Archiv

Debatte um US-Abtreibungsrecht
Großdemonstrationen gegen Aufhebung

Angesichts der drohenden Aufhebung eines Grundsatzurteils zum Schutz des Abtreibungsrechts in den USA haben Frauenrechtsorganisationen für heute zu landesweiten Protesten aufgerufen. Konservativ regierte Bundesstaaten wie Oklahoma versuchen schon jetzt, Fakten zu schaffen.

    Frauen vor dem US-Supreme Court protestieren gegen geplante Änderungen an dem Recht auf Abtreibung.
    Frauen vor dem US-Supreme Court protestieren gegen geplante Änderungen an dem Recht auf Abtreibung. (imago-images / NurPhoto / Allison Bailey)
    Geplant sind unter anderem Protestmärsche in den Großstädten Austin, Chicago, Los Angeles, New York und Washington. Die Organisatoren erwarten hunderttausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
    Anlass der Proteste ist ein Anfang vergangener Woche bekanntgewordener Urteilsentwurf des Obersten Gerichtshofs des Landes. Demnach könnte der Supreme Court das seit fast 50 Jahren geltende Grundsatzurteil "Roe v. Wade" kippen, das ein Grundrecht auf Abtreibungen verankert hatte. Weil es kein Bundesgesetz zu diesem Thema gibt, hätten die einzelnen US-Bundesstaaten dann freie Hand, Abtreibungen zu verbieten oder den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen drastisch einzuschränken. Rund die Hälfte der 50 Staaten dürfte diesen Weg gehen.

    Wie ist die aktuelle Regelung?

    Bei kaum einem anderen Thema in den USA sind die ideologischen Gräben so tief wie beim Thema Abtreibung. Es gibt kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Grundlage dafür ist ein Urteil von 1973 namens "Roe v. Wade". Damit waren Abtreibungen weitgehend zur Privatsache erklärt worden.
    Gegner versuchen die liberalen Regeln seit Jahrzehnten zu kippen. Und noch nie waren sie ihrem Ziel so nah wie heute. Vor Kurzem veröffentlichte das Magazin "Politico" den Entwurf einer Urteilsbegründung des Supreme Courts. Er zeigt, dass das Oberste US-Gericht kurz davorstehen dürfte, das liberale Abtreibungsrecht in den USA zu kippen. Allerdings herrscht die Sorge schon, seitdem die konservativen Richter im Supreme Court in der Mehrheit sind. Dafür hatte der ehemalige US-Präsident Trump gesorgt: Er hat in seinen vier Amtsjahren drei Richter in das Höchste Gericht bestellt, die alle mehr oder weniger stark als konservativ gelten.

    Welche Reaktionen gibt es in der Gesellschaft?

    Die Enthüllung stieß bei Frauenrechtsorganisationen und bei Politikerinnen und Politikern der Demokratischen Partei von Präsident Biden auf empörte Reaktionen. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des "Politico"-Berichts versammelten sich Demonstrierende vor dem Supreme Court in Washington.
    Abtreibungsgegnerinnen und -gegner hoffen dagegen auf eine Verschärfung der geltenden Rechtslage. Die katholische Bischofskonferenz von Texas twitterte, sie freue sich darauf, dass die Texaner kurz davor stünden, legale Abtreibungen in ihrem Bundesstaat zu beenden. Die Nationale Vereinigung der Evangelikalen machte bereits auf mögliche künftige Herausforderungen aufmerksam. Frauen und Kinder benötigten angesichts der bevorstehenden Rechtsänderung viel Unterstützung, sagte Präsident Walter Kim. Die Kirchen sollten bereit sein zu helfen.

    Warum ist das Thema so wichtig für US-Präsident Biden?

    Der Supreme Court, das höchste Gericht der USA.
    Der Supreme Court ist aktuell überwiegend mit konservativen Mitgliedern besetzt (picture alliance/dpa/Yegor Aleyev/TASS)
    Biden und prominente Demokraten hatten ins Spiel gebracht, das Recht auf Abtreibung per Bundesgesetz zu regeln. Das sollte auch Anhänger für die Kongresswahl mobilisieren. Allerdings scheiterte ein entsprechender Antrag um Senat. Biden will nun mit dem Thema bei dem Zwischenwahlen im November punkten. Seine Umfragewerte sind infolge hoher Inflation und Benzinpreise gesunken. Den Demokraten droht bei der Wahl der Verlust ihrer Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus. Das würde die politische Pläne des Präsidenten für den Rest seiner Amtszeit ausbremsen. Mit der drohenden Beschränkung des Abtreibungsrechts gibt es für die Demokraten aber nun ein Thema, auf das sie die Aufmerksamkeit lenken wollen.
    Beim Thema Abtreibung wissen die Demokraten die Mehrheit hinter sich. Dem Institut Gallup zufolge unterstützt seit den 70er Jahren eine Mehrheit das Recht auf Abtreibung - mit Einschränkungen oder unter allen Umständen. Nur rund ein Fünftel der Befragten will Abtreibungen komplett verbieten.

    Wie genau argumentiert der Supreme Court?

    Zunächst einmal verweist der Supreme Court darauf, dass es sich bei dem veröffentlichten Text lediglich um einen Entwurf handelt. Allerdings haben sich nach Angaben der Politikprofessorin Joyce Mushaben bereits fünf Richter für den Vorschlag ausgesprochen, so dass sie im Deutschlandfunk die Prognose abgab, dass "der Charakter der Entscheidung" bleiben wird, sprich, das Antreibungsrecht gekippt wird.
    In dem Mehrheitsentwurf nun schreibt der 2006 von George W. Bush zum Supreme-Court-Richter ernannte Samuel Alito: „Roe lag von Anfang an gewaltig falsch.“ Rechte, die durch die Verfassung geschützt seien, aber darin nicht ausdrücklich erwähnt würden, müssten in der Geschichte und Tradition der USA stark verwurzelt sein, argumentiert Alito. Dies sei bei dem Recht auf Abtreibung nicht der Fall.
    Er fordert eine grundsätzliche Neubewertung des Sachverhalts. „Es ist an der Zeit, die Verfassung zu beachten und das Thema Abtreibung an die gewählten Vertreter des Volkes zurückzugeben“, heißt es in dem knapp 100-seitigen Dokument.

    Wie geht es weiter?

    Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte hat der Gouverneur von Oklahoma Anfang Mai ein strikteres Gesetz unterzeichnet. Die neue Regelung verbietet Schwangerschaftsabbrüche, sobald ein Arzt bei einem Embryo oder Fötus den Herzschlag feststellen kann. Das kann nach etwa sechs Wochen der Fall sein - also auch dann, wenn viele Frauen noch nicht wissen, dass sie schwanger sind. Ausnahmen sind nur für medizinische Notfälle vorgesehen.
    Ähnlich wie Oklahoma haben zuletzt mehrere republikanisch geführte US-Bundesstaaten strengere Abtreibungsgesetze auf den Weg gebracht. Die Initiativen bauen auf das wegweisende Urteil des Supreme Court, das für den Sommer erwartet wird.
    Allerdings können sich bei Beratungen zu kontroversen Themen die Stimmverhältnisse noch kurzfristig entscheidend ändern, manchmal nur wenige Tage vor Bekanntgabe. Erst wenn die Entscheidung des obersten Gerichtshofes veröffentlicht wird, ist sie auch endgültig.