Kenaz schildert angstvolle Phantasmen von Schoah-Überlebenden und bösartige Vorurteile gegenüber orientalischen Einwanderern, er erinnert an die tief sitzenden Aversionen, die in Israel geborene Juden gegen das Fortleben der jiddischen Sprache hegten, und er spottet kühl über enthemmte Zeitgenossen, die ihre Porno-Sucht ungeniert vor Kindern ausleben. An den Anfang stellt Kenaz die Geschichte einer jungen Frau, die den Kibbuz, in den man sie einquartiert hatte, verlassen musste. Niemand hatte dort Verständnis und Geduld für ihre Zwangsvorstellungen. Es wurden tatkräftige Pioniere und Arbeiterinnen gebraucht. Für die Figur der Klara Hoffmann gibt es ein reales Vorbild.
"In allem, was ich geschrieben habe, steckt ein Funken Wahrheit. Klara habe ich 1959 bei einer Schiffsüberfahrt von Zypern nach Frankreich kennen gelernt. Sie saß neben mir auf dem Deck und fing ein Gespräch an. Plötzlich zeigte sie mir rötlich gefärbte Hautstellen an ihren Ellenbogen und Fingern. 'Wissen Sie, was das ist?' fragte sie. 'Das hier, das haben die Nazis gemacht.' Ich begriff, dass sie an einer fixen Idee litt. Sie ist mir seit dieser Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gegangen."
In Jehoschua Kenaz' Erzählung gibt es keinen Platz für einen traumatisierten Menschen wie die Lagerüberlebende Klara. Erwachsene treibt die Vorstellung um, die verschlossene, junge Frau könne eines Tages Menschen "abschlachten". Kenaz blickt völlig mitleidlos auf solche Befürchtungen ebenso wie auf Klaras quälende Vorstellung, am eigenen Körper wuchere "fremdes Fleisch". Fast kommt diese Haltung einem Statement gleich: Mit seiner Haltung setzt Kenaz sich deutlich ab von nicht mehr ganz jungen israelischen Autoren, die von der Verlorenheit der Shoah-Überlebenden und den Folgeleiden ihrer Generation erzählen und damit auf dem europäischen Buchmarkt Erfolg haben.
"Über die meisten Texte dieser Sammlung habe ich beim Schreiben unentwegt gelacht. Man hat mich gefragt: Wie kannst du nur über eine Holocaust-Überlebende lachen? Doch, ich finde das komisch und grotesk. All diese Geschichten vom 'wilden, fremden Fleisch' sind doch verrückt!"
Präzise und adjektivarm beschreibt Kenaz, wie seine Figuren sich in der Welt behaupten. Man spürt eine verhaltene Sympathie für verhaltensauffällige Charaktere und Kreaturen, die sich, von keinerlei Selbstzweifel zermürbt, durchs Leben lavieren. In den 50er-Jahren versuchte man Kinder davon abzuhalten, allein in den weiten Orangenhainen zu spielen, indem man ihnen Angst vor dem entlaufenen Mörder Dassa Elijahu einflößte, der dort versteckt sein Unwesen treiben sollte. Kenaz wünscht sich, dass man seine Geschichten liest, ohne nach Zeichen für moralische Botschaften zu suchen.
"Man hörte damals ständig irgendwelche Schauermärchen über Verrückte, die Kindern auflauern. Die Leute wollten bestimmt vor Pädophilen warnen, aber für mich ist dieser Mann in der Obstplantage vor allem ein Idiot. Er tickt nicht richtig. Und seine jemenitische Familie will ihn loswerden. Sie liebt ihn nicht. Ein armer Mann, wirklich."
