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Abstraktion und Action-Painting

Das museum kunst palast in Düsseldorf widmet die Ausstellung "Le grand geste!" der Kunst des Informel und des abstrakten Expressionismus'. Werke von - unter anderem - Emil Schumacher, Karl Friedrich Dahmen und Karl Otto Götz aus der Zeit von 1946 bis 1964 sind zu sehen.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Christoph Schmitz | 14.04.2010
    Christoph Schmitz: Sie nannten ihn Jack the Ripper, Jack, der Aufschlitzer, weil er wie eine Bestie seinen Opfern den Bauch aufschlitzte. Ein anderer wütete auf andere Art und bekam den Beinamen Dripper, weil er die Farben wie im Rausch über die Leinwand tropfte. Jack the Dripper, das war Jackson Pollock.

    Seine Dripping Art wurde Mitte des 20. Jahrhunderts wegen ihres hohen körperlichen Einsatzes auch auf den Namen Action-Painting getauft. Was in den USA so dynamisch betitelt wurde, gab es auch in Europa und fand hier philosophischere Bezeichnungen wie lyrische Abstraktion, Tachismus oder Informel.

    In den 50er-Jahren schwappte die Tropfkunst über den Atlantik in die Metropolen des alten Europas und 1959 flossen die Strömungen der gegenstandslosen Malerei auf der zweiten documenta in Kassel zusammen.

    Jetzt, rund 50 Jahre später, macht das museum kunst palast in Düsseldorf das Farbfass noch einmal auf, "Le grand geste! Informel und abstrakter Expressionismus, 1946 bis 1964" heißt die Ausstellung.

    Stefan Koldehoff, Sie waren dort. Geht es darum diese Kunst als globales Phänomen der Nachkriegszeit zu präsentieren?

    Stefan Koldehoff: Ja, das ist sicherlich der eine Aspekt. Denn es ist faszinierend zu sehen, wie zeitgleich in den Vereinigten Staaten, in Deutschland und in Frankreich der Wunsch aufkommt, sich völlig vom Gegenstand zu verabschieden.

    Abstraktion war ja immer noch ein bisschen an den Gegenstand gebunden, man versuchte nur, ihn zu abstrahieren. Aber hier kommt eben, das, was der Ausstellungstitel wiedergibt, die große Geste. Es geht nur noch um Farbe, es geht um Geste, es geht um Bewegung. Es geht nicht mehr darum der Kunst irgendeinen Zweck zuzuschreiben, irgendeinen abbildenden, und das - wie gesagt - zeitgleich USA, Deutschland und Frankreich.

    Schmitz: Aber unabhängig voneinander oder wird auch gezeigt, wie sich die einzelnen Kontinente beeinflusst haben?

    Koldehoff: Das war gar nicht so einfach. Das ist mir auch erst klar geworden, als mir das der Kurator Kay Heymer in der Ausstellung noch mal erklärt hat. Die deutschen Maler hatten lange überhaupt keine Gelegenheit, internationale Kontakte zu knüpfen. Unmittelbar nach dem Krieg schon mal gar nicht, da gab es so was wie Reisefreiheit in den ersten Jahren nicht.

    Dann auf der zweiten documenta, die Sie gerade schon angesprochen haben, da war die deutsche Kunst so ein bisschen verschämt ins Dachgeschoss verbannt, während sich unten die großen Amerikaner austoben durften. Einige der deutschen Künstler, Emil Schumacher zum Beispiel, hatten schon früh internationalen Erfolg. Das war aber schlagartig zu Ende, als 1961 der Eichmann-Prozess einsetzte und es plötzlich für ein internationales Sammlerpublikum und auch für die internationalen Kollegen deutsche Kunst so gut wie überhaupt nicht mehr gab. Die bösen Deutschen, die hängte man sich nicht an die Wand.

    Schmitz: Welche Position hat denn die deutsche abstrakte oder gegenstandslose Malerei in diesem Kontext?

    Koldehoff: Das wird neu bewertet in dieser Ausstellung. Man hat bisher oft gesagt, das war so etwas wie die Flucht in die Verbindlichkeit - nur bloß nichts mehr zeigen müssen nach der Katastrophe des sogenannten Dritten Reichs, des Holocaust, der totalen Entmenschlichung, auch aller Bilder, denn die Kunst wurde ja von den Nationalsozialisten auch vereinnahmt.

    Ich glaube, man kann das auch anders sehen. Man kann es auch als den großen Befreiungsschlag, als die große Lust an der Freiheit sehen. Es gab ja vor einigen Jahren sogar die bis heute nicht richtig belegte Theorie, eigentlich sei der abstrakte Expressionismus in den USA von der CIA impliziert worden als Gegenbewegung zum sozialistischen Realismus. Da muss man sicherlich noch mal genau hingucken, ob das denn so war.

    Aber tatsächlich war es von Anfang an auch ein Politikum. In der DDR beispielweise durfte diese Form des Ungegenständlichen ziemlich schnell nach Staatsgründung nicht mehr stattfinden.

    Schmitz: Wie sieht es denn mit der Qualität des deutschen Informel im internationalen Kontext aus?

    Koldehoff: Großartig, und das ist eigentlich die große Leistung dieser Ausstellung, die nicht überdidaktisch und nicht überpädagogisch ist, zwar in einer kleinen chronologischen Abteilung auch noch mal Dokumente zeigt, die wichtigen Schlüsselfiguren, Schlüsselbewegungen, Künstlergruppen präsentiert, vor allem aber in zwei riesig großen Raumfolgen die großen Formate leuchten lässt. Und man sieht, welch ungeheure Modernität und Qualität diese lange, im deutschen Kunstkontext missachteten Bilder bis heute haben.

    Schmitz: Welche Maler haben Sie entdeckt?

    Koldehoff: Na ja entdeckt, vielleicht ein bisschen wiederentdeckt. Es ist nach wie vor fantastisch, wie Emil Schumacher bis ins hohe Alter - natürlich sind dort nur die frühen Werke bis 64 zu sehen - geschrundene Leinwände produzierte. Es ist wunderbar, Karl Friedrich Dahmen noch mal zu sehen, die großen Rakelbilder von Karl Otto Götz wiederzuentdecken, Fred Thieler noch mal zu sehen, Hann Trier, die übrigens erstaunlicherweise die Lehrer waren von Künstlern wie Gerhard Richter, Siegmar Polke, Georg Baselitz, und eigentlich ihr Revival als sogenannte verlorene Generation, weil sie eben kein Publikum haben durften lange Zeit, dann erst über die Anerkennung ihrer Schüler in den 70er-Jahren wiedergewonnen haben.

    Schmitz: 150 Gemälde insgesamt etwa sind gehängt. Ein letztes Wort noch zur Qualität der Ausstellung in sich?

    Koldehoff: Auch das hervorragend. Man merkt, dass der Kurator Kay Heymer ein Schüler von Georg Imdahl [gemeint vermutlich: Max Imdahl, Anmerkung der Redaktion], dem großen Sehen-Lehrer in Bochum an der Universität gewesen ist, also sowohl die Qualität der Bilder als auch die Hängung hervorragend, und wer den Katalog dazu noch mitnimmt, der entdeckt eine Kunstrichtung völlig neu.

    Schmitz: Stefan Koldehoff, vielen Dank für das Gespräch über die Ausstellung "Le grande geste" im Museum Kunstpalast in Düsseldorf!