drei Jahren zusammensetzen, dann wird es sicherlich die einen oder anderen Korrekturen geben. Da muss man sich dann auch einfach von Naturschutzseite überlegen, wie weit betrifft den Naturschutz das? Also müssen wir jetzt auf diese 200 Meter pochen, oder ist es uns wichtig, dass das so bleibt und dass es in den anderen Gebieten eingehalten wird?"