Jehoschua Kenaz' Stil ist trocken – so wie sein Humor und seine Vorliebe für groteske Handlungsabläufe und absurd überzeichnete Figuren. Diese Neigung teilt er mit keinem seiner schreibenden Altersgenossen. Der 44-jährige Etgar Keret, dessen Fiktionen immer auch surreale, phantastische Züge haben, steht ihm als Geschichtenerzähler am nächsten. Den Höhepunkt des neuen Buches bildet die Titelerzählung "Die Nachmittagsvorstellung". Zwei Männer folgen der Einladung eines Arbeitskollegen, sich gemeinsam einen japanischen Pornofilm anzuschauen. Mit im Wohnzimmer sitzen die Ehefrau, eine Großmutter im Rollstuhl und ein noch kindlicher Junge. Wichtig zu wissen ist es nicht, aber es gefällt Jehoschua Kenaz festzuhalten, dass auch diese abgründig-amüsante Fiktion von einem realen Erlebnis inspiriert wurde.
"Ich wurde mit meinem Chef von der Frau eines Kollegen nach Hause eingeladen. Alles war so ungehörig, dass ich glatt noch eine Großmutter und ein Kind dazu erfunden habe. Es gibt ein paar Passagen, da bin ich beim Schreiben fast vom Stuhl gefallen vor Lachen. Ich lasse zwei Polizisten anklopfen und im Wohnzimmer Platz nehmen. Einer schläft ständig ein. Er kann sich nicht wach halten. Wie er seine Rolle ausfüllt, das ist die Spitze des Absurden. In dieser Geschichte geht es um eine Sünde. Und deshalb braucht es schlussendlich auch eine Strafe. Leider muss der arme Sohn die Idiotie seiner Eltern mit dem Leben bezahlen. Ich wollte, dass die Erzählung mit einem kleinen Schock aufhört."
Immer büßen Kinder bei Kenaz für die Obsessionen der Eltern. Mal erdulden sie Gängelungen, mal riskieren sie ihr Leben, um einen Ausweg zu erzwingen. Jehoschua Kenaz' schwarzer Humor wirkt nur im Gespräch ein wenig gewollt; es ist ihm ein offenkundig dringendes Anliegen, klarzumachen, dass die Literatur für ihn ein moralfreies Experimentierfeld ist. Man folgt seinen Geschichten uneingeschränkt aufmerksam, weil die seelischen Regungen seiner Hauptfiguren fein ausgeleuchtet sind. Und weil in Israel eher Erzählungen Konjunktur haben, die in der harten Alltagswirklichkeit fußen, sind seine Ausschmückungen abwegiger Phantasien, eine wundervolle Ausnahmeerscheinung.
Jehoschua Kenaz: "Die Nachmittagsvorstellung".
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Luchterhand Verlag, 269 Seiten, 18,99 Euro
"In allem, was ich geschrieben habe, steckt ein Funken Wahrheit. Klara habe ich 1959 bei einer Schiffsüberfahrt von Zypern nach Frankreich kennen gelernt. Sie saß neben mir auf dem Deck und fing ein Gespräch an. Plötzlich zeigte sie mir rötlich gefärbte Hautstellen an ihren Ellenbogen und Fingern. 'Wissen Sie, was das ist?' fragte sie. 'Das hier, das haben die Nazis gemacht.' Ich begriff, dass sie an einer fixen Idee litt. Sie ist mir seit dieser Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gegangen."
In Jehoschua Kenaz' Erzählung gibt es keinen Platz für einen traumatisierten Menschen wie die Lagerüberlebende Klara. Erwachsene treibt die Vorstellung um, die verschlossene, junge Frau könne eines Tages Menschen "abschlachten". Kenaz blickt völlig mitleidlos auf solche Befürchtungen ebenso wie auf Klaras quälende Vorstellung, am eigenen Körper wuchere "fremdes Fleisch". Fast kommt diese Haltung einem Statement gleich: Mit seiner Haltung setzt Kenaz sich deutlich ab von nicht mehr ganz jungen israelischen Autoren, die von der Verlorenheit der Shoah-Überlebenden und den Folgeleiden ihrer Generation erzählen und damit auf dem europäischen Buchmarkt Erfolg haben.
"Über die meisten Texte dieser Sammlung habe ich beim Schreiben unentwegt gelacht. Man hat mich gefragt: Wie kannst du nur über eine Holocaust-Überlebende lachen? Doch, ich finde das komisch und grotesk. All diese Geschichten vom 'wilden, fremden Fleisch' sind doch verrückt!"
