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Abu Dhabi
Eine Klinik nur für Falken

Scharfe Augen, scharfe Schnäbel: Im "Falcon Hospital" in Abu Dhabi werden ausschließlich Greifvögel behandelt. Die Klinik ist eine weltweit führende Einrichtung in der Falkenmedizin. Geleitet wird sie von einer deutschen Tierärztin - ein Zeichen des Wandels in der männerdominierten arabischen Welt.

Von Michael Marek |
    Ein Falke auf einer Hand mit Falknerhandschuh in der Falkenklinik in Abu Dhabi.
    Auch ein König der Lüfte hat mal Schnupfen oder muss zur Pediküre: In Abu Dhabi kommt er dann ins "Falcon Hospital" (Deutschlandradio / Michael Marek)
    Sweihan Road-Al Shamkha, 35 Autominuten außerhalb von Abu Dhabi City. Die achtspurige Autobahn läuft schnurgerade auf die Wüste zu. Im Rückspiegel verschwinden die Wolkenkratzer, die mondänen Einkaufszentren und luxuriösen Wohnviertel der Expats, der ausländischen Fachkräfte. Vor einigen Jahrzehnten war hier nichts als Wüstensand, zu den Grundpfeilern der Wirtschaft gehörten Dattelanbau, Fischfang und Perlentauchen.
    Hinter der Toreinfahrt zum Hospital steht ein überdimensionaler, riesiger Falke auf einem Sockel und macht jedem klar: Hier werden Greifvögel versorgt. Die 18 Hektar große Anlage entspricht etwa 25 Fußballfeldern.
    Vor der Rezeption tippeln die Patienten stoisch auf einer 20 Zentimeter hohen Holzstangenkonstruktion hin und her, die mit grünem, stacheligem Plastikrasen überzogen ist. Über ihre scharfen Augen tragen sie eine Lederhaube. Nichts können sie sehen von dem Raum mit dem glänzenden Marmorfußboden, den goldfarben bezogenen Sesseln und den Bildern der männlichen Herrscher Abu Dhabis, die mit strengem Blick allgegenwärtig in jedem öffentlichen Raum thronen. Daneben sitzen Emiratis in ihren weißen, knöchellangen Oberkleidern, den Dishdashas, und blicken kummervoll umher. Die Sorge gilt ihren gefiederten Schützlingen, von denen manche einige Zehntausende Euro gekostet haben. Jassem Al Hammadi ist Falkner aus Abu Dhabi.
    Jährlich über 11.000 Falken behandelt
    "Ich komme hierher ins Falkenhospital, seit es 1999 eröffnet wurde. Die Falken werden von den Ärzten medizinisch sehr gut versorgt, und die Mitarbeiter sind ausgezeichnet.
    Eingang der Falkenklinik in Abu Dhabi mit der Skulptur eines Falkenkopfes.
    18 Hektar nur für Falken: Eingang zur Anlage der Falkenklinik (Deutschlandradio / Michael Marek)
    Jedes Jahr werden im Falkenhospital über 11.000 Falken behandelt, über 75.000 waren es seit der Eröffnung. Und in den Emiraten kennt jeder Falkner die Leiterin der Klinik: "Doktora" Margit Müller, wie die Chefärztin aus Deutschland hier genannt wird.
    "Falken sind, ja, faszinierend, weil das so unabhängige Charaktere sind. Wenn es einem Falken wirklich schlecht geht, dann kann er wirklich sagen: Oh, bitte, bitte hilf mir und tu was für mich, und ich kämpfe mit! Viele Leute denken, ein Falke ist ja nur ein Vogel, und die Vögel sind ja alle gleich, und die flattern und das war’s. Aber diese Art der Kommunikation, diese Art des sich Ausdrückens, ist absolut faszinierend, so ein bisschen magisch!"
    Eine deutsche Frau als Chefin?
