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Abu Ghraib in Öl

Die Menschen auf den Bildern des Kolumbianers Fernando Botero sind in aller Regel schwergewichtig. Und doch hat Botero in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend unbeschwerte, heitere Bilder gemalt. Anders die Werke seiner neuen Ausstellung im römischen Palazzo Venezia: Botero zeigt Abu Ghraib - jenes Gefängnis im Irak, in dem US-Soldaten Gefangene folterten.

Von Thomas Migge |
    Der Palazzo Venezia ist eines der größten Renaissancebauwerke Roms. Während des Faschismus residierte in den großen, freskengeschmückten Sälen des ersten Geschoßes der Duce. Fernando Botero hatte den Wunsch geäußert in jenen Sälen ausstellen zu dürfen, in denen Benito Mussolini als Diktator sein Land fest im Griff hatte. Ein Wunsch, den die Stadt Rom dem kolumbianischen Maler gern erfüllte, stellt Botero doch zum ersten Mal überhaupt eine Reihe von ganz aktuellen Gemälden aus, die das Grauen, die Vernichtung, den Tod und die Erniedrigung zum Thema haben, erklärt der im toskanischen Pietrasanta lebende Maler:

    " Ich bin davon überzeugt, dass ein großer Teil unserer Kunstgeschichte ohne die Darstellung von Gewalt gar nicht möglich gewesen wäre. Die Leute glauben immer, dass Maler, die, sagen wir, schöne Bilder malen, wie zum Beispiel die Impressionisten, die andere Seite des Lebens nicht wiedergeben. Das stimmt aber nicht. Kunst existiert nicht nur, um zu gefallen."

    Die Botero-Ausstellung im Palazzo Venezia zeigt insgesamt 170 Werke des 1932 im kolumbianischen Medellin geboren Künstlers. 120 Bilder zeichnen retrospektiv die künstlerische Entwicklung des Malers nach: von seinen satirischen Zeichnungen, die er als 16jähriger für die Zeitung "El Columbian" in Medellin schuf, bis hin zu jenen weltberühmten voluminösen Frauen- und Männerfiguren, die inzwischen zu Boteros Markenzeichen geworden sind. 50 der Werke der römischen Ausstellung sind neue, großflächige und zum ersten Mal überhaupt der Öffentlichkeit gezeigte Ölbilder.

    Darstellungen, die Abu Ghraib als Sujet haben. Jenes Gefängnis der US-amerikanischen Streitkräfte im Irak, in dem Soldatinnen und Soldaten irakische Gefangene folterten und sich mit ihnen "vergnügten", wie eine der später zu einer leichten Haftstrafe verurteilten Soldatinnen vor einem Militärgericht erklärte. Die Gefangenen mussten sich nackt übereinander legen, wurden bespuckt und aus schierer Lust am Sadismus getreten und gefoltert. Die Fotografien dieser Vorgänge, geschossen von den amerikanischen Soldaten, gingen um die Welt und brachten die US-Streitkräfte in Misskredit. Fernando Botero erfuhr durch die "New York Times" von dem kriminellen Verhalten der Soldaten:

    " Ich war ärgerlich, wie viele Menschen auf der Welt, als ich von diesen Vorfällen las und vor allem, als ich die Fotografien dazu sah, auf denen ja deutlich zu erkennen ist, dass und wie die Amerikaner in Abu Ghraib folterten. Ich habe mich an Darstellungen von Matthias Grünewald erinnert gefühlt, der Grauen künstlerisch umgesetzt hatte. Ich fühlte tief in mir, dass auch ich etwas tun musste."

    Die Abu-Ghraib-Gemälde des Kolumbianers lösen beim Betrachter große Bestürzung aus. Da ist zum Beispiel das große, rechteckige Bild eines gebückt stehenden Mannes. Ganz im Stil Boteros ist auch dieser Mann korpulent dargestellt: mit einem wie geschwollen wirkenden, behaarten Körper. Seine Füße sind zusammen gebunden. Er kann sich nicht bewegen. Die Armen werden von einem Seil auf dem Rücken zusammen gehalten. Sein Kopf ist mit einem schwarzen sackähnlichen Stoff bedeckt. Nur der Backenbart und ein vor Schmerz verzerrter, aufgerissener Mund ist zu erkennen:

    " Die Fotos, die ich in der "New York Times" sah, haben mich stark beeinflusst. Es war das statische Bild, das mich so erschütterte. Hätte ich diese Vorfälle nur im Fernsehen gesehen, als Filmaufnahmen, wäre der Eindruck auf mich vielleicht nicht so groß gewesen. Ich wollte nackte, verletzliche Menschen zeigen, deren ungeschütztes Fleisch den Schlägen ihrer Folterer und den Bissen von Hunden ausgesetzt ist."

    Fernando Botero nimmt sich nicht zum ersten Mal eines zeitgeschichtlichen Sujets an. Auch wenn der Maler heute vor allem wegen seiner heiteren Dicken - als Gemälde, Zeichnungen und Bronzeskulpturen - berühmt ist, so beschäftigte er sich schon in den 60er und 70er Jahren mit politischen Ereignissen in seinem Heimatland. 2002 malte er "Massaker in der Kirche", ein Bild, das weniger bekannt und jetzt in Rom zu sehen ist: Botero gab seine Version eines Rebellenanschlags in einer katholischen Kirche in Kolumbien, ein Anschlag, bei dem 200 Menschen starben. Botero ist davon überzeugt, dass die künstlerische Widergabe des zeitgenössischen Grauens das einzige Mittel ist, um dieses Grauen aus der alltäglichen Bilderflut hervorzuheben, es real, es zu einer Ikone zu machen, die zeigt, wozu der Mensch fähig ist. Kunst, davon ist Botero überzeugt, als Mittel zur Bewusstwerdung. Aus diesem Grund sollen seine in Rom zu sehenden Abu-Ghraib-Gemälde nicht verkauft werden. Botero will sie ausschließlich ausleihen - von einem Museum zum anderen.

    " Ich würde mich nicht unbedingt als politisch engagierten Künstler im marxistischen Sinn bezeichnen. Ich glaube nicht, dass man gesellschaftliche Zustände mit Hilfe von Kunst nachhaltig verändern kann. Ich verstehe mich als Künstler, der auch Werke schafft, die die Menschen daran erinnern sollen, später einmal, in der Zukunft, wenn niemand mehr von Abu Ghraib sprechen wird, was dort geschehen ist. Die Kraft der Kunst ist es, die Menschen dazu zu bringen, sich zu erinnern. "