Präzise und adjektivarm beschreibt Kenaz, wie seine Figuren sich in der Welt behaupten. Man spürt eine verhaltene Sympathie für verhaltensauffällige Charaktere und Kreaturen, die sich, von keinerlei Selbstzweifel zermürbt, durchs Leben lavieren. In den 50er-Jahren versuchte man Kinder davon abzuhalten, allein in den weiten Orangenhainen zu spielen, indem man ihnen Angst vor dem entlaufenen Mörder Dassa Elijahu einflößte, der dort versteckt sein Unwesen treiben sollte. Kenaz wünscht sich, dass man seine Geschichten liest, ohne nach Zeichen für moralische Botschaften zu suchen.
"Man hörte damals ständig irgendwelche Schauermärchen über Verrückte, die Kindern auflauern. Die Leute wollten bestimmt vor Pädophilen warnen, aber für mich ist dieser Mann in der Obstplantage vor allem ein Idiot. Er tickt nicht richtig. Und seine jemenitische Familie will ihn loswerden. Sie liebt ihn nicht. Ein armer Mann, wirklich."
Jehoschua Kenaz' Stil ist trocken – so wie sein Humor und seine Vorliebe für groteske Handlungsabläufe und absurd überzeichnete Figuren. Diese Neigung teilt er mit keinem seiner schreibenden Altersgenossen. Der 44-jährige Etgar Keret, dessen Fiktionen immer auch surreale, phantastische Züge haben, steht ihm als Geschichtenerzähler am nächsten. Den Höhepunkt des neuen Buches bildet die Titelerzählung "Die Nachmittagsvorstellung". Zwei Männer folgen der Einladung eines Arbeitskollegen, sich gemeinsam einen japanischen Pornofilm anzuschauen. Mit im Wohnzimmer sitzen die Ehefrau, eine Großmutter im Rollstuhl und ein noch kindlicher Junge. Wichtig zu wissen ist es nicht, aber es gefällt Jehoschua Kenaz festzuhalten, dass auch diese abgründig-amüsante Fiktion von einem realen Erlebnis inspiriert wurde.
"Ich wurde mit meinem Chef von der Frau eines Kollegen nach Hause eingeladen. Alles war so ungehörig, dass ich glatt noch eine Großmutter und ein Kind dazu erfunden habe. Es gibt ein paar Passagen, da bin ich beim Schreiben fast vom Stuhl gefallen vor Lachen. Ich lasse zwei Polizisten anklopfen und im Wohnzimmer Platz nehmen. Einer schläft ständig ein. Er kann sich nicht wach halten. Wie er seine Rolle ausfüllt, das ist die Spitze des Absurden. In dieser Geschichte geht es um eine Sünde. Und deshalb braucht es schlussendlich auch eine Strafe. Leider muss der arme Sohn die Idiotie seiner Eltern mit dem Leben bezahlen. Ich wollte, dass die Erzählung mit einem kleinen Schock aufhört."
Immer büßen Kinder bei Kenaz für die Obsessionen der Eltern. Mal erdulden sie Gängelungen, mal riskieren sie ihr Leben, um einen Ausweg zu erzwingen. Jehoschua Kenaz' schwarzer Humor wirkt nur im Gespräch ein wenig gewollt; es ist ihm ein offenkundig dringendes Anliegen, klarzumachen, dass die Literatur für ihn ein moralfreies Experimentierfeld ist. Man folgt seinen Geschichten uneingeschränkt aufmerksam, weil die seelischen Regungen seiner Hauptfiguren fein ausgeleuchtet sind. Und weil in Israel eher Erzählungen Konjunktur haben, die in der harten Alltagswirklichkeit fußen, sind seine Ausschmückungen abwegiger Phantasien, eine wundervolle Ausnahmeerscheinung.
Jehoschua Kenaz: "Die Nachmittagsvorstellung".
Aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Luchterhand Verlag, 269 Seiten, 18,99 Euro