    Margit Müller leitet seit 2001 das "Abu Dhabi Falcon Hospital". Anfangs habe sie mit vielen Vorurteilen einer männerdominierten Belegschaft zu kämpfen gehabt. Illoyale Angestellte hatten die Klinik heruntergewirtschaftet, die Organisation war schlampig, es mangelte an Hygiene, sagt die Tierärztin rückblickend. Damit aber nicht genug: Müller wurde Managerin und Chefärztin in einer Person. Eine Deutsche in einem arabischen Land als Nachfolgerin eines Mannes, noch dazu eines Einheimischen? Das war damals eine absolute Ausnahme. Frauen hätten in der Falkenklinik höchstens eine Anstellung als Sekretärin oder Laborantin gefunden.
    "Im Laufe der Zeit hat sich jedoch in den Emiraten das Verhältnis auch gegenüber Frauen sehr geändert. Inzwischen haben wir sehr viele Frauen hier in Führungspositionen. Das wird auch sehr gefördert von der Regierung. Wir haben Frauen in den Ministerien. Wir haben Frauen, die Großorganisationen leiten. Es werden immer mehr Frauen, und inzwischen ist das nicht mehr so, dass die Männer denken, Frauen können das nicht. Männer wissen inzwischen, Frauen können das und können das sehr gut machen. Aber das war natürlich ein Entwicklungsprozess, der gedauert hat."
    Vor allem ihr Durchsetzungsvermögen sei von der männlichen Belegschaft und den Falknern gründlich unterschätzt worden, sagt Müller stolz. Und dabei funkeln ihre Augen hinter der Goldrandbrille. Heute werden die gefiederten Lieblinge der Beduinen der Doktura überlassen. Heute gilt die Klinik als weltweit führendes Zentrum für Falkenmedizin.
    Die deutsche Tierärztin Margit Müller mit einem Falken in der Falkenklinik in Abu Dhabi.
    Hat sich gegen alle Skepsis durchgesetzt: Die Leiterin der Falkenklinik, Tierärztin Margit Müller (Deutschlandradio / Michael Marek)
    "Sie können sich das Hospital vorstellen wie ein Menschenhospital, nur dass die Patienten Federn und Flügel haben, ja, und kein Fernseher im Zimmer haben!"
    Die Falkenklinik ist ausgestattet mit allem, was auch ein Krankenhaus für Menschen bietet: Operationssaal und Quarantänebereich für infektiöse Krankheiten, Labor, Röntgen- und Intensivstation.
    "Das ist hier wirklich ein hochtechnologisiertes Hospital, das heißt, wir haben zwei große Behandlungsräume, wir haben zwei große Operationssäle mit den modernsten Geräten, die man haben kann. Fast alle unsere Gerätschaften kommen übrigens aus der Humanmedizin – vor allem aus der Kinderheilkunde. Wir lieben Babies, denn das, was normalerweise für Babies passt von der Größe her, passt auch für unsere Falken."
    Der Patient hat zu lange Krallen
    Im Behandlungssaal hat der Patient Probleme mit den Krallen. Die sind eindeutig zu lang, diagnostiziert Arzt Dr. Ranjid aus Indien. Da muss was ab. Denn übermäßig lange Krallen können zu Fehlstellungen der Füße führen und die wiederum auf Dauer zu Schmerzen für den Greifvogel.
    Eine kleiner Eingriff nur – trotzdem braucht es eine Narkose von fünf bis zehn Minuten. Margit Müller:
    "Klar, Schnäbel und Krallen stutzen auch, das ist so die Pediküre für den Falken. Na, ja, für die Damen, würde ich sagen, ist es sehr für die Schönheit, um sich was Gutes zu tun. Für die Falken ist es notwendig, damit sie sich nicht verletzen an den Füßen."
    Mit geübtem Griff stülpt Dr. Ranjid dem edlen Vogel die Maske über den Kopf, um das Narkosegas zuzuführen. Das Flügelschlagen endet abrupt, nach zwei, drei Zuckungen liegt der Falke entspannt auf dem OP-Tisch. Die Flügel werden auseinandergebreitet. Das Operationsbesteck ist allerdings alles andere als Hightech, sondern eher unkonventionell: ein Teppichmesser und eine kleine Schleifmaschine aus dem Baumarkt.
