Victor hängt am Haken. Sein gelber Auftriebskörper leuchtet in der Sonne, darunter schimmert silbern ein Skelett aus Aluminium und Titan, das selbst dem Druck in 6000 Metern Wassertiefe wiedersteht. Victor ist ein ferngesteuerter Tauchroboter, ein dicht gepacktes, technisches Wunderwerk von der Größe eines Lieferwagens.
Langsam kippt der so genannte "Wackelmast" am Heck der Polarstern zurück. Immer weiter, bis Victor über der Wasseroberfläche hängt. Dann fährt der große Haken aus, und das tonnenschwere Gerät taucht ins Wasser, wird ausgeklinkt – und schwimmt auf. Langsam und vorsichtig entfernt sich die Polarstern von Victor, setzt dabei Meter für Meter das Kabel aus, durch das er mit Strom versorgt wird, seine Befehle erhält und die Bilder nach oben liefert. Christoph Allan von der französischen Forschungsorganisation Ifremer beschreibt die Instrumente des Mini-U-Bootes :
Vor allem ist da der ferngesteuerte Arm, mit sieben Freiheitsgraden, ein zweiter Zangengreifarm, sechs Motoren und ein Satz von Kameras, unter anderem eine schwenkbaren Hauptkamera mit Zoom und eine Vertikalkamera zur Beobachtung des Bodens. Die Kameras erlauben den Piloten verschiedene Blickrichtungen für die Navigation und die Steuerung der Arme.
Bei seiner Mission im präparierten "Hausgarten" des Alfred-Wegener Instituts, arbeitet Victor in rund 2500 Metern Tiefe beim 250fachen Atmosphärendruck und bei Temperaturen von minus 1.3 Grad Celsius.
Wenn Victor taucht, arbeiten drei Piloten und zwei Forscher in einem Container: ein kleiner Raum, vollgestopft mit Elektronik und Bildschirmen. Die Piloten leisten Präzisionsarbeit, wenn sie die vor vier Jahren abgesetzten Körbe hochheben. Ingo Schewe vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven:
Die Fläche unter diesen Körben war für vier Jahre frei von Fraßdruck, und die kleineren Tiere, so unsere Hypothese, darunter, konnten sich frei entwickeln, hatten allenfalls Konkurrenz untereinander.
Die Frage, die die Forscher interessiert, ist: Wie haben die Mikroorganismen reagiert? Victors Hauptgreifarm setzt die Körbe vorsichtig zur Seite und zieht dann Sedimentproben vom Meeresgrund.
Eine diffizile Geduldsarbeit bei höchster Konzentration. Die zahlreichen Kameras liefern direkte Einblicke in die unbekannte Lebenswelt Tiefsee. Michael Schmidt vom Kieler Institut für Polarökologie und Karen von Juterzenka vom Alfred-Wegener Institut beobachten eine Garnele:
Guck mal dieser Shrimps, der sitzt die ganze Zeit da, an derselben Stelle, die Garnele, vielleicht haben die auch so ein Revierverhalten hier unten – Möglich, ja – Der bewegt sich nicht weg. Und hier ist der nächste.
Für die Forschung "schlürft" Victor mit einer Art Staubsauger die Tiefseetiere in Probenbehälter. Während die Auswertung der Sedimentkerne lange dauern wird, klären sich andere Frage vor Ort. Etwa die, welches Tier wohl die vielen Löcher gräbt, die den Tiefseeboden wie mit Kratern übersäen.
Ein Krustentier wird eingesaugt. Über die Kameras gibt es eine erste Identifizierung:
Das sind Asseln, Tiefseeasseln, die wir schon einmal gefunden haben, aber sie nie zuordnen konnten. Das heißt, dass sie eine große ökologische Bedeutung haben, denn die Löcher sitzen hier dicht an dicht.
Ihre genaue Rolle für die arktische Tiefsee wollen die Wissenschaftler im Laufe weiterer Experimenten klären.