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Abstimmen über Kultur

Die Münsteraner haben per Bürgerentscheid den umstrittenen Millionenzuschuss aus öffentlichen Mitteln für eine geplante Konzert- und Kongresshalle gestoppt. Eine solche Abstimmung sollte nach Ansicht des Kultursoziologen Andreas Wiesand hinterfragt werden. Man solle sich diese Art der direkten Demokratie ersparen, wenn sie zu stark in die Kulturfreiheit eingreife, betonte Wiesand.

    Rainer Berthold Schossig: Münsteraner Bürger haben ihren Kommunalpolitikern gestern wieder mal die gelbe Karte gezeigt. Mit über 70 Prozent der Stimmen wurden Pläne vom Tisch gefegt, zwölf Millionen Euro aus der Stadtkasse zu einer von Privatseite initiierten Kultur- und Kongresshalle in Münster zuzuschießen. Die Abstimmung habe bewiesen, dass, Zitat, "Kultur kein Minderheitenthema" sei, so eine Sprecherin der Initiative "Mehr Demokratie in Münster". Nun sind ja die Erfahrungen der Kultur mit der Demokratie durchaus ambivalent. In Aachen etwa scheiterte 2006 ein europäisches Kulturmuseum. Bonn dagegen lässt sich zurzeit von Postbank und Telekom ein Festspielhaus für Beethoven spendieren. Frage an Andreas Wiesand, den Kultursoziologen vom Zentrum für Kulturforschung in Bonn. Wer ein Hallenbad schließt, darf keine Musikhalle eröffnen, so die Kritik in Münster, Herr Wiesand. War es nicht doch eine recht ambivalente, ja absurde Zuspitzung, den Konflikt dort zu reduzieren auf die Alternative Hochkultur oder Sozialabbau?

    Andreas Wiesand: Ambivalent ist das Ganze deshalb, weil man solche Erhebungen oder Umfragen nicht auf alles und jedes erstrecken lassen darf. Es ist ja schon mal sehr weit gegangen, Sie haben Beispiele genannt. In der Schweiz ging es so weit, dass in Basel darüber tatsächlich abgestimmt werden konnte und durfte, welche Bilder ins Museum angeschafft werden sollen und welche nicht. Das sind Dinge, die so stark in die Kunstfreiheit eingreifen, dass man sich das vielleicht doch eher ersparen sollte, diese Art der direkten Demokratie.

    Schossig: Herr Wiesand, man sagt jetzt, dass in Münster es ein wenig an logistischer Kompetenz gefehlt habe, wenn man mal davon absieht, dass es da weder einen Architektenwettbewerb gegeben hatte, noch dass Standortkostenträgerschaft und Folgekosten irgendwie definiert waren. Wie könnte, wie sollte denn eine Kommune mit solch einem privaten Kulturangebot umgehen wie dem Bau einer solchen Halle?

    Wiesand: Wenn sie tatsächlich ein Geschenk bekommt, dann ist das natürlich wirklich etwas anderes, als wenn sie energisch finanziell einsteigen soll. Sie kennen das ja auch von manchen Museen oder Sammlungen, die als Geschenk sozusagen sich darstellen, in Wirklichkeit aber nur Dauerleihgaben sind oder wo jedenfalls solche Auflagen daran geknüpft sind, dass am Ende sich die Frage oft auch stellt, ist das nicht ein Danaergeschenk oder dient es nicht eigentlich sogar dazu, die Tasche des Spenders zu füllen, weil er sich letztlich die Verkaufsmöglichkeiten vorbehält und die Dinge dann enorm an Wert gestiegen sind. Nicht alles, was privat angeboten wird, muss deswegen auch schon ein Gewinn sein. Aber dann, wenn öffentliche Gelder miteinbezogen werden, muss man gleich doppelt und dreifach genau hinschauen, offenbar hat man das in Münster nicht ausreichend getan.

    Schossig: Nun ist das ja durchaus möglich. Positives Gegenbeispiel wäre die Hamburger Elbphilharmonie, wo die Bürger ja sehr, sehr viel Spenden sammeln, gesammelt haben. Es scheint ja so, dass unter der hanseatischen Kaufmannschaft da doch ein etwas anderes, anscheinend bürgerliches Bewusstsein kulturellen Engagements vorherrscht als in der Verwaltungsstadt Münster, oder?

    Wiesand: Es ist vielleicht auch einfach ein besseres Management dieses ganzen Vorganges gewesen in Hamburg. Die ganze Sache läuft quasi als Bürgerinitiative. Das ist natürlich dann sofort schon mal was anderes, als wenn sozusagen immer sich man dem Verdacht aussetzt, man wolle jetzt einfach nur nachziehen, weil halt Städte wie Dortmund oder andere sich halt auch eine Konzerthalle geleistet haben, obwohl sie sich es zum Teil ja gar nicht leisten können, wie man inzwischen weiß.

    Schossig: Hat hier eine unansehnliche und das heißt sozialneidische, kleinkarierte Demokratie gesiegt gegen einen uneigennützig nobles, hochherziges, bürgerliches Kulturprojekt?

    Wiesand: Was ich bisher mitbekommen habe, auch aus den Stellungnahmen von Gegnern, einschließlich von Künstlern dabei, war eigentlich nicht dieser Eindruck, dass es da um Sozialneid in erster Linie gegangen wäre. Das kann man nicht sagen. Man müsste vielleicht die ganze Sache mal grundsätzlich betrachten. Im Grunde ist eigentlich eine Veranstaltung, ein Konzert, ein Theaterabend, auch eine große Ausstellung, sind alles Abstimmungen. Wenn keiner hinginge, müsste sie schnell abgesetzt werden. Deswegen, es gibt ja so was wie Demokratie durchaus auch im Kulturbetrieb. Die Leute können es wahrnehmen oder sie lassen es sein. Und dann ändert sich auch das Angebot.

    Schossig: Ja, man sagt ja, die Demokratie sei hässlich.

    Wiesand: Hässlich, sie kann manchmal eine Verspätung haben insofern, als nicht immer alles sofort erkannt wird, die Qualität meine ich. Und manchmal ecken Künstler natürlich auch an, ganz bewusst. Aber darüber jetzt sozusagen jedes Mal eine Abstimmung machen zu lassen, wäre sicherlich fehl am Platz.

    Schossig: Was kann eine Kommune tun, eine demokratisch verfasste, dass Kultur eben nicht konkurrierend zu anderen öffentlichen, staatlichen kommunalen Aufgaben positioniert wird?

    Wiesand: Wir haben mal vor knapp 30 Jahren eine Untersuchung gemacht für Bremen. Es stellte sich dabei interessanterweise heraus, dass alle die Ideen, die die Stadt, damals ein sehr sozialdemokratisch organisiertes Gemeinwesen, alle die Ideen über sozusagen eine flächendeckende Verteilung von Kulturangeboten über die ganze Stadt und anderes mehr von der Bevölkerung so überhaupt nicht gesehen wurden, sondern im Gegenteil. Die waren glücklich und froh, wenn sie ein klares, sichtbares Zentrum hatten, wo sie ihre Besuche machen konnten. Es ist schon hin und wieder wichtig, auch der Bevölkerung zuzuhören. Das bedeutet, dass sich alle an so einem öffentlichen Dialog beteiligen. Und dann gibt es vielleicht auch solche Unglücke nicht so wie in Münster.

    Schossig: Der Bonner Kultursoziologe Andreas Wiesand zum Scheitern des musikalen Projekts in Münster, gestern durch Bürgerentscheid.