    Im Operationssaal werden mit dem Teppichmesser die Krallen gekürzt, mit der Schleifmaschine schmirgelt der Arzt überschüssiges Horn ab. Danach gibt es eine kleine Fußmassage mit Creme, um die Blutzirkulation anzuregen. Dann wird der Schnabel noch mit einem Nagelknipser in Form gebracht.
    Nach knapp zehn Minuten ist alles erledigt. Und die Narkose verliert ihre Wirkung. Als Dr. Ranjid die Maske entfernt, schüttelt der Falke etwas irritiert den Kopf und plustert die Federn auf. Zur Belohnung gibt es vom Krankenhaus noch eine leckere Wachtel aus der eigenen Zuchtstation.
    Ein Erbe der Beduinenkultur
    Falken sind in der arabischen Gesellschaft keine Haustiere, sondern Familienangehörige, die liebevoll gehegt und gepflegt werden. Das habe mit der Beduinenkultur zu tun, so Müller: Die Falken seien bei dem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg der Golfstaaten ein Bindeglied zwischen Moderne und Tradition.
    "Die Beduinen haben früher Falknerei betrieben, um Fleisch für die Familie heranzujagen, um die Familie zu ernähren. Das heißt, Falknerei wurde hier nicht als Sport betrieben traditionell, sondern das war eine Möglichkeit und eine Notwendigkeit für die Beduinen, in der Wüste überleben zu können. Und das bedeutet natürlich auch, dass der Falke nie als Sportgerät angesehen wurde, sondern in die Familie integriert wurde wie ein Kind, wie Sohn oder Tochter. Und bis heute haben Falken die gleiche Position in der Familie. Die leben in der Familie. Die haben ihren Platz im Wohnzimmer. Viele schlafen im Schlafzimmer beim Besitzer. Die haben ihren Platz im Auto. Und wenn wir überlegen, dass die Emirate ein sehr junges Land sind, dass es gerade 45 Jahre alt. Das heißt, diese früheren Beduinen wurden in dieser kurzen Zeitspanne von einem wirklich sehr ärmlichen Leben in der Wüste in eine moderne hochtechnologisierte Welt katapultiert, und dadurch ist die Falknerei jetzt so wichtig, denn das ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten für die früheren Beduinen zurückzukehren zu ihren Wurzeln, um diese Identität zu behalten, diese Werte zu behalten."
    Während in Europa die Falknerei als Sport der Könige und ein Vergnügen der Aristokratie galt, hatte sie auf der arabischen Halbinsel eine ganz andere Bedeutung. Falkner fanden und finden sich in allen Schichten, in den Herrscherfamilien wie bei den einfachen Beduinen – unabhängig von der wirtschaftlichen Situation. Bevor Erdöl und Erdgas die Emiratis reicht gemacht hatte, war ihr Speisezettel ziemlich eintönig. Sie lebten von Datteln, Fisch und Kamelmilch. Mit dem Falken, die im Stutzflug über 300 Kilometer pro Stunde erreichen können, gingen sie auf die Jagd, um zusätzlich Fleisch zu bekommen. Falknerei war kein Sport, sondern eine Notwendigkeit, um zu überleben, und sie war und ist fest in Männerhand. Margit Müller:
    "Unsere Falkner sind wirklich alle Männer. Aber wir versuchen das zu fördern, dass auch Frauen Falkner werden. Das ist weltweit ein Problem übrigens, es gibt sehr wenige weibliche Falkner oder Falknerinnen. Wir versuchen, das zu fördern, indem wir schon bei den Schulklassen anfangen. Das heißt, die Schulklassen kommen zu uns, die Mädchen und die Buben kommen zu uns, um über Falken zu lernen, die Falknerei zu verstehen, diese Tradition zu begreifen."
    Endoskopie an einem Falken im OP-Saal der Falkenklinik in Abu Dhabi.
