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Abstimmung über Kataloniens Unabhängigkeit

Am Sonntag sollen 1,4 Millionen Menschen in Barcelona über die Unabhängigkeit der Region Katalonien von Spanien abstimmen. Das Referendum ist eine rein private Angelegenheit, dennoch birgt es nicht unerheblichen politischen Sprengstoff.

Von Hans-Günter Kellner | 08.04.2011
    Kein Stuhl ist mehr frei bei den letzten Absprachen in der Ortsgruppe der Initiative "Barcelona entscheidet" von Horta, einem von zehn Bezirken der katalanischen Hauptstadt. Ein Informatiker erklärt den rund 100 Wahlhelfern noch einmal das Computerprogramm, mit dem die Personalausweise der Wähler erfasst werden - was gewährleisten soll, dass niemand mehrfach abstimmt. Denn das Referendum ist eine private und rechtlich nicht verbindliche Initiative. Daraus entstehen auch Schwierigkeiten, erklärt in der Kneipe des kleinen Bürgerhauses Lluis Vila, der Leiter der Ortsgruppe:

    "Wir haben keinen Zugang zum Wahlregister. Alle Einwohner im Alter ab 16 Jahren dürfen abstimmen, auch Einwanderer. Sie müssen mit dem Personalausweis oder einer Bestätigung des Einwohnermeldeamtes belegen, dass sie in Barcelona gemeldet sind. Wir können Einwanderer oder Nicht-Volljährige auch wieder aus der Zahl der Wahlberechtigten herausrechnen, und so die Beteiligung mit normalen Wahlen vergleichen."

    Rund 1000 freiwillige Helfer hat die Initiative in ganz Barcelona. Alle sind brennende Verfechter eines eigenen katalanischen Staats. Die Dezentralisierung Spaniens, in deren Rahmen die Zentralregierung in Madrid immer mehr Kompetenzen an die insgesamt 17 sogenannten "autonomen Regionen" abgegeben hat, lassen sie nicht gelten, auch nicht, dass die katalanische Sprache mit öffentlichen Mitteln gefördert und offizielle Behördensprache in der Region ist:

    "Weil ich Katalane bin. Unser Land erlebt schwierige Zeiten. Die Parteien haben die katalanische Zivilgesellschaft verraten. Die Vorstellung von einem föderalen spanischen Vielvölkerstaat, hat sich als Illusion erwiesen. Sie betrügen uns, sie respektieren die Rechte Kataloniens nicht, halten ihre Versprechen nicht. Darum sollten wir einen eigenen Staat innerhalb der Europäischen Union haben."

    Denn das steht zur Abstimmung: "Sind sie damit einverstanden, dass die katalanische Nation ein unabhängiger, demokratischer und sozialer Rechtsstaat und Teil der Europäischen Union sein soll?" Katalonien war schon immer einer der wirtschaftlichen Motoren Spaniens. Das führt schon lange zu intensiven Verhandlungen über die Verteilung des Wohlstands, in den heutigen Zeiten knapper Kassen und Spardrucks immer mehr zum offenen Streit zwischen den Regierungen in Madrid und Barcelona:

    "Das Defizit aus dem, was wir an Spanien bezahlen, und was wir zurückbekommen, lässt sich leicht ausrechnen. Das sind zwischen 20 und 22 Milliarden im Jahr. Das in einem armen Land, in dem die Fabriken schließen, weil sie kein Geld mehr haben. Ich denke, das Geld fehlt hier."

    In Katalonien ist schnell vom Volk die Rede. Allerdings denken die Katalanen gar nicht so einheitlich, wie nationalistische Stimmen oft vorgeben. Das Institut für Politische Studien der Autonomen Universität von Barcelona fragt die Katalanen seit 1991 nach ihrer Meinung, auch zur Unabhängigkeit. Zum Ergebnis der repräsentativen Umfragen sagt der Institutsdirektor Joan Marcet:

    "Seit 20 Jahren liegen die Befürworter der Unabhängigkeit bei etwa 20 Prozent. 1991, als wir mit diesen Umfragen begonnen haben, waren es 19, heute sind es rund 22 Prozent. Natürlich beeinflusst die spanische und katalanische Politik die Stimmung. Als unser neues Autonomiestatut in Kraft trat, sank der Anteil der Befürworter einer Unabhängigkeit auf 18 Prozent. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts gegen einige Artikel stieg er letztes Jahr wieder etwas an. Aber grundsätzlich ist die Entwicklung recht stabil."

    Vielschichtigkeit auch in den Antworten zur eigenen Identität: Rund 14 Prozent geben an, nur Katalanen und keine Spanier sein zu wollen, rund 70 Prozent sehen sich hingegen in einer Art Mischidentität als Spanier und Katalanen. Sie zur Abstimmung zu bewegen, ist schon den Organisatoren der vorangegangenen 530 Referenden in kleineren Städten der Region schwergefallen: Da nahmen in Schnitt 20 Prozent der Abstimmungsberechtigten teil. Angesicht solcher Zahlen würden die Organisatoren des Referendums im Bürgerhaus von Horta schon eine Wahlbeteiligung von 15 Prozent als Erfolg ansehen. Viel wichtiger als die Statistik ist für Joan Fredrera, das Referendum überhaupt durchgezogen zu haben:

    "Hier geht es auch darum, die Debatte um die Unabhängigkeit in die Gesellschaft hinein zu tragen. Das war bisher ein Tabu-Thema. Wir Anhänger der Unabhängigkeit haben früher den Mund gehalten. Heute ist es das Normalste auf der Welt, darüber zu sprechen."