    Endoskopie an einem Falken im OP-Saal der Falkenklinik (Deutschlandradio / Michael Marek)
    Doch noch ist das Wunschdenken. Tradition und Moderne liegen dicht beieinander in Abu Dhabi: eines der größten Sonnenkraftwerke der Welt, die Louvre Filiale, das Guggenheim Museum, Ferrari World und gleichzeitig eine patriarchalische konstitutionelle Monarchie ohne Gewerkschaften, ohne Opposition und ohne Regierungsparteien - eines der reichsten Länder der Welt. Auf der anderen Seite die Kultur der Falknerei und ihren Mythen. Margit Müller:
    "Früher dachten die Beduinen, der große Falke muss das männliche Tier sein. Haben ihm männliche Namen gegeben. Und erst durch die moderne Medizin kam heraus, dass die großen Falken eigentlich Weibchen sind, denn die Weibchen sind ein Drittel größer bei den Falken als die Männchen. Das ist eine absolute Ausnahme im Tierreich. Und wir haben bis heute sogar noch wirklich alte Beduinen, die dies nicht glauben wollen und dann zu mir kommen und sagen: Das ist aber ein Männchen, und ich sage: Nee, das ist ein Weibchen! Ich hab den gerade endoskopiert, ich bin hundertprozentig sicher. Und es fällt denen schwer, das zu verstehen."
    Traditionell ist die Falknerei in arabischen Ländern eine Männerdomäne. Frauen als Falknerinnen findet man selten, sehr selten. Da überrascht es kaum, dass auch heute im Wartezimmer ausschließlich Männer sitzen.
    "Wenn wir eine Endoskopie machen, da sind Sie bei 70, 80 Euro, das ist nicht teuer, das kann sich wirklich jeder leisten. Und man kann Erkrankungen im Frühstadion erkennen. Dadurch, dass jeder wirklich jeder unserer Patientenbesitzer zahlen muss, ist das für uns auch ein Erziehungsmittel gewesen. Denn wenn ich einen Falken drei Wochen in der Intensivstation habe, ist das teuer, als wenn ich einen Falken zur Vorsorgeuntersuchung bringe und mit ein paar Schnupfentabletten wieder heimschicke."
    Von der Klinik zur Touristenattraktion
    Das durchschnittliche Einkommen der Emiratis liegt bei etwa 6.000 US-Dollar monatlich. Die Masse der ausländischen Arbeitskräfte sind nicht gut bezahlte Expats aus Europa, sondern kommt aus Indien, Bangladesch, Nepal und Pakistan, lebt bescheiden und verdient zwischen 300 und 600 US-Dollar. Ist das nicht ein Missverhältnis - zumal eine Falkenbehandlung so viel kosten kann wie ein Monatslohn dieser Menschen? Margit Müller:
    "Das ist eine interessante Frage! Wenn ich mir zum Beispiel anschaue, die Leute, die bei mir putzen, die verdienen in europäischen Standards etwa 200 Euro, in ihren Heimatländern leben die meisten von weniger als zwei bis fünf Dollar pro Monat. Alle diese Leute, die nach deutschem Standard so wenig verdienen, sogar der kleinste Putzmann hier bei uns, besitzt bei sich zuhause ein großes Haus, unterhält eine Familie von mindestens 20 Familienangehörigen, die Tanten, die Onkels und so weiter, das heißt, in ihren Ländern sind diese Leute reich. Denn das muss man im Verhältnis sehen, was sie in ihren eigenen Ländern verdienen würden. Und viele hätten gar keinen Verdienst, weil sie gar keine Arbeit hätten."
    Seit 2007 können auch Touristen die Klinik besuchen, und es gibt hier sogar ein kleines Museum. Beides ist ein Renner. Mit dem Besuchsprogramm will Müller einen interkulturellen Aufklärungsbeitrag leisten. Die Menschen sollen verstehen, warum die Falken in den Golfstaaten so wichtig sind. Ein Grund dafür, dass das Falkenhospital zu den Top Ten Attraktionen in Abu Dhabi gehört.